The Weekend Watch List: Raum
8DramaRegisseur Lenny Abrahamson inszeniert mit der Verfilmung des Romans von Emma Donoghue eine Entführungsgeschichte, die ihre Thematik aus einer erfrischend anderen Perspektive beleuchtet.
Jack (Jacob Tremblay) lebt zusammen mit seiner Mutter Joy (Brie Larson) in einem Schuppen, der ihnen neben einem kleinen Dachfenster und notdürftiger Einrichtung bloß wenige Quadratmeter Platz bietet. Die junge Frau wurde vor Jahren von einem Mann (Sean Bridgers), den sie gezielt mit einem Spitznamen des Teufels anspricht, verschleppt und muss seither ein unterwürfiges Dasein als Sexsklavin fristen. Da ihr in Gefangenschaft geborener Sohn nichts anderes als diesen einen Raum und das dazugehörige Inventar kennt, versucht sie alles, um ihm die aus dem Fernsehen bekannte Außenwelt als Fiktion vorzugaukeln. Allerdings beginnt die Fassade mit den zunehmenden Fragen des Jungen immer weiter zu bröckeln und so ringt sie sich schlussendlich zu einem riskanten Plan durch.
Die Handlung des Films breitet sich im Vergleich zu einem autobiografischen Werk wie 3096 Tage auf unerwartete Weise vor dem Zuschauer aus. Während die eigentliche Entführung beziehungsweise Flucht und das damit verbundene Grauen der Figuren lediglich am Rande Erwähnung findet oder bloß minimalistisch visualisiert wird, konzentriert sich der Film vor allem auf das Arrangieren mit der verstörenden Ausgangssituation und die spätere problembehaftete Resozialisierung in die Gesellschaft. Dies wird immer wieder von Jacks interessanten Gedankengängen zum Universum unterfüttert und verleiht der gesamten Erzählung Tiefe. Diese zieht ihre Faszination speziell aus der glaubhaften Beziehung zwischen Mutter und Sohn, bleibt stets nah an den Figuren und nimmt sogar über die meiste Zeit die Sichtweise des Kindes ein, was dem Werk eine ungeahnte Dynamik verleiht. Bis zur Hälfte baut Abrahamson behutsam Spannung auf, wohingegen der Ausbruch nicht vollends überzeugen kann. Obwohl die zweite Hälfte im Vergleich etwas abflacht, wurde der Surrealismus des lebensweltlichen Bruches gut umgesetzt, was zu einem großen Teil auch an den gelungenen schauspielerischen Leistungen liegt.
Brie Larson, die für ihre Darstellung unter anderem einen Golden Globe und den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewann, brilliert hier über die gesamte Laufzeit und schafft es mit Hilfe der vollen Bandbreite ihres Könnens eine wahrhaft starke, aber auch gebrochene Frau auf die Leinwand zu bringen. Dabei wurde, dankenswerter Weise, auf Make-up verzichtet, um die prekären Umstände der Figur zu unterstreichen. Larsons Spielpartner Jacob Tremblay steht ihr, trotz seines jungen Alters, allerdings um nichts nach und verkörpert seine Rolle so sensationell, dass man zumindest eine Nominierung bei der damaligen Oscarverleihung in Betracht ziehen hätte können. Es ist schlicht bemerkenswert, wie viel Persönlichkeit bereits in diesem Kind schlummert. Umso stimmiger ist es, dass der Film diese Stärke aufgreift und daraus eine emotionsgeladene Liebeserklärung an die Mutter strickt.
Kameramann Danny Cohen fängt des Weiteren die Tristesse der Isolation mit statischen Bildern und entsättigter Farbpalette ein, wobei diese immer wieder durch sattere Passagen durchbrochen werden, um die Hoffnung auf ein besseres Leben zu veranschaulichen. Die komponierte Musik von Stephen Rennicks fügt sich außerdem passend ins Gesamtbild ein und spiegelt die Gefühlswelt der Figuren wieder.
Raum ist ein mit viel Fingerspitzengefühl inszeniertes Drama, das durch sein herausragendes Leinwandpaar, dessen nachvollziehbare Charakterentwicklung und eine rührende Botschaft emotional bewegt.
Regie: Lenny Abrahamson, Drehbuch: Emma Donoghue, basierend auf ihrem Roman, Darsteller: Brie Larson, Jacob Tremblay, Sean Bridgers, Joan Allen, William H. Macy, Filmänge: 118 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 28.07.2016