Think everything and do nothing!

„Mein Vater sprach mit meiner Großmutter 50 Jahre kein Wort. Obwohl sie im selben Haus lebten.“ Das ist einer jener Eindrücke Morton Feldmans, die dieser mit seinem Publikum teilte. Einem Publikum, das für die Performance „Morton Feldman Says“ Anfang Februar ins Tanzquartier gekommen war.

Think everything and do nothing!Toxic Dreams Morton Feldman Says (c) Tim Tom

Die österreichische Gruppe Toxic Dreams verwandelte die Halle G in einen Vorlesungsraum. Die Sitzreihen waren im Karree um einen Klavierhocker angeordnet, der sich langsam und beständig drehte. Darauf agierte sitzend Markus Zett höchst authentisch in der Rolle von Morton Feldman, bekleidet mit Strickpulli und dunkler Brille. Ganz so, wie man den Komponisten und Musiktheoretiker von einigen Fotos aus den 70er Jahren kennt. Mehrere junge Damen im Publikum agierten als neugierig fragende Studentinnen, die manchmal bereitwillig, dann wieder schroff oder überhaupt keine Antworten von „Feldman“ erhielten.

Feldman als Künstler und Mensch

In diesem Frage- und Antwortreigen wurde versucht, Feldmans Musikstellung im 20. Jahrhundert zu erkunden und seine Kompositionstechnik näher zu untersuchen, aber auch den Menschen Feldman spürbar werden zu lassen. Die wunderbare Erfahrung, die man in dieser „lecture performance“ machen konnte war, dass Feldman ein humorvoller Mann war, der es liebte, Geschichten zu erzählen. Erstaunlich auch die Entdeckung, dass er eine seltene Fähigkeit besaß, nämlich auch das eigene Tun bis in die kleinsten Winkel seiner kreativen Produktion von einer Metaposition aus zu betrachten.

Auf die großen Leinwände hinter den Sitzreihen wurden die Bilder der Rothko Chapel in Houston, Texas, projiziert. Wohl eine Referenz an Feldmans Chorwerk „Rothko Chapel“ aus dem Jahr 1971. Mit Martin Siewerts Musik, die von Christian Weber am Kontrabass begleitet wurde, erhielt Feldmans Vortrag einen genialen Kontrapunkt. Toxic Dreams hat von Vornherein nicht versucht, Feldmans Kompositionen seiner Rede an die Seite zu stellen, sondern diese vielmehr mit neuen, assoziativen Klangereignissen zu untermalen. Eine kluge Entscheidung. Sehr wohl aber stammte der Text ausschließlich aus Feldman-Zitaten.

Der große Denker, der sich die Frage stellte, ob Musik als eigene Kunstgattung überhaupt möglich sei, verblüffte in seinen Schlussfolgerungen nicht mit schwer verdaulicher Theorie, sondern oft mit humorigen Aussagen. „Music is the most different – a lot of stress.“, war da zu hören, aber auch, dass er so komponieren wollte, wie Fred Astaire tanzte. Zugleich ließ er aber auch eine jede Menge Fragen offen wie z.B.: Was macht ein Komponist, bevor er ins Bett geht? Haben wir in der Musik ein Äquivalent zu Proust? Wer hat Bach beeinflusst, wer Cage? Heftig und zu Recht wehrte er sich gegen die Aussage, er gehöre zu den Minimalisten.

Think everything and do nothing!Toxic Dreams Morton Feldman Says (c) Tim Tom

Eine Rückschau ins kreative 20. Jahrhundert

Im Laufe der einstündigen Performance ließ „Feldman“ die Kunst-Protagonisten des 20. Jahrhunderts am geistigen Auge des Publikums vorbeiziehen. Aber nicht nur Komponisten wie Cage, Glass, Xenakis, Reich oder auch Schönberg wurden von ihm erwähnt, sondern auch Maler wie Franz Kline, Henry Moore, De Kooning oder Jackson Pollock, was seine Nähe zur Bildenden Kunst illustrierte. Feldman verstand sich als Kreativer unter Kreativen. Als Komponist, der nicht beschreiben konnte woher seine Eingebungen kamen und wie der kreative Akt des Komponierens zustande kommt.  Als eine der größten Beeinflusser nannte er jedoch nicht Granden aus der Musikgeschichte oder der Malerei, sondern seine jüdische Großmutter, von der er folgenden Ratschlag beherzte:  „Think everything and do nothing!“

Ein nicht nur unterhaltsamer, sondern auch höchst lehrreicher Abend, der – wie es der Zufall will – ausgerechnet im Anschluss einer Konzertreihe des Klangforum stattfand, die ebenfalls ausschließlich Komponisten des 20. Jahrhunderts gewidmet war. Wenige Tage zuvor präsentierte der Filmemacher  Kurt Brazda, sein neues Werk, in dem die Entwicklung der zeitgenössischen Musik  in Österreich in genau derselben Zeit näher betrachtet wurde.

Gerade in der Kunst ploppen oft zeitgleich an mehreren Stellen Ideen und Produktionen auf, die einen historischen Blick auf eine bestimmte Periode eröffnen. Es schaut ganz so aus, als ob nun die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert einer kreativen Aufarbeitung unterzogen würde. Höchst spannend, nicht nur für junge Leute, sondern auch für all jene, welche diese Zeit im Kunstgeschehen schon aktiv miterlebt haben.

To be continued wäre toll!


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