[Themen-Challenge: Schuld] Forbidden - Wenn Liebe Leben zerstört

[Themen-Challenge: Schuld] Forbidden -  Wenn Liebe Leben zerstört

Forbidden von Tabitha Suzuma, 2011.
Cover via Homepage der Autorin

"I don´t need to think about this anymore. What I do desperately need is sleep. Otherwise I´ll fall apart. I´m going to fall apart. I am falling apart."
Dies ist mein sechster Beitrag zu  Neyashas Themen-Challenge, diesmal zum Thema Schuld.
Oh Hölle, was für ein Buch.
Ich wusste schon, dass ich sowas nicht mitten in der Masterarbeits-Phase anfangen sollte, ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Ich habe Freitag Abend angefangen zu lesen und konnte bis tief in die Nacht das Buch nicht weglegen. Und dann auch nur, weil mir die Augen zugefallen sind. Nachdem ich mich dann gestern den ganzen Tag nicht konzentrieren konnte weil ich immer nur die Geschichte im Kopf hatte, habe ich mich entschieden kurzen Prozess zu machen und hab es dann bis heute Morgen durchgelesen. Und jetzt, wo ich eigentlich wissenschaftliche Literatur lesen sollte, mache ich eine Ausnahme für diese Rezension, denn ich weiß dass ich das hier abschließen muss, bevor ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann.
Zur Story Maya ist 16, ihr Bruder Lochan ist 17. Die beiden gehen noch zur Schule und kümmern sich nebenbei um ihre drei kleinen Geschwister, da ihre alkohol- und partysüchtige Mutter die Familie immer mehr komplett ignoriert und ihr Vater schon vor Jahren mit einer neuen Frau das Land verlassen hat. Um unter der großen Belastung nicht zusammenzubrechen, haben Maya und Lochan nur den jeweils anderen und sie können sich immer aufeinander verlassen. Sie haben, seitdem sie selbst kleiner Kinder waren, eine fünfköpfige Familie zusammengehalten und mussten für ihre Geschwister Vater und Mutter ersetzen. Als sie irgendwann merken, dass sie mehr füreinander fühlen, als Geschwister es normalerweise tun und diesen Gefühlen nachgeben, droht die ganze Welt die die beiden so mühsam zusammengehalten haben zu zerbrechen.
Meine Meinung Ich... puh. Schwierig. Fangen wir mit einem Fakt an. Ich arbeite mit Eselsohren. Ein Eselsohr für eine gute Textstelle im Buch. Eine, die mich mitgenommen hat, mich begeistert hat, was auch immer. Und ich habe noch NIE ein Buch so zerfleddert wie dieses. Ich würde  sagen, ich habe ungefähr jede zweite Seite markiert. Kein Satz ist hier überflüssig und jeder einzelne steckt so voller Leidenschaft, Verzweiflung, Hoffnung, Liebe, Zärtlichkeit oder nackter Panik, dass die Geschichte den Leser durch die Seiten jagt, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, zwischendurch Luft zu holen. Und ich meine das wörtlich, ich habe an mehreren Stellen des Buches vergessen zu atmen.
Die Geschichte an sich hat einen ganz einfachen Plot, um den herum sich alles abspielt: Zwei Geschwister verlieben sich ineinander. Ich habe keine Ahnung, wie oft so etwas vorkommt. Und ich kann auch nicht ansatzweise nachfühlen, wie sich eine solche Liebe entwickeln könnte, ich habe nämlich keine Geschwister. Von daher fällt es mir wirklich schwer zu beurteilen, ob Maya und Lochan im Buch überhaupt jemals das Gefühl von Bruder und Schwester aufkommen lassen, mir kamen sie von der ersten Seite vor wie ein Liebespaar. Ein Liebespaar deren Geschichte so kraftvoll, so herzzerreißend leidenschaftlich erzählt ist, dass dem Leser eigentlich keine andere Möglichkeit gegeben wird als mit ihnen zu hoffen, dass ihre Liebe doch irgendwie möglich ist. Eine Liebe so rein und doch so voller Schuld, dass sie die beiden droht zu ersticken.  Vor allem Lochan, der seit seinem zwölften Lebensjahr die alleinige Verantwortung für seine ganze Familie trägt, spürt das. Er verliert buchstäblich seine Stimme, ist so schüchtern, dass er außerhalb seiner Familie keinen Ton herausbringt. Außer, wenn es darum geht, ihre Familiensituation vor dem Jugendamt zu verstecken. Wenn er darum kämpft seine Geschwister zusammenzuhalten, schafft er es den Erwachsenen Mann zu mimen, obwohl er innerlich von Panikattacken geschüttelt wird. Und die Kraft dafür bekommt er von der einzigen Person, die auf seiner Seite steht: Maya. Als Lochan zum allerersten Mal in ihren Armen zusammenbricht - er hat seitdem sein Vater sie verlassen hat nicht mehr geweint - war ich so mitgenommen, dass mir richtig übel geworden ist.
I try to dry my eyes on my shirtsleeve, but the tears keep coming and  can´t understand why I am so utterly powerless to stop them. "Shh, come here-" Maya tries to pull me round to face her, I push her roughly away. She tries again. Frenziedly I fend her off with one arm. "Don´t Maya, stop it for chrissakes - please! Please! I can´t - I can´t-!" The sobs burst out with each word. I can´t breathe. I´terrified. I´m faling apart. "Lochie calm down. I just want to hold you, that´s all. Just let me hold you." Her voice adopts the soothing tone she uses when Tiffin or Willa are upset. She´s not going to give up. I scrape the fingernails of my hand against the wall, violent sobs running in shock waves through my body, tears soaking my sleeve. "Help", I find myself gasping. "I don´t understand what´s wrong with me!"
An diesem Punkt haben die beiden sich noch nicht eingestanden, was sie füreinander empfinden. Wenn sie es schließlich tun, gibt es auf  einmal in diesem ganzen verzweifelten, schwierigen Leben das die beiden führen, einen Lichtblick und den will man auch als Leser nicht aufgeben. Die beiden sind so gut füreinander und  tun dabei doch keinem weh, dass weder sie, noch der Leser verstehen können, was an dieser Liebe so falsch sein soll. Solange sie keine Kinder bekommen, geht es doch niemanden etwas an, was sie tun. Und doch können sie, sobald jemand etwas bemerkt, ins Gefängnis wandern. Denn Inzest ist in England (dort wo das Buch spielt) und auch in Deutschland (habs grad nachgeguckt) strafbar. Und was für die beiden noch viel schlimmer ist: Sie würden die Kinder verlieren. Zusätzlich haben die beiden jede Sekunde mit ihrem Schuldgefühl zu kämpfen dass sich nur aus den gesellschaftlichen Moralvorstellungen speist. Denn obwohl sich für die beiden alles so wie es ist genau richtig anfühlt, wissen sie doch, dass sie gesellschaftlich gesehen nicht normal sind. Und schließlich sind sie als Teil dieser Gesellschaft aufgewachsen. Ich hab irgendwann einen solchen Verfolgungswahn entwickelt - immer in der Angst, dass die beiden entdeckt werden - dass ich bei jeder Liebesszene schon mal eine Seite weiter geguckt habe, ob es positiv ausgeht (das mache ich sonst nie. Wirklich NIE!). Aber die Spannung wäre mir sonst einfach zu krass geworden, die Angst vor der Entdeckung hätte mich die ganze Szene lang atemlos gemacht.
Tabitha Suzuma greift mit diesem Roman mutig ein Tabuthema auf, mit dem sich normalerweise wahrscheinlich niemand beschäftigt, der nicht direkt betroffen ist. In Deutschland gibt es derzeit eine Diskussion ob das oben genannte Verbot rechtmäßig und zeitmäßig ist. Dieser Roman facht die Diskussion auf jeden Fall weiter an. Ich kann mir auf der Basis von erfunden Figuren da keine Meinung bilden, aber das Argument "es geht doch keinen außer den beiden was an, wenn beide es wollen" macht meiner Meinung nach grundsätzlich erstmal Sinn. 
Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist das dieses Buch mit Sicherheit eines der besten des Jahres ist und bleiben wird. Es hält den Leser von der ersten Seite an so fest in seinen Klauen, dass die Auswegslosigkeit der Situation ihn in einen dunklen Tunnel manövriert, der auch mit der letzten Seite nicht endet. Was bleibt, ist Hilflosigkeit.

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