Irgendwie muss es am Raum liegen. Seit das Rationaltheater in Schwabing wieder ein Theater ist, hat man dort zwei leise, konzentrierte und höchst spannende Inszenierungen von Lina Hölscher dort erleben können. Nun gab Jungregisseur Dominik Frank sein Rationaltheater-Debut – und zeigte in „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ ebenfalls einen ruhigen Stil, den man von seinen bisherigen extrovertierten oder schrillen Arbeiten nicht gewohnt ist. Das Spiel der eindringlichen, langen Blicke und langsamen Gesten, die manchmal an der Grenze der Hörbarkeit gesprochenen Worte scheinen unter Morphium zu stehen wie die Hauptfigur, eine verzweifelnde Ex-Filmdiva, deren Glanzkarriere mit dem Untergang des nationalsozialistischen Deutschland endete und die nun von einer Nervenärztin in stofflicher Abhängigkeit gehalten wird.
In der beeindruckend schlichten Bühne von Julie Boniche regiert folgerichtig klinisches Weiß, was der der eigentlich winzigen Bühne Tiefe und Leichtigkeit verleiht. Und so schwebt auch die Handlung wie in Trance federleicht über Zeit- und Ortswechsel hinweg. Dieser stilistische Ansatz funktioniert großartig – und beweist nebenbei, wie mühelos das Theater sich ein schnittreiches Filmdrehbuch (das Drehbuch zu Rainer Werner Fassbinders gleichnamigem Film bildet die textliche Grundlage der Aufführung) anzueignen vermag. Nicht der äußere Rahmen von Raum und Zeit verbindet und strukturiert die Szenen, vielmehr werden die Emotionen, die Begehrlichkeiten der Figuren zum fliegenden Teppich, der sie im Handumdrehen zum nächsten Einsatzort, zum nächsten Wendepunkt ihrer Leidensgeschichte trägt. Oft bemerkt man erst nach einiger Zeit, dass die Szene gewechselt hat, wo und wann man sich jetzt gerade befindet, und diese Vernachlässigung äußerer Details zugunsten des Innenlebens entwickelt einen ganz besonderen Sog.
Dominik Frank beweist, dass er auch diesen Stil beherrscht. Der Sog bricht nur ein, wenn die Eintönigkeit des Bühnenbildes auf die Textdeklamation abfärbt. Da vertraut Frank einer falsch verstandenen Form von purem, ungekünsteltem Sprechen, das letzten Endes nur fad und monoton wird. Besonders längere Monologe sind hochgefährdet. Mehr rhythmische Variation, mehr lebendige Durchdringung der Worte wäre hier dringend notwendig gewesen.
Einheitlich ist nicht nur die Farbe der Ausstattung, sondern auch das Geschlecht des Ensembles: Sechs identisch gewandete Frauen spielen alle Rollen, männliche wie weibliche. Als Sinnbild für egozentrische Wahrnehmung und Selbstbespiegelung besticht diese Lösung ebenso wie als Moment atmosphärischer Ödnis, führt aber doch zu erheblichen Verständnisproblemen, da einzelne Schauspielerinnen mehrere Figuren verkörpern und deren Kennzeichnung durch unterschiedliche schauspielerische Haltungen nur halbherzig geschieht. Nur Anna März bleibt ihrer Rolle als Veronika treu und zeichnet ein gutes Portrait, wenn man sich auch noch mehr sichtbaren Realitätsverlust und emotionale Unberechenbarkeit gewünscht hätte. Den leidenschaftlichsten Part gestaltet Nadine Badewitz als Journalist Robert, der in Veronikas Schicksal hineingezogen wird: Eine überzeugende Darstellung, die insbesondere nie der Versuchung erliegt, aufgesetzt männlich wirken zu wollen. Marie Golüke bringt mit ihrer schroffen Zeichnung von Roberts Lebensgefährtin nicht nur herrliche Komik, sondern auch einen sinnvollen inhaltlichen Kontrast ins Spiel, da sie der selbstzerstörerischen Emotionalität der beiden Hauptfiguren einen bodenständigen, fast dümmlichen Pragmatismus entgegensetzt. Subtilen Schauer verströmt die Nervenärztin Dr. Katz in Aline Mauchs leiser, eiskalter Interpretation, während der Rest des Ensembles deutlich hinter den genannten Darstellerinnen zurückbleibt.
Am Ende geht ein Stern auf, der am Anfang vom Himmel fiel und verglühte. Wieso diese plakativen Videoeinspielungen? Der restliche Abend macht doch klar, dass das Theater in der Lage ist, die Spannung mit den ihm eigenen Mitteln mühelos zu halten. Ein schöner Beitrag zum Fassbinder-Jahr, den man noch an zahlreichen Terminen bis Juni wird erleben können.