The Weekend Watch List: Der Mann ohne Vergangenheit

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The Weekend Watch List: Der Mann ohne Vergangenheit

9Tragikomödie

Mittlerweile lässt sich sagen, dass Aki Kaurismäki weit über die Grenzen seiner finnischen Heimat Bekanntheit erlangt hat. Cineasten war er schon vorher ein Begriff, doch ein größeres Publikum erreichte er spätestens ab Der Mann ohne Vergangenheit.

Ein Mann (Markku Peltola) wird bei seiner Ankunft in Helsinki überfallen und brutal zusammengeschlagen. Nachdem er aus dem Koma erwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern, seine komplette Vergangenheit ist verschwunden. Da er nichts mehr über sich weiß, ist er unfähig eine fixe Arbeit oder eine Wohnung zu bekommen und startet ein neues Leben am (im wahrsten Sinne des Wortes) Rande der Gesellschaft. In einer Containersiedlung an den Ausläufen der Stadt, baut er sich eine neues Leben auf, lernt Freunde kennen und verliebt sich in Irma (Kati Outinen).

Der Mann ohne Vergangenheit ist der zweite Teil aus Kaurismäkis thematisch verknüpfter “Finnland”-Trilogie (folgte auf Wolken ziehen vorüber und fand seinen Abschluss mit Lichter der Vorstadt). Mit gewohnt lakonischem, trockenem Humor schildert Kaurismäki triste Umstände und harte, vom Schicksal gebeutelte Protagonisten, die trotz größter Widrigkeiten nicht aufgeben oder verzweifeln. Hier, wie auch in vielen anderen seiner Werke, zeigen sich zwei große Einflüsse des Filmemachers: Jean-Pierre Melville und Charles Chaplin (bzw. allgemein der Stummfilm). Stilistisch beerbt Kaurismäki den großen französischen Filmemacher Melville, indem er wortkarge, aber gleichsam schlagfertige Figuren kreiert, die in ihrem eigenen Universum ihren eigenen Regeln und Gesetzen folgen (wobei er das Gangster-Genre bewusst auslässt und sich vorwiegend auf Tragikomödien spezialisiert) und eine grundlegend zynische Haltung gegenüber der Welt, Gesellschaft, Zeit und/oder ihren Mitmenschen an den Tag legen.

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Der Einfluss Chaplins findet auf einer etwas anderen Ebene statt und zeigt sich vor allem darin, dass Kaurismäki, trotz aller Tristesse und Zynismus, doch stets das positive und optimistische hervorhebt. Letztlich sind seine Filme, obgleich der immanenten Tragik, auch immer hoffnungsvolle und -frohe Botschaften an das Gute im (einzelnen) Menschen, ähnlich wie es auch bei Chaplin der Fall war. Dass der Stummfilm auch eine große Inspiration für Kaurismäki war, zeigt sich an der Fähigkeit seine Geschichte und insbesondere den Humor auf einer nahezu rein visuellen Ebene darzustellen. Viele der lustigsten Momente in Der Mann ohne Vergangenheit entstehen alleine durch das Bild und nur selten durch das gesprochene Wort. Viel davon schuldet Kaurismäki natürlich auch den stoischen, lakonischen Darstellern, die im starken Kontrast zu ihrem Milieu doch eine sehr gewählte Ausdrucksweise besitzen und auch dadurch oft für Unterhaltung sorgen.

Der Mann ohne Vergangenheit hat Kaurismäki endlich auch international mehr Aufmerksamkeit beschert, warum das so ist, bleibt trotzdem fraglich, denn eigentlich ist der Film genauso grandios wie seine vorherigen Werke. Zu seinem Stil und seiner eigenen Handschrift hat Kaurismäki schon früh gefunden und so zeichnet sich auch Der Mann ohne Vergangenheit durch eine minimalistische Handlung, staubtrockenem Zynismus, unbeugsamen Protagonisten und einer letztlich optimistische Grundstimmung aus. So trist und tragisch der Film auch beginnt, die Figuren wachsen an sich selbst. Und wenn sich am Ende alles zusammenfügt, hat man (fast) das Gefühl soeben ein modernes Märchen gesehen zu haben. Wer also noch nie was von Kaurismäki gesehen hat, kann mit gutem Gewissen mit Der Mann ohne Vergangenheit den Anfang machen – wenngleich es nicht sein bisher größtes Meisterwerk ist (diese Ehre gebührt wohl eher I Hired a Contract Killer, Das Mädchen aus der Streichholzfabrik oder Lichter der Vorstadt), ist es doch ein perfekter Einstieg in seine filmische Welt.

Regie und Drehbuch: Aki Kaurismäki, Darsteller: Markku Peltola, Kati Outinen, Juhani Niemelä, Kaija Pakarinen, Sakari Kuosmanen, Filmlänge: 97 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 21.11.2014 (als Teil der Aki Kaurismäki Collection)

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Autor

Marco Rauch

Aufgabenbereich selbst definiert als: Kinoplatzbesetzer. Findet den Ausspruch „So long and take it easy, because if you start taking things seriously, it is the end of you” (Kerouac) sehr ernst zu nehmend.


 

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