Die Sterne-Gastronomie hat einen denkbar schlechten Ruf was Lässigkeit und Spaß angeht. Dem gängigen Klischee zufolge geht es in den meisten einschlägigen Restaurants ungefähr so locker zu wie im Bewerbungsgespräch bei der Deutschen Bank. Der Ruf besteht nicht ganz zu Unrecht: ich kann mich an einen empfindlich peinlichen Moment vor knapp 10 Jahren beim damaligen 3 Sterne-Koch Dieter Müller erinnern. Dort hatte ich – bei unserem ersten (!) Essen in einem 3 Sterne-Restaurant überhaupt – einen kleinen Fleck auf dem Tischtuch produziert. Daraufhin rückten zwischen Hauptgang und Dessert drei Kellner mit ernster Miene und einem Viertel-Tischtuch (!) an, um mit einem nahezu artistischen Vorgang von Entfalten – Auflegen – Glätten mit diesem Extra-Tischtuch den Fleck zu verdecken.
Ähnlich irritiert hat mich lange das Abdeck-Ritual im, ebenfalls in Bergisch Gladbach beheimateten, Restaurant Vendome. Dort nämlich bedankte sich der Service bis vor wenigen Jahren beim Abräumen der Teller mit einem derart feierlichen “ganz herzlichen Dank”, als ob man ihm gerade ein dreistelliges Trinkgeld zugesteckt hätte.
Doch glücklicherweise bleibt nichts wie es war…
Denn nicht nur im Vendome – das Restaurant Dieter Müller gibt es schon lange nicht mehr – geht es mittlerweile erheblich entspannter zu.
Wo die Reise idealerweise hingehen kann, durften wir diesen Sommer im – nach Bewertungen – besten Restaurant von Zürich erleben, dem The Restaurant im Hotel Dolder Grand. Denn obwohl das altehrwürdige Hotel mit Sicherheit nicht im Verdacht steht, ein Hort hippie-esker Lässigkeit zu sein, durften wir dort ein Mittagessen erleben, das das Attribut perfekt in jeder Hinsicht – und für die Betreuung im Besonderen – verdient.
Dabei stand unser Besuch unter einem denkbar schlechten Stern: der kleine Mann ( 3 Jahre) war am Vortag im Freibad auf eine Wespe getreten und hatte eine erhebliche allergische Reaktion entwickelt. Und meine Frau hatte die Sommergrippe erwischt. Die Nacht vor unserem Termin im Dolder war folgerichtig ein einziges Jammern und Röcheln. Ich ahnte Schlimmes, doch es kam anders…
Das Dolder Grand – links „die alte Dame“, rechts der moderne Anbau
Zunächst ein paar Zahlen – Daten – Fakten: Das Hotel Dolder Grand liegt am Westhang des Adlisbergs oberhalb von Zürich. Dort steht es seit 1899. Zwischen 2004 und 2008 wurde das Haus, begleitet durch den Star-Architekten Norman Foster, für um die 440 Mio. Franken aufwändig renoviert und erweitert. Die Zimmerpreise sind, wie nicht anders zu erwarten, üppig.
Im The Restaurant kocht der Deutsche Heiko Nieder auf absolutem Weltklasse-Niveau und ist – nach unserer Einschätzung – mit zwei Michelin-Sternen etwas knauserig bewertet. Ich will nicht lange drum herum reden: das Amouse Bouche-Menu zum Lunch gehört mit zum Besten, was wir in den letzten Jahren in der Sterne-Gastronomie genießen durften. Heiko Nieder kocht einen handwerklich sehr filigranen, anspruchsvollen und dennoch leicht wirkenden Stil, der spürbar in der Klassik verortet ist, auf Sperenzchen komplett verzichtet und dennoch ausreichend Raum für, zum Teil auch gewagte, Experimente lässt. Für die harmonische – und überaus gelungene – Integration von Kimchi-Sud in ein Dessert zum Beispiel muss man schon ein bißchen crazy sein.
The Restaurant im Dolder Grand
Das mittägliche Amuse Bouche-Menu im The Restaurant ist mit unter 100 Franken sowohl absolut als auch relativ, meint: bezogen auf Schweizer Verhältnisse, eines der größten Schnäppchen der europäischen High End-Gastronomie.
Neben dem tatsächlich spektakulären Essen ist es aber die Betreuung, die uns nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist: angefangen beim, vermutlich an S-Klasse und Ferrari gewöhnten, Wagenmeister, der unser Auto so freundlich und selbstverständlich parkte als wäre es sein Tagesgeschäft, Familienkutschen mit Dachbox zu betreuen bis hin zum perfekten, entspannten Service im Restaurant – besser haben wir es noch nicht erlebt. Mein persönliches Highlight war dabei ein Service-Mitarbeiter, der mit dem kleinen Mann zunächst liebevoll den Eis-Wunsch erörterte, ihm dann leicht besorgt erklärte, dass Erdbeere nicht immer vorrätig sei weil man ja alle Eissorten selber herstelle um dann in der Küche zu verschwinden und einige Minute später freudestrahlend mit dem gewünschten Erdbeereis wieder aufzutauchen. Service kann man vielleicht anders, aber nicht besser machen.
Lust, eigene kreative Rezepte zu entwickeln? Kochen ist doch am schönsten, wenn es als Spielfeld dient um Kreativität und Leidenschaft sprudeln zu lassen. Auf cookin‘ findest Du zu jedem Rezept Ideen, was man mit einer oder mehrere der Zutaten noch so alles anstellen kann. Hier geht es lang…
Food Pairing-Baum Rote Beete
Food Pairing-Baum Erdbeere
Das Original von Heiko Nieder – in der Mitte
Zum Rezept
Erdbeere und rote Beete – und dazu noch Krustentiere – auf diese Kombination wäre ich im Leben nicht gekommen. Insofern bin ich sehr dankbar, dass uns Heiko Nieder in seinem Menu auf diese tolle Kombination gebracht hat. Bei ihm gab es das Ganze mit Hummer. Ich habe mir erlaubt, den Hummer durch Garnelen zu ersetzen und Schwarzbrot-Crumble sowie einen Buttermilch-Schaum zu ergänzen.
Garnelen
1 – 2 Garnelen pro Nase, Wildfang
Sesam-Öl
Salz
Pfeffer
Die Garnelen in Sesam-Öl scharf anbraten. Salzen und pfeffern.
Rote Beete
1 große rote Beete
Meersalz
Die rote Beete auf Meersalz in Alufolie einpacken. Im Ofen bei 175 Grad ca. 90 Minuten schmoren. Dann schälen, in die gewünschte Form bringen und beiseite stellen.
Schwarzbrot-Crumble
2 Scheiben Schwarzbrot, getrocknet
Salz
Pfeffer
Das Schwarzbrot fein mörsern und in einer beschichteten Pfanne ohne Fett knusprig braten. Mit Salz und Pfeffer würzen und beiseite stellen.
Buttermilch-Schaum
150 g Buttermilch
150 g Crème Fraîche
2 EL Traubenkernöl
1 EL Weißweinessig
1 EL Mirin
1 Blatt Gelatine
Salz
Die Hälfte der Buttermilch erhitzen. Die Gelatine in kaltem Wasser einweichen, dann gut ausdrücken und in der warmen Buttermilch auflösen. Alle Zutaten mischen, in einen ISI Siphon geben, mit zwei Patronen begasen und mindestens vier Stunden kalt stellen. Das Rezept stammt übrigens vom wunderbaren Blog Kaquus Hausmannskost. Ich habe lediglich ein Blatt Gelatine für etwas mehr Stabilität ergänzt.
Anrichten
Alle Komponenten von oben
Olivenöl
Erdbeeren, ge-viertelt bzw. ge-achtelt, je nach Größe
Garnitur, z.B. junger Rucola, Veilchen-Blüten, Kresse, Blutampfer, Fenchel o.ä.
Den Schwarzbrot-Crumble z.B. in Ringform auf einem flachen Teller anrichten. Alle Komponenten darauf verteilen und das Ganze garnieren. Mit etwas Olivenöl beträufeln.
Kleiner Nachtrag: anders als auf dem Foto tut dem Gericht eine größere Portion des Buttermilch-Schaumes gut.
Außerdem habe ich auf dem Foto das Olivenöl vergessen
Dazu passt…
Ca del Bosco – Franciacorta Rosé Cuvèe Prestige N.V.
Ein toller Rosé-Sprudler mit sehr, sehr, sehr gutem Preis-Leistungsverhältnis. Ich kenne keinen Rosé-Champagner, der auf diesem Preislevel (gut 30€) soviel Spaßfaktor bei gleichzeitig ungewöhnlich hoher Komplexität und Substanz liefert. Die erdigen, nussigen Töne kommen besonders gut zum Schwarzbrot. Und die frische Fruchtigkeit harmoniert bestens mit den Erdbeeren und der Roten Beete. Toller Wein, tolle Kombination.
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