Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, das Schreckgespenst des Nazismus

Neu Westend ist ein wohlhabendes Stadtviertel in Westberlin und das Leben hier scheint in einem geordneten und beschaulichen Modus abzulaufen durch den kleinbürgerlichen Entwurf der gepflegten Straßen mit Baumalleen. Man betritt das Viertel durch den 1935 durch die Nazis konstruierten, emblematischen U-Bahnhof mit Blick auf das Olympiagelände von Berlin. Die Olympiade von 1936, durch „Leni“ Riefenstahl mit ihrem Film Olympia unsterblich gemacht, sollte dazu dienen, die eigenwilligen Absichten der nationalsozialistischen Partei zu erfüllen, die undiskutierte Überlegenheit der so genannten arischen Rasse über allen anderen Völkern der Erde zu verherrlichen und die Welt in Stauen zu versetzen über den unvergleichlichen Glanz jenes neuen Deutschlands des dritten Reiches.

thilo sarrazin berlin

Zur Konsternation von Hitler, Goebbel und dem gesamten monumentalen Apparates der Nazi- Propaganda wurde in jenem Sommer in Berlin unter dem Namen „Jesse“ Owens aber ein ganz anderer Mythos geboren. Owens war ein junger, schwarzer Hotelpage des New Yorker Waldorf Astoria Hotels, der, indem er während der Spiele vier Goldmedaillen gewann, in eloquentester Form die angebliche Unterlegenheit von Personen mit afrikanischem Ursprung widerlegte.

Die tieftraurige Ironie daran ist, das derselbe Owens später angab, er hätte sich in Nazi-Deutschland, wo er offiziell durch das Reichsbürgergesetz von 1935 ausgegrenzt wurde, es ihm jedoch erlaubt war in den selben Verkehrsmitteln zu reisen und in den selben Hotels zu wohnen wie die Weißen und viele Berliner ihm Zeichen von Respekt erwiesen, besser behandelt gefühlt als in seinem eigenen Land, den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dort wurden ihm dadurch, dass er Afroamerikaner war, nicht dieselben Rechte zuteil wie den Weißen und Präsident Roosevelt weigerte sich, aus Angst vor negativen Reaktion in den segregationistischen Staaten des Südens während des Wahlkampfes, trotz des großen symbolischen Wertes seiner bewundernswerten Heldentat, ihn zu empfangen.

Man würde gerne denken, dass Überreste aus diesen schrecklichen Zeiten nur noch in Form der denkwürdigen Filme von Riefenstahl oder der U-Bahn-Station von Neu Westend existieren würden. Dennoch, in einem der adretten Häuser desselben Bezirks wohnt Thilo Sarrazin, ehemaliger sozialdemokratischer Finanzminister und Autor des Buches Deutschland schafft sich ab. Das Buch, in dem er einen Großteil der politischen Debatten des Landes behandelt, hat ihn reich gemacht und sich mit seinen 1.200.000 verkauften Exemplaren zu einem Verkaufsschlager entwickelt.

In dem Buch, publiziert im Kontext der jüngsten Äußerungen Angela Merkels, in denen sie den Multikulturalismus für Tod erklärte, vertritt er die These, dass Deutschland (von dessen 82 Millionen Einwohner nur siebeneinhalb Millionen von ausländischer Herkunft sind) zerstört wird durch die Immigration der Türken (3 Millionen insgesamt) und Araber (280.000). Da diese Gruppen genetisch bedingt minder intelligent seien, mehr Kinder hätten und sich schlechter in die Gesellschaft eingliedern würden, identifiziert er sie als „Kern des Problems“. Damit keineswegs zufrieden, geht er außerdem so weit, die Investitionen der Nazis in Genmaterial zu rechtfertigen.

 

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Im Angesicht einer solch unangenehm hysterischen Reaktion seitens einer alten Welt, die sich jedem Wandel widersetzt, genügt es glücklicherweise schon, appartments in Berlin zu mieten, um die inspirierende Schönheit und Vitalität zu sehen, welche die unvermeidbaren Phänomene von Vielfalt und Hybridisation hervorrufen

 


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