Wolfgang Krisai: Iona Abbey. Schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier. 1992.
" data-orig-size="973,1280" sizes="(max-width: 500px) 100vw, 500px" data-image-title="Iona" data-orig-file="https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=500" data-image-meta="{"aperture":"4.5","credit":"","camera":"COOLPIX P7000","caption":"","created_timestamp":"1440689855","copyright":"","focal_length":"6","iso":"100","shutter_speed":"0.0011280315848844","title":"","orientation":"1"}" data-medium-file="https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=500?w=228" data-permalink="https://buchwolf.wordpress.com/2017/04/29/theodor-fontane-jenseit-des-tweed-bilder-und-briefe-aus-schottland/iona/" alt="Wolfgang Krisai: Iona Abbey. Schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier. 1992." srcset="https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=500 500w, https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=114 114w, https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=228 228w, https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=768 768w, https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg 973w" class=" size-full wp-image-2084 aligncenter" data-large-file="https://buchwolf.files.wordpress.com/2017/04/iona.jpg?w=500?w=500" />Mit dem Aufbau-Verlag verbinde ich: Gesamtausgaben. Noch zu DDR-Zeiten kauften sich „arme Studenten“ wie ich die im Westen um einen Pappenstiel zu habenden Ausgaben der „Bibliothek deutscher Klassiker“, doch auch nach der Wende und allerlei Turbulenzen, die das Flaggschiff der DDR-Verlagskultur erfassten, brachte Aufbau vor allem in den Neunziger Jahren schöne und gediegen gestaltete Gesamtausgaben heraus, etwa eine Dostojewski- oder eine Turgenjew-Ausgabe, auf dem Gebiet der deutschen Literatur eine Egon-Erwin-Kisch-Ausgabe oder eine E. T. A. Hoffmann-Ausgabe. All das ist Schnee von gestern und fast alles längst vergriffen.
„Große Brandenburger Ausgabe“
Das verlegerisch anspruchsvollste Vorhaben der damaligen Verlagsepoche war aber die „Große Brandenburger Ausgabe“ (GBA) der Sämtlichen Werke Theodor Fontanes. Wie es bei solchen Editionen normal ist, zieht sich ihr Erscheinen länger hin, als zunächst projektiert. Ich habe noch einen Verlagsprospekt dieser Ausgabe von 1994, in dessen „vorläufigem Editionsplan“ die „Reisebücher und Reiseberichte in 5 Bänden“ mit Erscheinungsdatum „ab 1999“ angegeben sind. Man ließ sich in weiser Voraussicht offen, wie lange das Projekt dauern werde.
Die maßgebliche Ausgabe
Jetzt, 2016, ist wieder ein Band erschienen, eben einer dieser Reiseberichte: „Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland.“ Nach der Lektüre kann ich sagen: Dies ist die Edition, in der man Fontanes Schottland-Reisebericht in Hinkunft lesen muss. – Warum?
Da ist zunächst die hervorragende gestalterische und buchbinderische Qualität des Bandes, die von der GBA-Edition sozusagen vorgegeben ist. Sogar der Schutzumschlag ist ganz im Stil der ersten GBA-Bände gehalten, wenn auch im Vergleich zu den Anfängen das neue Verlagssignet sich als stilistisch störendes Element auf die Titelseite gedrängt hat.
Der Kommentarteil
Zweitens: Wer das Buch lesen will, sollte eigentlich zuerst mit dem unglaublich genauen Kommentarteil beginnen, sich zumindest einen Überblick verschaffen, was dieser alles zu bieten hat. Da bleiben nämlich wirklich keine Wünsche offen:
Man erfährt die Entstehungsgeschichte des Buches, dem eine Reise zugrunde liegt, die Fontane vom 10. bis zum 24. August 1858 gemeinsam mit seinem Freund Bernhard von Lepel unternommen hat. Aus Geldmangel nicht realisierte Reisepläne werden geschildert, der Reisebegleiter vorgestellt, dann die Mühen der Abfassung des Berichts, die Quellen, die Fontane herangezogen hat, die Druckgeschichte in Zeitungen (wo das ganze Buch schon vorweg kapitelweise veröffentlicht wurde) und in Buchform (der Erstdruck erschien 1860 im Verlag von Julius Springer, Berlin), die Rezeption im In- und Ausland und natürlich alles Wichtige über die vorliegende Edition behandelt.
Keine Frage bleibt offen
Den Hauptteil des Kommentars nimmt der Stellenkommentar ein, der mich sehr positiv überrascht hat. Mit Stellenkommentaren anspruchsvoller Ausgaben ist es ja so eine Sache: Ausgerechnet jene Informationen, die man als interessierter Leser bräuchte, stehen meist nicht drin. Hier ist das nicht so. Von einfachen Worterklärungen (ich wusste z. B. nicht, was eine „Tabagie“ ist) bis zu Richtigstellungen Fontane’scher Ungenauigkeiten (derer es sehr viele gibt), von geographischen zu biographischen Informationen über alle vorkommenden Örtlich- und Persönlichkeiten bleibt nichts unerklärt.
Bemerkenswert ist auch das Personenregister, das mit Kurzbiographien der eingetragenen Personen aufwartet.
Das einzige, was mir gefehlt hat, ist eine genauere Landkarte dieser Reise (eine ganz einfache Überblickskarte ist auf Seite 277 zu finden). Möglicherweise rechnet der Verlag damit, dass ein moderner Leser ohnehin genau das tun wird, was ich tat: die Reise mit Google Maps zu verfolgen und von dort aus auch die Fotos der Sehenswürdigkeiten und Landschaften aufzurufen. Auch heute sind die Reiseziele Fontane noch Touristenmagneten und bestens erhalten.
15 Tage Reise – 260 Seiten Reisebericht
Schöpferische Arbeit bedeutet, aus „nichts“ etwas Großes zu machen. Im Falle Fontanes: aus 15 Tagen Reise ein 260 Seiten langes Buch.
Fontane muss schon an Ort und Stelle eifrigst Notizen gemacht haben. Die Herausgeber vermuten das jedenfalls, auch wenn kein Notizbuch erhalten geblieben ist. Darüber hinaus aber hat Fontane einige Quellen herangezogen, aus denen er zum Teil große Passagen abschrieb oder nacherzählte, ohne sie anzugeben, wenn es sich nicht gerade um Shakespeares „Macbeth“ oder ein Werk des verehrten Sir Walter Scott handelte. Diese Praxis war übrigens damals, belehrt der Kommentar, durchaus gängig. Fontane war da nicht immer ganz korrekt, im Kommentar werden die Fehler alle nachgewiesen. In der das Werk abschließenden schottischen Geschichtstabelle leistete sich Fontane übrigens besonders viele Fehler.
Das Buch ist also eine Mischung aus Schilderung persönlichen Erlebens, Sammlung interessanter Anekdoten und historischer Geschichten und Beschreibungen von Landschaften, Seen, Klöstern, Schlössern, Schlachtfeldern und Unterkünften.
Bahnfahrt in der Holzklasse
Nach einem kurzen Text an seinen Freund und Reisebegleiter Bernhard von Lepel beginnt Fontane mit einer witzigen Schilderung der nächtlichen Eisenbahnfahrt von London nach Edinburgh, die er mangels üppigen Reisebudgets in der billigsten Klasse machen musste. Statt aber in Edinburgh gerädert in ein Hotelbett zu sinken, beginnt er, kaum dass er sein Hotelzimmer bezogen hat, mit der Erkundung der Stadt. Gut vorbereitet, wie er offensichtlich war, findet er sofort die wichtigen Straßen und Plätze samt den an ihnen gelegenen Gebäuden.
Geschichte wird lebendig
Zu vielen erzählt er interessante Histörchen, wie sie vor Ort ein Führer zum besten geben würde. In der schottischen Geschichte und deren Darstellung in der Literatur, vor allem Walter Scotts, kennt Fontane sich sehr, sehr gut aus. Das macht mir größte Lust, selbst auch einmal Walter Scott zu lesen…
Ich war noch nie in Schottland, durch Fontanes Reisebericht steht mir nun aber dieses Land, zumindest in der Version von 1858, sehr deutlich vor Augen. Denn eins beherrscht der Autor: die lebendige und anschauliche Darstellung. Das macht die Lektüre zu einem Vergnügen.
Mit Fontane rauscht man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit: Holyrood Palace, Edinburgh Castle und die Altstadt von Edinburgh nehmen die ersten 80 Seiten ein. Dann folgen das Schloss von Linlithgow, ein Ausflug nach Stirling und Loch Kathrine, dem Schauplatz von Scotts Verdichtung „The Lady of the Lake“ (deren Inhalt Fontane für den unwissenden Leser zusammenfasst), weiters Perth und die abenteuerliche Kutschfahrt nach Inverness.
Mit der Kutsche durchs schottische Hochland
Verkehrshistorisch ist das eine der spannendsten Stellen des Buchs: Von Perth fährt die Postkutsche um 11 Uhr vormittags ab. Fontane sitzt mit seinem Reisegefährten nicht im – teuren – Inneren der Kutsche, sondern auf einer der hinten oben im Freien befindlichen Bänke, die mit Fahrgästen dermaßen überfüllt sind, dass die am Rand sitzenden nur mehr mit der Hälfte ihres Gesäßes auf der Bank, mit der anderen in der Luft sitzen. Da diese Sitzweise nicht nur unbequem, sondern Kräfte zehrend ist, wechselt man sich ab, damit keiner von der Kutsche fällt. Solchermaßen überbesetzt rumpelt die vierspännige Kutsche durch die einsamsten Gegenden der schottischen Highlands in die Abenddämmerung hinein. Auch wenn sicher keine Straßenbeleuchtung vorhanden war, lässt sich das Gefährt durch die Dunkelheit nicht beeinträchtigen, sodass man schließlich um drei in der Nacht ziemlich durchgefroren die Stadt Inverness erreicht, wo man vor dem Union Hotel absteigt. Hier nun muss Fontane zugeben: „Die Strapazen am Tage vorher hatten uns einen langen und festen Schlaf eingetragen. Die Frühstücksstunde war längst vorüber, als wir im großen Speisesaal des Union-Hotels zu Inverneß erschienen, um unser Breakfast einzunehmen.“ (S. 164)
Schlachtfeld-Tourismus
In der Nähe von Inverness liegt das Schlachtfeld Culloden Moor. Eine Eigenheit damaligen Reisens, wohl nicht nur Fontanes, war es, Schlachtfelder zu besichtigen. Hier verlor „Bonnie Prince Charlie“ mit seinen Schottischen Mannen eine kurze, aber heftige Schlacht gegen die Engländer. Fontane schildert das Geschehen ausführlich.
Naturwunder und uralte Ruinen
Die Weiterreise erfolgt per Schiff den Kaledonischen Kanal hinab an die Westküste, wo Fontane dann einen Ausflugsdampfer besteigt (ein verdienstvoller Mr. Hutchinson hat das Gebiet mit seiner Flotte von Dampfern touristisch erschlossen) und zu den Inseln Staffa und Iona einen Tagesausflug macht. Staffa beeindruckt durch seine riesigen Brandungshöhlen im Basaltgestein, Iona hingegen durch die Ruinen seiner großen klösterlichen Vergangenheit, liegt hier doch die Wiege der anglo-irischen Christianisierung durch den heiligen Columban (im Register steht: „St. Columba (auch: Colum Cille, im Text: ‚Columban‘, geb. um 521, gest. 597); irischer Mönch u. Ordensgründer; ab 563 Missionar der Pikten; gründete ein Kloster auf der Insel Iona“ (S. 529)).
Schamlose Ausbeutung des Touristen
Mit knapper Not und nachdem ihm seine Zimmervermieterin einen horrenden Preis abgepresst hat (für den man lt. Kommentar in Edinburgh in einem Luxushotel hätte übernachten können) erreichen die beiden Reisegefährten am nächsten Morgen den Dampfer Richtung Glasgow. Diese Stadt wird allerdings nicht besichtigt, sondern der nördlich davon liegende Loch Lomond, der schönste See Schottlands.
Sir Walter Scotts Alterssitz
Per Bahn geht’s dann zurück nach Edinburgh, von wo aus noch zwei letzte Ziele angesteuert werden: Melrose Abbey, eine beeindruckende Klosterruine, und – krönender Abschluss für den Sir-Walter-Scott-Fan Theodor Fontane – Abbotsford: Scotts romantischer Alterssitz. Auch wenn Fontane mit der eklektizistischen Bauweise des Schlösschens nicht ganz zufrieden ist, so bedeutet es ihm doch sehr viel, hier in den Spuren des verehrten Meisters zu wandeln.
Damit schließt das Buch. Die Rückreise zu beschreiben erübrigt sich, sie wird der Hinfahrt geähnelt haben.
Fontane über die Schulter schauen
Fazit: Wer Schottland kennt, wird diesen Reisebericht genießen, wer es, wie ich, nicht kennt, Lust auf eine Reise dorthin bekommen. Zudem bietet diese kommentierte Ausgabe die Möglichkeit, Fontane gleichsam über die Schulter zu schauen und Entstehung und Wirkung des Reisebuchs mitzuverfolgen und damit die Leistung Fontanes richtig einzuschätzen.
Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hg. v. Maren Ermisch i. Zusammenarbeit m. d. Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Große Brandenburger Ausgabe; Das reiseliterarische Werk, Band 2. Aufbau-Verlag, Berlin, 2016. 564 Seiten, davon Text bis Seite 260.
Bild: Wolfgang Krisai: Iona Abbey. Schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier. 1992.
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