"The Newsroom" - "The West Wing" auf Drogen

Von Stefan Sasse
Auf HBO ist kürzlich eine neue Serie angelaufen: "The Newsroom". Geschaffen wurde sie von Aaron Sorkin, der dem Einen oder Anderen ein Begriff sein mag: Sorkin ist nicht nur verantwortlich für das Drehbuch zum brillanten Lynch-Film "The Social Network", sondern auch der Erschaffer der wohl besten Politikserie bis dato, "The West Wing". In seiner neuen Serie "Newsroom" widmet sich Sorkin erneut dem Politischen, dieses Mal allerdings aus der Perspektive der Medien. Das Setting dreht sich hauptsächlich um die Figurenkonstellation Will McAvoy (Jeff Daniels), dem erfolgreichen News-Anchorman des fiktiven Senders ACN, und seiner Produzentin MacKenzie (Emily Mortimer). McAvoys Programm ist sehr erfolgreich, weil er jede Festlegung vermeidet und "klassische" Nachrichten macht: nicht tiefschürfend nachfragen, emotionalisieren und möglichst unparteiisch. Sonderlich zufrieden ist er damit nicht, und als seine Ex-Freundin MacKenzie zu seiner Produzentin wird und versucht, ihn von den Quoten wegzubringen, sind Konflikte praktisch vorprogrammiert. Flankiert werden die beiden von diversen Figuren aus McAvoys Stab, so etwa der tollpatschig-netten Maggie, dem etwas schleimigen Don und dem nerdigen Jim. Auch ein indischer IT-Spezialist und andere Klischeerollen fehlen nicht. Die Markenzeichen der Serie sind dieselben wie bei "West Wing": eine liberale Mission, fast religiöser Idealismus der Charaktere und scharfer, schneller Dialog. Streckenweise schaut sich "Newsroom", als ob es eine von Sorkin-Kritikern geschaffene Parodie wäre -  "West Wing" auf Drogen. Und das ist kein Kompliment. 


Tatsächlich finden sich einige der größten Kritikpunkte, die man Sorkin schon immer vor die Füße werfen konnte, in fast verstärkter Form im "Newsroom" wieder. Der erste, offensichtliche sind die holzschnittartigen Charaktere, die letztlich nur als Vehikel für Sorkins Dialoge dienen (die absolut anspruchsvoll und unterhaltsam sind, keine Frage, das ist seine größte Stärke). Aber sympathische Gestalten, um deren Schicksal oder Leben man sich sorgen würde, sind sie eigentlich nicht. Das hängt vermutlich mit dem zweiten, etwas subtileren Kritikpunkt zusammen: Sorkin ist ein chauvinistischer Macho, und das findet sich in seinen Figuren wieder. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. McAvoy ist der brillante Fixpunkt des Universums, dem sich alle anderen zu unterwerfen haben - ähnlich wie Präsident Bartlet in "West Wing" ist McAvoy clever, charismatisch, eigenwillig und arrogant. MacKenzie himmelt  ihn an, betont mehrfach eben diese Brillanz und erhebt ihn zum ultimativen Alles. Nur McAvoy kann tun, was getan werden muss, und das ist nichts Geringeres als die ganze Nation zu belehren - zumindest die 5%, die als würdig empfunden werden. Die West-Wing-Charaktere hätten über solch offenen Elitismus noch den Kopf geschüttelt, obwohl sie selbst schon reichlich snobistisch veranlagt waren.
Die Charaktere des Newsrooms allerdings toppen das um Längen. McAvoy wird bereits explizit als Vertreter und Posterboy der nordöstlichen "Ivy League" vorgestellt, den MacKenzie "wieder sexy" machen möchte - was die nicht unberechtigte Gegenfrage eines Stabmitglieds aufwirft, ob es denn überhaupt je sexy war. Zweifel daran aber kann MacKenzie mit einer emotionalen, pathetischen Rede über die außergewöhnliche Brillanz McAvoys beiseite wischen. Es fühlt sich an, als ob Sorkin hier seinen eigenen Feldzug führen würde, gegen das Lob auf die Mittelmäßigkeit, das besonders die republikanischen Primaries kennzeichnete (man darf gespannt sein, wie diese in späteren Newsroom-Folgen eingearbeitet werden). Dieser Feldzug beschränkt sich aber nicht auf die Glorifizierung von Führungsgestalten, von der gleich noch die Rede sein wird. Sorkin hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie "News" auszusehen haben, und diese Vision wird von Anfang an als richtig und, vor allem, inhärent gut dargestellt. McAvoy ist vom Licht abgefallen, macht nur "gutes Fernsehen", aber das ist nicht identisch mit "News".

Eine gute Nachrichtensendung, das hämmert MacKenzie ihrer Umgebung und dem Zuschauer unermüdlich ein, kann nur anspruchsvoll und mit reinen Fakten gespickt sein - das "menschliche Gesicht" von Geschichten ist irrelevant. Stattdessen sollen nur Expertenmeinungen zum Zuge kommen. Sehenden Auges wird dabei in Kauf genommen, dass die Einschaltquoten drastisch sinken werden. Für MacKenzie ist das kein Problem, bleiben am Ende doch nur die "Richtigen" übrig - eine handverlesene Auswahl von intelligenten, wohl liberal eingestellten Zuschauern.
Tatsächlich ist dies die größte Schwäche des "Newsroom". Viele Ziele Sorkins sind vollkommen verständliche, gute Ziele - die Beliebigkeit der Nachrichten, ihre oft plumpe Aufpumperei von vermuteten Reißern, die Quote bringen, ihr niedriges Niveau, ihre Weigerung, tiefere Zusammenhänge zu erkennen. Die Abhilfe, die Sorkin vorsieht, ist aber ebenfalls bedrohlich. Er stellt eine charismatische Führungsfigur nach vorne, die Kraft ihrer Autorität und inhärenten moralischen Überlegenheit die Rolle eines wohlmeinenden Erziehungsdiktators spielen kann und soll. In "West Wing" stellten die Akteure ihre Visionen noch dem Votum der Wähler, im "Newsroom" dagegen stehen allenfalls bösartige Beharrungskräfte des "business" dem Durchbruch dieser Vision gegenüber. Eine ernsthafte demokratische Kontrolle oder auch nur ein Gefühl von Team kommt, entgegen aller Beteuerungen, nicht auf. Der Stab muss sich in fast religiöser Weise seinem Führer unterordnen. Man kann dies beispielhaft an Maggie sehen, der hübschen, jungen und etwas tollpatschigen Assistentin McAvoys (Frauen haben in Sorkins Welt ausschließlich Assistentenfunktion), die mit feuchten Augen ihre Loyalität zu McAvoys Genie erklärt und darüber sogar ihren Lebensgefährten versetzt. Diese beinahe religiöse Führervehrung fand sich bereits in "West Wing", wo sie aber besonders nach dem Weggang Sorkins in der vierten Staffel behutsam dekonstruiert wurde.
Der Vergleich mit "West Wing" lohnt sich immer wieder, denn tatsächlich findet sich viel von dem, was damals bereits kritisiert wurde auch im Newsroom.

Die fehlende Charakterentwicklung gehört dazu. An vielen Stellen hat man im Newsroom das Gefühl, die Geister der West-Wing-Charaktere über den Personen schweben zu sehen. Maggie beispielsweise ist eine Reinkarnation von Donna, McAvoy ist Bartlet. Teilweise überschneiden sich sogar Szenen und Dialoge. Eine Weiterentwicklung dieser Charaktere ist unter Sorkin kaum zu erwarten. Es brauchte vier Staffeln und seinen Weggang im "West Wing", bevor erstmals Wolken aufzogen und nicht nur issues aus der Politik, sondern dem Mikrokosmos des Weißen Hauses ebenfalls zum Thema wurden. Ob dies im Newsroom geschehen wird ist fraglich. Bisher jedenfalls nutzt Sorkin seine Charaktere ausschließlich zum Transport seiner Botschaften und als Aggregate für seinen Dialog. Das sorgt für sehr unterhaltsames Fernsehen, und für alle liberal eingestellten Zuschauer findet sich wieder das wohlige Gefühl ein, auf der richtigen Seite zu stehen und dieser Seite beim Gewinnen zuzuschauen. Der Nachgeschmack aber bleibt. Was ist das alles schließlich wert, wenn es sich nur unter Konzentration auf eine schmale Elite erreichen lässt. Die Verachtung des "breiten Volkes", die aus diesen Zeilen schaut, ist letztlich einer der Gründe, warum sich Sorkins richtige Ideale nicht in die Realität übertragen lassen. Das Finden echter Mehrheiten ist seine Sache nicht, stattdessen verlegt er sich darauf, sie herablassend durch einen Messias ans Volk zu bringen.


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