Storyboard-Bilder zu Hayao Miyazakis letzten Film als Regisseur: “Wie der Wind sich hebt”
Das Gesicht dieses Mannes ist so markant, dass seine Fans schon allein die Silhouette mit ihm in Verbindung bringen. Der plüschig-flauschige Waldgeist Totoro ist das eigentliche Markenzeichen des Studio Ghiblis, aber Hayao Miyazaki, Mitbegründer und vielleicht erfolgreichster Filmemacher der japanischen Zeichentrickschmiede, könnte ebenso das Logo des Studios darstellen. Dementsprechend steht er auch im Mittelpunkt der Dokumentation The Kingdom of Dreams and Madness, obgleich dieses Königreich natürlich das Studio Ghibli betiteln soll. Regisseurin Mami Sunada weicht hier dem weiß-bärtigen Miyazaki nur selten von der Seite. Es ist sein Reich der Träume und der Verrücktheiten, das sie uns zeigen möchte.
Während der Entstehung der beiden Ghibli-Titel Wie der Wind sich hebt von Miyazaki und Die Legende der Prinzessin Kaguya von Isao Takahata erhalten wir Einblicke in die Struktur, Geschichte, den Alltag, die Prozesse, Rituale und Strategien Miyazakis und des Studio Ghiblis. Dabei bleibt es nicht immer so traumhaft wie der Titel der Doku es suggerieren würde. Auch hier, wo die Märchen noch per Hand gezeichnet werden, muss man sich in Meetings über Merchandising unterhalten – also ganz unromantisch-geschäftliche Dinge. Immerhin wird im nächsten Moment wieder auf Hayao Miyazaki geblendet, der an solchen Meetings scheinbar nie teilnimmt, lieber im Zeichenstudio bei seinen Mitarbeitern sitzt und während der Arbeitspausen gemeinschaftliche Dehnübungen für die Belegschaft anführt.
Emsig arbeitet Miyazaki an den Zeichnungen zu seinem Film
Miyazaki wird nicht als Chef im Sessel geoutet, sondern als emsiger alter Mann, dem die Kamera kaum zu folgen vermag. Irgendwie ist er immer in Bewegung. Sein Zeitplan sieht Arbeit rund um die Uhr vor. Samstage und Feiertage ignoriert er, nur am Sonntag gönnt er sich eine Auszeit von Ghibli, um seinen ganz eigenen Bedürfnissen nachzugehen. So fit Miyazaki körperlich wirkt, so fit ist er aber auch geistig, nur dass er sich schon im Alter befindet, immer wieder in seinen Gedanken schwelgt, ob das alles Sinn mache, was er hier tut, was er leistet, welche Bedeutung dem Großen und Ganzen zugemessen werden kann. Das geht einher mit seiner Ruhestands-Bekanntgabe, die hier langsam Form annimmt: „Ich werde mich zur Ruhe setzen, sonst wird das Studio Probleme bekommen. Wir haben Mitarbeiter, die nicht wissen was in meinen Filmen vor sich geht. In Chihiros Reise ins Zauberland wusste nicht mal ich, was da wirklich passiert.“
Miyazaki spricht davon ein Mann des 20. Jahrhunderts zu sein, der sich nicht mehr mit den Werten und Vorstellungen des 21. Jahrhunderts herumplagen möchte. „Vielleicht gab es eine Zeit, in der du Filme machen konntest, die wirklich etwas bedeutet haben. Aber jetzt?“ speist er dieses 21. Jahrhundert als irrelevant ab. Man mag ihm hier gerne widersprechen, dennoch bleibt er der Märchen-Opa, der nun einmal diese vielen Jahre im Business auf dem Buckel hat. Man kann ihm nicht böse sein. Man darf es auch einfach nicht. Ghibli sei nur ein Name, der ihm irgendwann einmal in einem Flugzeug eingefallen sei. Mit der Zeit wird das Studio auseinander fallen prophezeit er – gar nicht so weit hergeholt, bedenkt man die Nachricht der Neuausrichtung des Studios im August 2014. Sollte man sich den computeranimierten Animationsfilmen zuwenden, kann dies wirklich als Tod des klassischen Studio Ghiblis gesehen werden.
Totoro und der Katzenbus als Plüschfiguren zieren das Studio Ghibli
Wenn die Kamera sich mal von den stets sonnendurchfluteten Studio Ghibli-Innenräumen abwendet, finden wir uns im Haus Miyazakis wieder, zumeist beobachten wir den Mann dann dabei, wie er die Vorhänge zu zieht. Weitere Abstecher erlauben uns eine kurze Begegnung mit dem anderen großen Mann namens Isao Takahata, auf den immer alle schimpfen, er würde seine eigene Arbeit sabotieren, sich nie an Deadlines halten, keine Filme mehr bis zu ihrem Ende führen. Er ist ebenso wie Miyazaki am Ende seiner Zeichentrickfilm-Reise angekommen. Die große Hoffnung des Studios mag Sohnemann Goro Miyazaki gewesen sein. Aber in einer Szene zeigt sich, dass ihm die wirkliche Leidenschaft fehlt. Er ist ein Selbstzweifler in diesem Business, spricht davon, dass er niemals hier gelandet wäre, hätte sein Vater nicht das Studio Ghibli gegründet.
The Kingdom of Dreams and Madness zeigt eine Reise mit bedrückendem Ziel. Wir erfahren von den Anfängen, sehen Bilder von den jungen Gründern und verfolgen ihre Karriere und ihre Arbeitsweisen bis zum heutigen Tage. Zwischen damals und heute liegen eine Menge verwirklichter Träume und noch viel mehr Verrücktes. Aber es wird auch sehr deutlich, dass diese Träume und auch das charmant Verrückte bald ihr Ende gefunden haben werden. Das Königreich verliert seinen König, das 21. Jahrhundert hält auch im Studio Ghibli Einzug – was auch immer das heißen mag.
The Kingdom of Dreams and Madness
Regie: Mami Sunada
118 Minuten, als Import erhältlich