“The Wolf of Wall Street” von Martin Scorsese

Erstellt am 25. Dezember 2013 von Denis Sasse @filmtogo

Basierend auf den Memoiren des wirklichen Jordan Belfort: Leonardo DiCaprio in “The Wolf of Wall Street”

Leonardo DiCaprio hat ein gutes Jahr hinter sich gebracht. Ein Jahr, in dem er auf der Leinwand ausschweifende Leben leben konnte. Ein Jahr in dem er als großer Gatsby die romantische Seite von Ruhm und Reichtum genießen durfte. Ein Jahr in dem er sich als Großgrundbesitzer und Sklavenhalter der 1860er Jahre (Django Unchained) keine Gedanken über finanzielle Nöte machen musste. Und ebenso geht es für DiCaprio auch weiter: Als filmische Inkarnation des durchaus realen Börsenmaklers Jordan Belfort, einem Betrüger, der sich durch manipulativen Aktienhandel zum Früh-Multimilliardär machte. Belfort hielt sein exzessives Leben in seinen Memoiren The Wolf of Wall Street fest (nachdem er für seine Verbrechen 22 Monate Haft abgesessen hatte), denen sich nun Regisseur Martin Scorsese angenommen hat. Es ist eine Komödie im Scorsese-Stil, harter schwarzer Humor, versteckt hinter Tonnen von buntem Konfetti.

Der Film erzählt die Geschichte von einem ambitionierten Wall Street Jüngling, der Kokain und Martinis zum Mittagessen strikt ablehnt – obwohl sein Mentor Mark Hanna, gespielt von einem sehr gut aufgelegten Matthew McConaughey, ihn sehr überzeugend darlegt, dass es zum erfolgreichen Aktienhandel dazu gehört. Innerhalb kürzester Zeit reift Jordan Belfort zu einem Multimilliarden schweren Mann heran, der sich auch nicht mehr davor scheut, Alkohol und Drogen von frühmorgens bis spätabends zu sich zu nehmen, oftmals nicht zum Stressabbau, sondern einfach nur um Spaß zu haben. Er gründet die Firma Stratton Oakmont mit einem kleinen Team von Vertrauten, gewinnt mit seinen motivierenden Ansprachen aber das Ohr von über Tausend Mitarbeitern. Doch der Begriff der “Moral” verschwimmt, verschwindet irgendwann gänzlich aus dem Vokabular Belforts.

Belfort (Leonardo DiCaprio) genießt das gute Leben

Dieser wird von DiCaprio als ein Mix aus Gordon Gekko und Richie Rich gespielt. Mal meldet sich der knallharte Geschäftssinn, natürlich immer fern den gesetzlichen Regularien, dann mal krankhaft überzogen, mit Elan und Hyperaktivität einem Superschurken in einer Comicverfilmung gleichkommend. DiCaprio gelingt es Belfort als unsympathisches Arschloch darzustellen, der als Sinnbild für all das steht, was da oben bei den Reichen vor sich geht (und gesellschaftlich falsch läuft) und die Armen dort unten in Rage versetzt. Dennoch funktioniert er als Figur, die uns durch den Film geleitet, an deren Leben wir Anteil nehmen. Ein Arschloch, mit dem wir sympathisieren, nur um uns im nächsten Moment wieder stark von seinem Lebensstil zu distanzieren. Eine Gratwanderung, bei der jeder bei sich selbst schauen muss, was es ist, was Belfort so faszinierend werden lässt: ob purer Neid auf all diesen Reichtum und dem dazugehörigen Lebensstil, oder Abscheu vor den skrupellosen Machenschaften mit denen er andere Menschen ausnimmt um sich sein eigenes Wohlergehen zu sichern.

Wie genau er das macht, muss nicht weiter erklärt werden. Das macht uns Belfort selbst klar, wenn Leonardo DiCaprio als Quasi-Tourguide durch den Film agiert. Dann wendet er sich den Zuschauern zu und blickt ihnen mit seinen verkoksten Augen entgegen. Er spricht mit uns, aber nur um unsere Gedanken abzulenken. Hier geht es doch eigentlich nur um den Spaß an der Sache, an die genaueren Details sollen wir ebenso wenig Gedanken verschwenden wie der Film es tut.

Mit The Wolf of Wall Street kommt Regisseur Martin Scorsese wieder ganz nahe an seine großen Werke heran: Mean Streets oder Godfellas, das mafiöse Treiben ersetzt durch Börsenmarkler, die ebenso organisiert und kriminell auftreten. Wenn Leonardo DiCaprio dann nun ein Robert De Niro der Neuzeit darstellt, dann muss Jonah Hill hier als Joe Pesci durchgehen. Er setzt der Parade des schlechten Benehmens oftmals noch ein Sahnetüpfelchen oben drauf – und das obwohl Hills Donnie Azoff eine dem zu Grunde liegenden Buch hinzugedichtete Figur für den Film ist. Eine starke Bereicherung.

Jordan Belfort mit Donnie Azoff (Jonah Hill)

Es ist auch seit langer Zeit mal wieder ein Film – nicht nur für die Werke Scorseses gesprochen – der zu provozieren vermag. Auch wenn er mit seinen drei Stunden Laufzeit immer wieder wie ein Kaugummi in die Länge gezogen wird, werden manche Szenen so drastisch inszeniert, dass sie noch eine halbe Stunde nachklingen. So werden vor allem die Drogen- und Sexexzesse von DiCaprio, Hill und ihren Gefolgsleuten, ob im Büro oder im Flugzeug, wo auch immer man die Lust verspürt, wie Gemälde inszeniert, damit sich diese Ungeheuerlichkeit ganz besonders ins Gedächtnis einbrennen kann. Obacht bei solcherlei Stellen: das Gemüt muss schon ein wenig darauf vorbereitet sein, was hier mit nackten Fleisch getrieben wird – aber daran hat vermutlich auch Scorsese gedacht, wenn er schon recht früh im Film zeigt, wie DiCaprios Belfort sein Kokain auf recht ungewöhnliche Weise zu sich nimmt – das wohl geformte Popöchen einer Dame sowie ein Strohhalm spielen dabei eine immens große Rolle.

Es ist Scorseses fünfte Zusammenarbeit mit DiCaprio (Gangs of New YorkAviatorDepartedShutter Island) und die beiden zeigen, dass sie immer noch in Höchstform sind. Sie feiern gemeinschaftlich eine einzige filmische Party, die zwar manches Mal ausarten mag, aber so etwas gehört nun einmal dazu. Eine Party mit Koks, Nutten und grünen Dollarnoten soweit das Auge reicht, dass lässt sich nicht so einfach zusammen komprimieren, das muss ordentlich gefeiert werden.


“The Wolf of Wall Street”

Originaltitel: The Wolf of Wall Street
Altersfreigabe: noch nicht bekannt
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 180 Minuten
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Rob Reiner, Jon Bernthal, Jon Favreau, Jean Dujardin, Joanna Lumley, Cristin Milioti, Christine Ebersole

Kinostart: 16. Januar 2014
Im Netz: thewolfofwallstreet.ch