Man kennt das: Da erwacht man ahnungslos aus dem Koma und um einen herum ist Apokalypse: Alles ist kaputt, überall Blut an den Wänden und keiner da, außer einem Arsch voll Untoter, die dringend Frischfleisch suchen. Na prima! Da ist der Tag erst mal gelaufen!
So geht es auch Hilfssheriff Rick Grimes (Andrew Lincoln). Doch statt wie der Rest von uns erst mal seinen Facebook-Status zu aktualisieren und sich dann zum Sterben in ein Loch zu legen, macht sich Rick auf diese Suche nach seiner Familie. In ihrem alten Reihenhaus wohnen jetzt aber die faulenden Nachbarn und in der ganzen Hektik haben Frau Lori und Sohn Carl leider vergessen eine Rücksendeadresse zu hinterlassen. Glücklicherweise erfährt Rick von einem Überlebenden, dass es in Seattle ein Flüchtlingslager geben soll…
Willkommen in der Apokalypse
Walking Dead gelingt es gleich vom Schlag weg, die Apokalypse so zu präsentieren, wie sich das ein tageslichtscheuer Zombie-Fanboy wie ich es sich immer gewünscht hat. Schon in den ersten Szenen wird klar: Hier fließt Blut. Da liegt eine halbaufgegessene Leiche im Krankenhaus herum, zwischen umgeworfenen Stühlen und verkrusteten Wänden. Auf einer doppelflügeligen Tür, die mit einer dicken Kette verrammelt ist, hat jemand geschrieben “Don’t Open – Dead Inside” und von innen rüttelt etwas an der Klinke – Hammer! Vor dem Krankenhaus stapeln sich weiße Säcke wie ein Korridor aus Toten, den Rick durchschreitet, bevor er ins fahle Tageslicht des Weltuntergangs tritt. Mit solchen Bildern transportiert Regiesseur Frank Darabont gekonnt das Gefühl von Zerstörung und Brutalität, das den Untergang der Welt zu den Füßen fauliger Leichen erst so sehenswert macht.
Eingeweide zum Mitnehmen, oder zum hier Essen?
Schon unsere Mütter wussten: Nur splattergeile Degenerierte gucken sich Zombiefilme an – also her mit dem Kunstblut und den Schweinehälften! Recht hatten sie. Vorweg sei angemerkt, dass es die Serie nicht ungeschnitten über den großen Teich geschafft hat. 30 Sekunden fehlen in den europäischen Fassungen. Das macht allerdings nicht viel, denn auch so bietet Walking Dead ausreichend Blut, um über die Runden zu kommen: Headshots, gespaltene Glieder, faulende Leichen – man darf die Wandelnden Toten in ihrer vollen, zerfleischten Blüte bewundern. Besonders spaßig wird es ab Folge 2, die passenderweise “Guts” heißt, in der Rick und Freunde sich mit dem verwesenden Innenleben einer Leiche tarnen, um als Zombies durchzugehen. Das ist fast schon wieder albern, aber auf jeden Fall schön ekelig. Erstaunlich, womit man heutzutage alles im amerikanischen Abendprogramm davonkommt…
More Drama, Baby
Vielleicht liegt das daran, dass Walking Dead sich stark auf die zwischenmenschlichen Dramen konzentriert. Die auferstandenen Toten sind nur der Rahmen für die Konflikte, die entstehen, wenn die Welt mit einem Mal den Bach runter geht. Es geht um grundlegende Themen wie Moral, Menschlichkeit und Pragmatismus im Angesicht des Untergangs. Kann man einfach seine Frau oder Mutter erschießen, obwol sie sich gerade in ein Monster verwandelt? Darf man einen Rassisten und Unruhestifter seinem Schicksal überlassen?
Es entstehen emotional geladene Szenen, die den Schock einer Welt zeigen, in der die Toten regieren. Das einzige Problem ist, dass sich Walking Dead im Laufe von sechs Folgen anfängt mit Drama zu überladen. Ab Episode 6 watet man durch einen Sumpf zwischen Trauer, Liebe und Verzweifelung. Die Handlung ist wirklich packend, doch manchmal ist weniger einfach mehr.
Mr. Nice Guy
Dieser Eindruck ist vor allem in der Figur von Rick Grimes begründet, a.k.a. “Officer Friendly”. Rick ist ein Paladin für Moral und Menschlichkeit, während die Welt um ihn herum in blutige Stückchen zerbricht. Er ist ein Beispiel für alle, ein echter Held mit weißer Weste. Er muss das Richtige tun, koste es, was es wolle. Wirklich interessant und schon in Folge 1 eingeführt ist der Konflikt zwischen ihm und seinem Kumpel Shane (Jon Bernthal), der sich während Ricks Abwesenheit um seine Familie gekümmert hat und sowas wie ein Ersatz für seine Frau und seinen Sohn geworden ist. Während Rick sich in alle denkbaren Gefahren stürzt, um das Richtige zu tun, liegt Shanes Priorität auf dem Schutz der Gruppe und Ricks/seiner Familie. Beide liegen richtig mit ihrer Art und man fragt sich unweigerlich, wie man selbst in solch einer Situation reagieren würde.
Das Problem an Officer Friendly ist aber, dass er sich nicht entwickelt. Alle sechs Folgen lang bleibt er der moralisch aufrechte Typ, der keine Zweifel an seiner Integrität zulässt. Irgendwann wandert er einem damit aber so langsam auf den Schnürschuh. Die anderen Charaktere sind da deutlich interessanter, allen voran Shane und Dixon (Norman Reedus), die viel mehr Facetten haben als Rick.
Fazit
Abschließend kann ich festhalten, dass The Walking Dead eine sehr gute Serie ist, die mir ein paar unterhaltsame Stunden beschert hat. Ich habe die komplette Staffel in einer Sitzung durchgeguckt und war sehr zufrieden. Ich freue mich auch, dass dank des Zombie-Hypes der letzten Jahre nun auch Sendunden existieren dürfen, in denen Zombies fern ab von billigem Splatter oder schlechter Comedy einen Platz haben, als Szenenbild für interessante Geschichten. Seit 28 Days Later hat für mich kein Film die endzeitliche Stimmung so gekonnt rüber gebracht, wie Walking Dead – Staffel 2 ist deshalb schon so gut wie vorbestellt.
Trotzdem: Ich bin verwöhnt von Serien wie Breaking Bad, Mad Men und Dexter und irgendwie fehlt mir bei Walking Dead noch etwas. Der springende Funke, der die Serie für mich in den Olymp katapultiert, in welchem sich die genannten Beispiele bewegen, fehlt. Damit ist The Walking Dead eine sehr gute Serie, aber nicht genial.
(Alle Bilder ©AMCtv)