Samuel Blaser und Pierre Favre (c) Jacques Ditisheim
Am 13. November standen Theorie und Praxis auf dem Programm des Festivals Jazzdor. Nachmittags gab´s eine kommentiertes Konzert von Denis Levaillant, dem französischen Pianisten und Komponisten, dessen Standardwerk „Le Piano“ bereits in mehrfacher Auflage erschienen ist. Straßburg erlebte dabei eine Premiere, denn es war das erste Mal, dass Levaillant am Flügel saß und die Geschichte des Klaviers und seiner Musik im Schnelldurchgang anhand von 12 Kapiteln selbst kommentierte. Er zeigte dabei an kurzen Beispielen auf, wie sehr sich Pianisten und Komponisten gegenseitig beeinflussten und alle neuen Strömungen des Klavierbaues aufnahmen. Besonders interessant dabei waren seine Kommentare in Bezug auf die Klaviermusik des 19. Jahrhunderts und deren Beeinflussung des Jazz. Anhand von Beispielen von Chopin, aber in weiterer Folge auch Bartok oder Ravel machte er mehr als deutlich, dass der Jazz nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich organisch aus dieser Musik heraus entwickeln konnte. Die Frage, inwieweit das Dilemma zwischen Komponisten, die keine Pianisten mehr sind und somit auch eine ganz andere Herangehensweise an die Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers haben, in Zukunft vielleicht gelöst sein wird, stellte er in den Raum.
Im Kontrast dazu stand wenig später im Auditorium des MAMCS ein Konzert der beiden Schweizer Samuel Blaser und Pierre Favre. Wie schon zuvor beim Duo Sauer/Wollny, trennt die beiden Musiker eine ganze Generation und dennoch ist das Ergebnis ein Guss, aus dem kein Altersunterschied herauszuhören ist. Was beide auszeichnet – keiner von ihnen benötigt den anderen, so stark sind ihre musikalischen Ausdrucksmittel. Gemeinsam jedoch werden sie zu einem Team, in welchem sich die Freude am Spiel x-fach potenziert. Und dieses Gefühl springt in der Schnelle von wenigen Augenblicken auf die Zuhörer über. Das farbige Spiel von Favres Schlagzeug, in das er ganz natürlich eine Bongo integriert hat, steht gleichberechtigt neben jenem nicht minder bunten von Blaser. Der 30jährige Posaunist agiert mit einem Klangreichtum und einer Atemtechnik, die ihm wahre Kunsttücke erlauben. So beherrscht er die Zirkularatmung, die von der gut ausgebildeten, jungen Bläsergeneration nun beinahe schon durchgängig praktiziert werden kann, was ganz neue Klangerlebnisse bietet. Ein über Sekunden, über eine Normalatmung weit hinausgehender, gehaltener Ton beeindruckt immer wieder, noch dazu, wenn er so klug wie bei Blaser eingesetzt wird. Seine kleinen Melodien, die er immer wieder wie kleine Einsprengsel verwendet, setzen dem Konzert richtiggehende Lichtpunkte auf, die von Favre ad hoc aufgenommen und begleitet werden. Dieser Meister des Schlagzeuges verwendet im Laufe des Konzertes eine ganze Reihe unterschiedlicher Sticks, von herkömmlichen bis außergewöhnlichen. So erzeugten seine dicken, hölzernen Vierkantstäbe einen mächtigen Klang, seine offenen Plastikrohre hingegen wieder viel zartere Tonfarben. Entweder hält er sich minutenlang an ein festgezurrtes, rhythmisches Muster oder aber, was häufiger der Fall ist, er bleibt keine drei Takte lang im selben Rhythmusgeflecht hängen, variiert in hunderterlei Art und Weise vor allem durch die rasche Aufeinanderfolge von unterschiedlichen Materialien. Selten kommen mehrere Schläge von der selben Trommel oder demselben Becken, dementsprechend vielfältig und trocken klingt seine Musik. Ob die beiden von einer Einheit zu einer Defregmentation hin arbeiten, oder ihre einmal gefundene Harmonie nie verlassen, immer bietet ihre musikalische Ausdrucksweise ein reines Hörvergnügen. Einer heimischen Alphornreminiszenz begegnet Favre mit einer Schlagzeugexplosion, eine zart gehauchte, fast nur getippte Melodie, die an reinen Schnee oder vorbeiziehende Nebelschwaden erinnert und so spannend ist, das man die Luft anhält, bleibt bis zum letzten Atemzug im Pianissimo. Ihre Zugaben kommentiert der Schlagzeuger so trocken wie sein Spiel: „Wir haben unser ganzes Programm gespielt, jetzt versuchen wir zu improvisieren. Was spielen wir? Wir spielen immer dasselbe!“ Diesem extremen Understatement folgte wie zum Hohn ein Galopp, ein Ritt über eine jazzige Herbstlandschaft, bei der der Altmeister des Schlagzeuges seinem jungen Gegenpart zeigte, was pure Energie bedeutet. Immer wieder versuchte Blaser Atem zu holen, zu verschnaufen, eine kleine Pause einzulegen, immer wieder trieb in Favre erneut auf. „Weiter, weiter, noch bin ich nicht am Ende“, war die klare Aussage. Japsend und nach Luft ringend schien die Posaune schließlich um Gnade zu flehen, mit einem spitzbübischen Lächeln wurde sie gewährt. Wer war hier alt, wer jung?
Ein Jazzkonzert mit ganz viel Spaß und großer Klasse.