The Making of ‚Das Buch‘ (Teil 2): Ja, wo schreibt er denn?

Mein liebes Tagebuch,

vom Buchschreiben hatte ich eine sehr romantische Vorstellung. Also, bevor ich anfing, ein Buch zu schreiben.

Vor meinem geistigen Auge sah ich mich im Garten eines toskanischen Landhauses sitzen, mein Blick schweift nach Inspiration heischend über Olivenhaine und Weinberge. Ab und an tippe ich Sätze von Thomas Mannscher Qualität in eine mechanische Schreibmaschine (ja, mein geistiges Auge ist eher ein wenig nostalgisch veranlagt und hat ein Faible für die 60er/70er Jahren des letzten Jahrhunderts). Gelegentlich tritt die Freundin zu mir in den Garten, serviert mir Kaffee sowie frisch gebackenen Kuchen und bringt ihre Bewunderung ob meiner literarischen Höchstleistungen in angemessenen, wohlfeilen Worten zum Ausdruck.

Spätestens an dieser Stelle hätte mir dämmern sollen, dass mein Idealbild des schriftstellerischen Wirkens in höchstem Maße unrealistisch ist.

Bleistifte an Notizbuch

Bleistifte an Notizbuch

Darüber hinaus fehlt es mir auch an den pekuniären Möglichkeiten, einen 3-monatigen Auslands-Aufenthalt zu finanzieren. Meine E-Mail an die Kollegen vom Seitenstraßen Verlag mit der Anregung, für eine solche Schreib-Klausur in Norditalien aufzukommen, ließen sie bisher unbeantwortet. Wahrscheinlich irgendein Problem mit ihrem Server oder sie waren während der Leipziger Buchmesse zu beschäftigt.

Nun, es ist wie es ist und daher muss ich das Manuskript im unwirtlichen Berlin schreiben. Dabei habe ich festgestellt, es gibt nur sehr wenige Situationen, in denen ich zum produktiven Schreiben komme, aber sehr viele, die es nahezu unmöglich machen.

Beim Fahrradfahren kommen mir beispielsweise sehr oft gute Ideen für Anekdoten, die es festzuhalten gilt. Allerdings hindert mich – neben kleinkrämerischen Bedenken bezüglich der allgemeinen Verkehrssicherheit – mein unterdurchschnittlich ausgebildeter Gleichgewichtssinn daran, freihändig zu fahren, so dass ich mir während der Fahrt keine Notizen machen kann. Wenn ich dann mein Ziel erreicht habe, sind alle Ideen im intellektuellen Vakuum meines Kopfes verschwunden.

Wenn ich bei schlechtem Wetter mit der U-Bahn unterwegs bin, ist dies für den kreativen Schreibprozess auch nicht förderlich. Die Waggons sind voll, die Luft ist stickig und die Gerüche streng. Dazu sitzt man auf durchgesessenen Polstern, eingequetscht zwischen breitbeinigen Männern, die während der Fahrt unablässig ihre Hoden sortieren, und Frauen, die pausenlos in ihr Handy quasseln, was die Frage aufwirft, ob sie eine Parkuhr angerufen haben, die sie zutexten. An Schreiben ist da überhaupt nicht zu denken.

Auch im Kaffeehaus will das Schreiben nicht so recht gelingen. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt (und erhofft), wie ein Bohème in Straßencafés zu sitzen, unzählige Cappuccini zu trinken, Kuchen zu verspeisen und dabei Dutzende von Notizbüchern mit genialischen Ideen vollzuschreiben. In der harten Realität gebe ich mich aber immer erst voll und ganz dem Verzehr des Kuchens hin, der mit allen Sinnen erfasst und genossen werden möchte. Und schon ist die Stunde freie Zeit rum und der nächste Termin ruft oder die Kinder müssen irgendwo abgeholt werden.

Ein Wochenende bei den Eltern anlässlich einer Familienfeier ist der Entwicklung des Manuskripts ebenfalls nicht förderlich. Dort ist man in einem zeit- und kraftraubenden Kreislauf aus Essen, Trinken, Verdauen und Schlafen gefangen. Die Übergänge sind dabei übrigens fließend, wie die 90-jährige Großtante bewies, die an der Kaffeetafel einschlief; möglicherweise langweilte sie die Konversation mit mir. Auf jeden Fall hat man im Zuge einer solchen Familienzusammenkunft schlicht keine Zeit, etwas Sinnvolles zu Papier zu bringen.

Das Liebesspiel eignet sich ebenso wenig, Geschichten für das Buch zu entwickeln. Es mag passieren, dass man während des kopulativen Aktes kurz aus dem Reich der Ekstase gerissen wird und plötzlich einen Geistesblitz hat. Zu einem elaborierten Dialog, einem mysteriösen Nebencharakter oder einem ungeahnten Twist des Plots. Aber glaube mir, mein liebes Tagebuch, dies ist unter gar keinen Umständen der richtige Moment, um nach Stift und Papier zu greifen und sich ein paar Notizen zu machen. Hat mir ein Freund erzählt.

Der allerungünstigste Ort um das Manuskript voranzutreiben, ist allerdings der heimische Schreibtisch. Hier ist produktives Arbeiten einfach nicht möglich, denn es gibt zu viele Möglichkeiten zur Prokrastination. Ich habe das mal ein paar Tage ausprobiert und was soll ich sagen: Die Wohnung sah nie so ordentlich aus, wie in diesen Tagen. Ich habe Wäsche gewaschen, aufgehängt, gefaltet und weggeräumt, Pflanzen gegossen und von verdorrten Blättern befreit, alle Arbeitsflächen in der Küche gewienert, Altglas weggebracht, das Bad auf Hochglanz gebracht, die komplette Wohnung gesaugt, alte Rechnungen abgeheftet und den Schreibtisch aufgeräumt. Nur geschrieben habe ich nicht.

Gut, mein liebes Tagebuch, der letzte Absatz war erstunken und erlogen. Die Wohnung war auch in dieser Zeit so chaotisch wie eh und je. Dafür habe ich das Buchschreiben prokrastiniert, indem ich diesen Text verfasst habe. Auf dem Klo. Da bin ich nämlich ganz für mich alleine und habe keine Ablenkung.

Vielleicht werde ich hier das komplette Buchmanuskript schreiben. Ich muss nur noch die Freundin dazu bringen, mir ab und an Getränke und Essen zu bringen. Dann ist es eigentlich fast wie in der Toskana.

Ciao,
Dein Christian

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Alle Kapitel von „The Making of ‚Das Buch'“ gibt es hier.


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