Kindergarten um 1855
Sie ist in aller Munde – die baldige eidgenössische Abstimmung zum neuen Verfassungsartikel, der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern soll. Wie bei jeder Abstimmung sind die einen dafür und die anderen dagegen, in diesem Fall sogar sehr dagegen, wenn man das aktuelle Extrablatt der SVP liest bzw. auch nur zu Gesicht bekommt.
Traurige, weinende Kinder hinter Gittern warnen uns Stimmbürger davor, flehen uns regelrecht an, den Familienartikel keinesfalls anzunehmen. Denn dieser entziehe Eltern die Verantwortung für die Kindererziehung und – will man dem Titelbild Glauben schenken – zwinge Eltern gar dazu, ihre Kinder in Gefängnis ähnliche Kindertagesstätten zu stecken.
Eigentlich wollte ich mich nicht in die Diskussion einmischen, weil es für mich zwar als teilzeitbeschäftigte Mutter klar ist, was ich abstimmen werde, ich aber niemandem drein reden will, was er oder sie zu tun hat. Zufälligerweise ist mir aber letzte Woche ein Buch zwischen die Finger gekommen, in dem 24 verkannte Schweizer Visionäre portraitiert sind. Und ratet mal, was ich da gefunden habe?
Ausgerechnet ein Glarner war es, der die ursprüngliche Idee des Kindergartens des deutschen Erziehers Friedrich Fröbels um 1885 in die USA exportierte und massgeblich für die weltweite erfolgreiche Verbreitung dieser Art der staatlich unterstützten Kleinkind-Erziehung verantwortlich war. Kein Pädagoge hat das Bildungssystem der Neuen Welt so stark geprägt wie er, und nach wie vor gilt der Glarner in den USA als wichtigster Bildungspionier.
Was das jetzt alles mit dem Familienartikel zu tun hat? Ich weiss nicht so recht, aber zumindest wohl dies: staatlich unterstützte Fremdbetreuung – sei es in Kindergärten oder Krippen – ist nicht a priori schlimm oder falsch, solange sie nach Fröbels Grundwerten erfolgt, nämlich Kinder mit Spiel, Gesang und Naturkontakt anzuregen und anzuleiten. Oder seht Ihr es anders?
mittwochs immer im Tagblatt der Stadt Zürich
Wie werdet Ihr am 3. März in Sachen Familienartikel abstimmen?
Buchtipp: Verkannte Visionäre