Ampere, München, 22. November 2019
"Ich kann es mir auch nicht erklären. Menschen sehen sich einen Film einmal an, nach einer gewissen Zeit vielleicht ein zweites Mal, dann reicht es. Aber wenn es um die Musik geht, scheint die Wiederholung Teil des Vergnügens zu sein. Rätselhaft." Dieser Satz stammt nicht von Dirk Darmstaedter, sondern von David Byrne. Erschienen ist er mit einem Interview im Magazin der Süddeutschen Zeitung, just an dem Tag, als The Jeremy Days mit ihrem Konzert in München die Rückkehr auf die Bühne einläuteten. Nun mag der Zusammenhang für manchen vielleicht mit großer Kraft an den Haaren herbeigezogen sein, andererseits läßt sich ein gewisser Bezug nicht von der Hand weisen. Denn Darmstaedters Band, Anfang der 90er die vielleicht verheißungsvollste, weil sehr eigenständige und vergleichsweise unangepaßte Pophoffnung dieses Landes, hatte ja mit dem Titel ihrer Reunion-Tour schon einen kleinen, augenzwinkernden Widerspruch als Motto gewählt: The Unlikely Return. Denn unwahrscheinlich ist die Rückkehr ja nur dann, wenn es niemanden gibt, der sich traut. Diese Herren allerdings wünschten sich unbedingt dahin zurück, wo sie 1996 aufgehört hatten, weil sie bei spontanen Auftritten - der letzte vergangenes Jahr in ihrer Heimatstadt Hamburg - den Spaß und den Spirit wiederentdeckt hatten. Kein Zweifel also, sie wollten es noch mal wissen. Und zwar ausschließlich mit altem Material. Ob David Byrne das nun für gut befunden hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Zumal der ja eher die Sicht des Rezipienten in Frage stellt. Was, wenn der Künstler selbst es darauf anlegt, ausschließlich die vergangenen Zeiten aufleben zu lassen? Ist das dann verwerflich? Nun, wir behaupten mal: Nicht, wenn es so sympathisch passiert wie an diesem Abend. Denn ganz offensichtlich hatte die sonst so selbstbewußte Band einigen Bammel. Ob sich genügend Leute fänden, mit ihnen ihre Hits zu feiern? Ob das Zusammenspiel nicht nur im Proberaum, sondern auch auf der Bühne wieder so klappen wollte wie vor vielen Jahren? Und nicht zuletzt, ob denn ihre Songs, denen man das große Potenzial zumindest zur Zeit ihres Erscheinens keinesfalls absprechen möchte, noch tragen, noch funktionieren würden? Die Ängste waren, das läßt sich schnell beantworten, allesamt unbegründet. Der Laden war voll von gutgelaunten Menschen gesetzten Alters, die nun wirklich kein Problem damit zu haben schienen, dass man ihnen ihre Erinnerungen nochmals vorspielte. Musikalisch wirkten die fünf Musiker auf erstaunliche Weise routiniert (der Profi würde wahrscheinlich behaupten, dass man die Veranlagung dazu ohnehin nie verlöre), die Gesten stimmten, die Soli saßen, die Einsätze kamen auf den Punkt - keine Sorge nötig.
Der Grund, weshalb Darmstaedter den Weggefährten das eine oder andere Mal erleichtert zulächelte und ganz am Ende seinem Keyboarder Louis C. Oberlander sogar regelrecht um den Hals fiel, war wohl der Umstand, dass auch der dritte Punkt auf der Rechnung uneingeschränkt aufging: All die Stücke aus zehn Jahren und vier Studioalben kamen prächtig zur Geltung. Und zwar nicht nur das bekannteste von allen - "Brand New Toy" erschien einem sogar, weil eher smooth und zurückhaltend, als eher schwächere Nummer im Vergleich zu aufgekratzten Sachen wie "Are You Inventive?", "Rome Wasn't Built In A Day" und "Silvia Suddenly" (letztlich auch dank der vorbildlichen Arbeit von Jörn-Christof Heilbut an der Gitarre). Man kann darüber streiten, ob es eine so gute Entscheidung war, die Songs so originalgetreu wie möglich zu präsentieren und auf Neuinterpretationen fast komplett zu verzichten - sie hatten es sich genau so vorgenommen und eben das auch angekündigt. Die Stimmung jedenfalls auf und vor der Bühne ausgelassen, beide Seiten waren sich offenbar einig, dass die Rückkehr eine gute Idee war. Ein paar der üblichen Schmeicheleien für den Gastgeber, launige Anekdoten aus der Zeit ohne soziale Vernetzung und am Ende viel Erleichterung. Dirk Darmstaedter muß sich über die kommenden Tage wohl doch keine allzu großen Sorgen machen.