Thema SF: Wir haben doch keine Zeit (Review: In Time)

In Time Poster - Fair Use aus WP

“In Time” – Poster – aus WP

Überschneidungen zwischen Themen dieses Blogs und Themen meiner akademischen Tätigkeit sind selten, teils ist das sogar beabsichtigt, denn das ist mein privater Blog und soll es auch bleiben. Im kommenden Semester werde ich aber das Thema Weltbilder in Science-Fiction in einem Seminar behandeln und daraus ergibt sich die Möglichkeit, diverse Filme/Bücher zum Thema Science-Fiction zu sehen oder zu lesen. Was uns dazu führt, dass ich einige davon hier in meiner bekannt unbarmherzigen Art rezensieren möchte. Erstes Opfer in dieser Serie wird der Film In Time (deutscher Untertiel: Deine Zeit läuft ab), den ich unlängst im Heimkino sah. Ab dem folgenden Absatz sind Spoiler nicht mehr auszuschließen, bitte bringen Sie ihre Augen daher entsprechend in Position. Vielen Dank!

Der Film aus der Feder von Andrew Niccol stammt aus dem Jahr 2011 und startet direkt mit einer ziemlich spannenden Prämisse: Wir befinden uns in einer nicht all zu fernen Zukunft  irgendwo in Amerika an einem Ort namens Dayton (muss aber nicht Dayton, Ohiosein). Durch eine flächendeckende genetische Veränderung endet der Alterungsprozess jedes Menschen im Alter von 25 Jahren. Ab da altern sie biologisch nicht mehr, aber die Medaille hat eine perfide Kehrseite. Denn damit es nicht zu Überbevölkerung kommt, trägt jeder Mensch eine eingebaute Uhr mit sich und bekommt ab dem 25. Lebensjahr noch exakt ein Jahr Lebenszeit, die er auf seinem Arm ablesen kann. Dies ist gleichzeitig die Währung in dieser Welt, anstelle von Geld bezahlt man alles mit seiner Lebenszeit, kann diese untereinander tauschen, wird damit bezahlt oder stiehlt sie. Wenn die Uhr auf null läuft, stirbt die Person unmittelbar. Die Welt, deren Umfang unklar ist, wurde in Zeitzonen unterteilt, die quasi die neue soziale Ordnung darstellen. In den reichen Zonen leben die Menschen im Grunde unbegrenzt lange, während in den armen Zonen wie Dayton, die auch das Ghetto genannt werden, die Menschen hart arbeiten (oder eben kriminell werden) für das Recht auf den nächsten Tag oder die nächste Stunde.

Interner Chronometer

Interner Chronometer

Unser Protagonist heißt Will Salas (Justin Timberlake) und lebt mit seiner Mutter Rachel (Olivia Wilde) zusammen. Sein Vater starb vor langer Zeit und er arbeitet zusammen mit Kumpel Borel (Johnny Galecki) in einer Fabrik. Die Menschen hier haben meist nur Stunden auf ihrer Uhr. Eines abends rettet Wil einen reichen Gast in einer Bar vor den kriminellen Minute-Men, dieser schenkt ihm daraufhin 116 Jahre und bringt sich dann selbst um, in dem er seine Zeit ablaufen lässt. Zuvor erklärt er Will das traurige Grundprinzip ihrer Gesellschaft: Damit wenige unendlich leben können, müssen viele sterben. Schon mal ein schöner sozialkritischer Ansatz, wie ich finde.
Der neue Reichtum öffnet viele Möglichkeiten aber auch Gefahren. Nachdem er seinem Kumpel Borel 10 Jahre geschenkt hat, will er mit seiner Mutter in die reicheren Zeitzonen bzw. ins Zentrum Greenwich reisen und verabredet sich mit ihr am Abend. Auf dem Nachhauseweg, sie hat gerade Zeit auf ihr Sparkonto eingezahlt, stellt Rachel allerdings fest, dass der Preis für den Bus nach Hause erhöht wurde und sie nicht genug auf der Uhr hat. Zu Fuß würde der Weg zwei Stunden dauern, sie hat aber nur 1 1/2 Stunden. Niemand will ihr Zeit leihen und so rennt Rachel um ihr Leben. Obwohl Will ihr entgegenläuft erreicht er sie Sekunden zu spät um ihr lebensrettende Zeit zu spenden.

Will und Sylvia auf der Flucht

Will und Sylvia auf der Flucht

Und so bricht Will allein auf, ruft sich eine Limo, die ihn ins Zentrum bringt. An jeder Grenze muss er einen höheren Betrag entrichten, um hinein gelassen zu werden. Das Zentrum ist ähnlich wie heutige Finanzdistrikte, an Dekadenz kaum zu überbeiten. Alle Menschen hier haben reichlich Zeit. Nach einer Nacht im Hotel und mit neuem Anzug geht Will ins Kasino, wo er beim Pokern den reichen Mitspielern tausende Jahre abknöpft. Dabei lernt er den Mogul Philippe Weis und sein Tochter Sylvia kennen und wird zu einem abendlichen Bankett eingeladen. Doch zurück in Dayton ist der Tod eines reichen Mannes nicht unbemerkt geblieben und Timekeeper ermitteln. Sie identifizieren Will, der sich durch seine Reise ins Zentrum auffällig verhält. Auf der Party (nachdem Will mit Sylvia im Meer geschwommen ist) verhaftet ihn der erfahrene Timekeeper Leon und man nimmt ihm den Großteil seiner Zeit ab, die er gestohlen haben soll. Ab hier beginnt eine Mischung aus Road-Movie und Verfolgungsjagd, denn Will kidnappt Sylvia und flieht. Er versucht Sylvias Vater zu erpressen, was nicht so gut funktioniert und daher überfallen beide, jetzt als Paar (Stockholm-Syndrom?), diverse Zeitbanken, um die Zeit gerechter zu verteilen. Dadurch gefährden sie aber das gesamte Zeitsystem und die etablierte Sozialstruktur, was sich natürlich die Timekeeper nicht gefallen lassen wollen. Nach längerer Flucht werden sie letztendlich in einer anderen Zeitzone von Leon gestellt, dessen Zeit aber just in diesem Moment abläuft. Auch Will und Sylvia sind nur noch Sekunden vom Ende entfernt… aber hier will ich mal die Spannung noch nicht versauen.

Denn die Idee ist wohl klar. Neben den interessanten Effekten, die bei einem auf Lebenszeit basierendem Wirtschaftssystem auftreten, fand ich einen Aspekt von Privatheit noch viel interessanter: Die Lebenszeit läuft in grell leuchtender LCD Schrift für alle gut lesbar auf dem Arm ab, wobei offenbar die Reichen dies bewusst durch lange Ärmel und ähnliches verdecken während die Armen quasi transparent sind. Als Armer unter Armen ist das kein Problem. Man stelle sich vor, in unserer Gesellschaft wären Armut oder Reichtum derart unmittelbar sichtbar? Zwar garantieren auch die Zeitzonen schon eine gewisse Abgeschlossenheit (deren Logik der Film auch nicht wirklich begründet), jedoch scheint es die Transparenz zu sein, die dafür sorgt, dass gegenseitige Kontrolle möglich ist. 
Trotz der spannenden Idee und eigentlich guter Darsteller,  muss man sagen, dass sich der Film ein wenig in der Bonnie-und-Clyde/Robin-Hood-Manier verliert, die in der zweiten Hälfte vorherrscht. Da wird viel gerannt und gefahren, aber die Action erreicht so wie die Story auch keinen wirklichen Höhepunkt oder gar eine Auflösung. Zu Beginn scheint es noch so, dass ein ominöses Geheimnis hinter der ganzen Maschinerie steckt, welches es zu entdecken gilt. Dem ist aber nicht so, kein großer Aha-Moment und auch die Destabilisierung des Systems am Ende des Filmes wird eher angedeutet als wirklich gezeigt, was ich ein wenig schade finde.

Trotz allem bleibt der Film als visualisiertes Gedankenexperiment sehenswert. Dass alle Figuren (selbst die, in den armen Zeitzonen) mal wieder unheimlich attraktiv dargestellt werden, könnte man als typischen Hollywoodimpuls auffassen, der ein wenig an der Glaubwürdigkeit des Films kratzt. Womöglich ist das aber auch nur eine Konsequenz der Alterungslogik, wo keine alten Menschen existieren, scheint es auch keine Hässlichkeit zu geben. Da lässt sich verschmerzen, dass der Film zwar versucht viele Konsequenzen der Grundlogik zu zeigen, aber die Story letztendlich wenig innovativ wirkt, auch weil der Pay-Off für mich nicht so toll funktioniert. Ähnlich wie die Romanze zwischen Will und Sylvia. Dafür gibt’s meinerseits vier Striche auf der Sieben-Segment-Anzeige. Hier noch mal der Trailer:

An dieser Stelle mal noch ein Hinweis auf eine interessante Community, wenn ihr Fans von Filmen seid. Auf Letterboxd könnt ihr nicht nur eintragen, wann und welche Filme ihr gesehen habt, sondern auch Reviews schreiben, Listen erstellen und das alles mit Freunden und anderen Filmfans teilen. Ich find’s nett gemacht, hier ist mein Profil. Und ich hätte noch drei Einladungen, Anfragen gerne in den Kommentaren.

Mit ein zwei oder drei Reviews in dieser Reihe möchte ich noch drohen, auf meinem Tisch liegt derzeit noch Another Earth, was mir ebenfalls eine recht interessante Prämisse zu haben scheint. Und dann gibt’s da noch einige Klassiker, die ich auch schon lange mal besprechen wollte, spontan fällt mir da Brazil von Terry Gilliam ein. Wir werden sehen.

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