Einführung
Leider ist „Terrorismus & Film“ in letzter Zeit etwas eingeschlafen, was mit anderen Verpflichtungen zu tun hat – u.a. der Arbeit an einem Sammelband zum aktuellen deutschen Film, den Harald Mühlbeyer und ich herausgeben, und der im Februar 2013 erscheint. Eine andere angenehme Aufgabe war Anfang Dezember die Teilnahme an der Tagung „Religion als Kunst? Spiegelungen in Film und Literatur“, die vom 6. bis zum 8. Dezember 2012 im Rahmen des Projekts Wertewelten an der Eberhard Karls Universität Tübingen stattfand.
Mein Vortrag auf der Veranstaltung befasste sich unter dem Titel „The Innocence of Muslims zwischen Hetze, Satire und Kunst“ mit dem im vergangenen Herbst für internationales Aufsehen und Aufruhr sorgenden, also berühmt-berüchtigten YouTube-Video, das den Propheten Mohammed und den Glauben des Islams verunglimpft und vor allem in der arabischen Welt für Proteste und Ausschreitungen sorgte – oder für deren Anstiftung instrumentalisiert wurde, wie auch, medial, diese Video samt den Protesten dagegen gerne aufgegriffen und skandalisiert wurden.
Der Tod des US-Botschafters John Chris Stevens und drei weiterer Konsulatsangestellter im libyschen Bengasi wurde beispielsweise offenbar allzu eilfertigeinzig einem wütenden, durch das „Schmähvideo“ in Rage gebrachten Mobzugeschrieben. Wahrscheinlicher aber handelte es sich vor allem um einen gezielten Anschlag am Mahndatum 11. September, eine Vergeltungsaktion für den im Juni per Drohnenangriff in Pakistan getöteten al-Qaida-Vize Abu Jahja al-Libi. Al-Libi, der insbesondere für die ideologischen Ansprachen zuständig war, stammte aus Libyen; dort sollte er, gemäß dem Aufruf von Bin-Laden-Nachfolger Aiman al-Sawahiri auch gerächt werden. Das taktische, vorbereitete Vorgehen der Attentäter sowie ihre Bewaffnung lassen darüber hinaus vermuten, dass es sich bei dem Sturm auf die Botschaft der Vereinigten Staaten um keine spontane Aktion handelte, die von schierem Volkszorn ausging. Vielmehr wurden die Proteste als Deckmantel genutzt, um den Angriff auf das – freilich nicht ausreichend gesicherte – Konsulat durchzuführen.
Doch zurück zum „Film“ THE INNOCENCE OF MUSLIMS oder, auf Deutsch, DIE UNSCHUL DER MUSLIME. Unabhängig von der tatsächlichen, vermeintlichen oder inszenierten bzw. behaupteten Erregung und Empörung über den Film (samt den sich daran anschließenden Reaktionen) sind es doch gerade die in ihrer Form vielfältigen Vereinnahmungen und (z.B. diskursiven) Einordnungen und Nutzungen, die das 13-Minuten-Video, seine Zirkulation und die (in hohem Maße: symbolische wie performative) Aufmerksamkeit (und Aufmerksamkeitspraxis) ihn betreffend, die ihn hochgradig interessant machen. Der Begriff der Erregungsspiraleerfasst das zu beobachtende kommunikative Interaktionsschema dabei nur ungenügend, lassen sich doch auch Seiten- und Gegenbewegungen ausmachen, die ein weit komplexeres „ökonomisch“ beschreibbares System ergeben.
So gibt es nicht nur die direkten Profiteure der Provokation wie den pakistanischen Eisenbahnminister Ghulam Ahmad Bilour, von dessen Existenz manhierzulande wohl kaum je Notiz genommen hätte, hätte er nicht öffentlich ein100.000-Dollar-Kopfgeld auf die dubiosen Produzenten von THE INNOCENCE OF MUSLIMS ausgelobt (und gar die Taliban und al-Qaida um Unterstützung gebeten). Eine freilich so durchsichtige, zugleich erstzunehmende und bedenkliche Geste, selbst man nicht um Menschenleben fürchtet. Allzuschnell nutzen nämlich nicht nur Einheizer und Demagogen alles, was ihnen an „Respektlosigkeit“ gegenüber dem Islam von Seiten des Westens aus zweckdienlich ist – auch die hiesigen Medien sind, siehe Bengasi, siehe den Eisenbahnminister (der es daraufhin bis in die Tagesschau schaffte), schnell bei der Hand, eine wohlgefügte, welt- und (wenigstens in ihrem Handeln) menscherklärende Story zu konstruieren, die eine simple Kausalität, eine emotionale wie politische Wirksamkeit und Relevanz von medialen und künstlerischen Äußerungen und Ausdrücken behauptet und letztlich „belegt“. Welche wiederum zwangsläufig und unvermeidbar zur grand narrative eines „Kampfes der Kulturen“ beiträgt – und einem Antiislamismus oder eine Islamophobie zuarbeitet, die sich selbst prächtig formelhaft einsetzen lässt.
Es ist dann wahlweise zynisch, ignorant oder hilflos, parallel zu oder im Anschluss an solchen dominanten narrativen Mustern in den Rundfunk-, Online- oder Printkommentaren zu mahnen und beteuern, die Vorstellung von Clash of Cultures sei ja irrig, zu vereinfacht (oder vereinfachend); dass es hier wie da (vor allem: „da“) opportunistische Einpeitscher und Aufhetzer gäbe, dass Huntingtons Modellierung in diesem (oder: solchen) Fällen ungeeignet sei, etc. Zumindest, wenn Mohammed-Karrikaturen in Tageszeitungen bis hin zu fragwürdigen (Mach-)Werken auf Internetvideoportalen mit den Bildern von aufgebrachten skandierenden Menschenmengen mit brennenden Landesflaggen in staubigen Straßen zusammenmontiert wird, kann man nämlich von der – vielleicht gar automatisch sich aufdrängenden – Etablierung oder Verstärkung eines „Reiz-Reaktions-Schema“-Schemas (also eines Meta-Schemas) sprechen, oder, einer Assoziationsmontage (wenn auch nicht ganz im Sinne Sergej Eisensteins). In beiden Fällen geht es aber um den Ausdruck einer Logik, die in hohem Maße ideologisch, sprich: nicht natürlich(oder zwangsläufig) ist. Und wie lässt es sich auch nicht von einem „Kampf der Kulturen“ sprechen (freilich: welcher Art von Kultur? Zumindest der medialen im engeren und weiteren Sinne), wenn in der Tagesschau am 21.09.2012 ein Bericht von Gabor Halsz aus Pakistan zum einen einen Mob zeigt, der in Peschawar ein Kino stürmt und es in Brand steckt (wobei die zentralen Informationen, Kino, Sturm, Brandstiftung auf der Ebene der Kommentierung nachgereicht werden). Ein Fernsehteam, so heißt es weiter, sei „zwischen die Fronten“ geraten, der Fahrer erschossen worden. Und im Anschluss der Hinweis auf die bezahlten TV-Spots der Obama Regierung („A message from the President of the United States Barack Obama and Secretary of State Hillary Clinton“. Auf Englisch und in „muslimischer“ Kaligrafie), die beteuern, die USA hätte mit dem Video INNOCENCE OF MUSLIMS nichts zu tun (bemerkenswert dabei, wie straff Clintons Haar zurückgebunden ist – um sie weniger weiblich wirken zu lassen? Man weiß ja, was Frauen in solchen Gemeinschaften und Milieus gelten…).
Eine Kino wird zerstört, ein Kamerateam attackierte und staatliche Fernsehpropaganda in fernen Staaten, mit dem sich die mächtigste Nation der Erde von einem ominösen YouTube-Video zu distanzieren sucht: Es mutet nicht nur auf den ersten Blick bizarr, absurd oder stupide an. Was hat das Kino mit einem Film im Internet zu tun? Glauben Obama und Clinton allen Ernstes, das Protestklima würde sich im Nahen und Mittleren Osten auflockern und ihre Botschaften und Konsulate, ihre Bediensteten und US-Bürger sicherer sein, würde man die USA nicht dem Film in Verbindung bringen – wenn ansonsten zwar auch mit dauernden Drohnenangriffen in der Region, mit Waffenlieferungen an das saudische Königshaus, den Zuständen im Irak und der Solidarität mit Israel.
Beide Reaktionen sind allerdings nicht auf ein unmittelbares Wirkungsergebnis hin gedacht, sondern, in Peschawar, hochgradig affektgeleitet und symbolisch (das Internet selbst lässt sich schlecht stürmen und in Brand setzen; und auch, wenn THE INNOCENCE OF MUSLIMS wenig mehr als nur vorgibt, ein „echter Spielfilm“ zu sein – bzw. darauf zu verweisen; dazu später mehr – ist das Kino und vor alle die Leinwand für viele Fundamentalisten ein Hort der Sünde und Sittenlosigkeit, zugleich Teil eines umfassender zu denkenden, „westlichen“ Medien- und Unterhaltungsangebots). Demonstrativ und politisch wiederum ist die Reaktion aus Washington, etwa als Signal an die pakistanische Regierung, mit der man sich spätestens nach dem unabgesprochenen Kommandoeinsatz im vergangenen Jahr, mit dem man nicht nur den Erzfeind und Teufel des 11. September triumphal und vergeltend eliminiert, sondern auch den Staat Pakistan düpierte.
Aus dieser Perspektive war und ist den Protestlern also THE INNOCENCE OF MUSLIMS vor allem und nicht ganz unlogisch eine weitere, wenn auch andere Art von „Drohne“, eine, die direkt von den USA aus, aus Kalifornien – zwar nicht durch die Luft, aber durch das globale Datennetz – auf den Weg gebracht wurde. Mit einem anderen Sprengkopf und vielleicht einem anderen Ziel, nichtsdestotrotz in puncto Respektlosigkeit und Erniedrigung von ähnlicher oder gar noch größerer kollateralschädlicher "Sprengkraft".Der Clash of Cultures ist hier einmal mehr und im Besonderen einer, der den Austausch von Botschaften betrifft. Den Sturm auf das Kino oder die Weißglut, die ein Kamerateam erfasst, gar Menschenleben kostet, „verstehen“ wir nicht (weil es uns abstößt, aber auch, insofern sie Ausdruck einer weit größeren Beschwerde von Muslimen sind). Derweil die Fernseh-Erklärung aus dem Weißen Haus niemanden von jenen erreicht hat, an die sie formal adressiert war – und selbst wenn, wurde sie wohl höchstens mit Ungläubigkeit und eher noch mit Hohn und Verachtung quittiert. Auf der anderen Seite wiederum: ein missverstandener – weil im Westen nicht als solcher registrierter – terroristischer Anschlag in Begansi. Und zentral ist doch für Terrorismus das Element der Message ... Das einzig geglückte Kommunikationsverhältnis dieses Herbstes im Jahre 2012 war, und das ist die Ironie des Ganzen, jenes zwischen den verfeindeten Radikalen – zwischen den antiislamischen Machern von THE INNOCENCE OF MUSLIMS und jenen, die sich davon provoziert fühlten. Beziehungsweise denen, die den Film eben zur angedachten Provokation weiterverwendeten – wie ein vielleicht nicht mit genauen Spezifikationen in Auftrag gegebenes, gleichwohl passgenau für den eigenen Zweck hergestelltes Instrument.
Man bedenke: Erst, als die untertitelte Fassung des Videos im ägyptischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, war der Funke gelegt. Was sagt das über die Chancen und Risiken von völker-, staats-, religions- und kulturübergreifender Verständigung aus?
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist, wie geschmacklos und so belanglos er an und für sich ist, der Film THE INNOCENCE OF MUSLIMS als Phänomen und Zeichen höchst spannend in seinem Einbettung in einem Problemkomplex, der sich um ihn herum anordnen lässt. Unseligerweise ist das Video folglich nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein besonders spektakuläres Beispiel weil vorzügliches Anschauungsobjekt, in dem sich mehrere Diskurs- und Perspektivlinien kreuzen, verstärken und denn auch: auf den Punkt gebracht sind. Das ist das Erschreckende an THE INNOCENCE OF MULISM – dass diese Video voller angeklebter Bärte, nachsynchronisierter Dialogpassagen und Green-Screen-Wüstenbilder so übermäßig eindeutig, uncachiert, erscheint.Angesprochen hat man mich schon – ob ich nicht etwas hier dazu schreiben möchte, schließlich befasse ich mich ja mit Film und politischer Gewalt sowie mit dem, was sich daran anschließt. Dass ich es bislang nicht getan habe, liegt daran, dass ich weniger einen weiteren Wortbeitrag zu den vielen anderen im September und Oktober beisteuern wollte. Nicht, weil schon alles gesagt wurde (eher im Gegenteil). Sondern weil ich mit dem Gedanken spiele, mich auf welche Weise auch immer (vielleicht mit einem Sammelband?) mit der Causa THE INNOCENCE OF MUSLIMS bzw. den von dem Fall ausgehend Folgen, den damit verbundene Aspekte, die assoziierten und assoziativen Herausforderungen und Grundfragen in einem größer angelegten Rahmen zu behandeln. Wie schon die Mohammed-Karrikaturen, jedoch in bestimmten, wichtigen Elementen noch weiterreichender und unbequemer als diese (so scheint es mir), konfrontiert uns THE INNOCENCE OF MUSLIMS, wenn teilweise auch indirekt, mit Themen wie dem des religiösen Bilderverbots in Zeiten einer durchpiktoralisierten (Post-)Moderne, der Realität medienkonvergenter und multimedialer Verbreitungs- und Kommunikationswege, des Rechts und des Ethik von Kunst- und Meinungsfreiheit oder den Praxen, Folge und Bedingungen kultureller Übersetzungs- und Austauschprozesse im Internetzeitalter. Gegenüber den Mohammed-Karrikaturen und der versuchten Ermordung Kurt Westergaards, dem Film und der Ermordung von Theo van Gogh oder Salman Rushdies „Satanischen Versen“ und der darauffolgenden Fatwa mag THE INNOCENCE OF MUSLIMS die Aufmerksamkeit nicht wert sein. Doch hieße das zum einen, eminente Gesichtspunkte des Falles ignorieren, die gerade auf kommende Entwicklungen verweisen, die Gesellschaften in West und Ost noch gehöriges und zunehmendes Kopfzerbrechen bereiten werden. Zum anderen ist eine Betrachtungsweise, die eine ernsthafte Beschäftigung mit THE INNOCENCE OF MUSLIMS leugnet, weil der Gegenstand – ein abstruses Video auf einer populären, an abstrusen Videos reichen Plattform im Internet – quasi unwürdige ist, selbst schon ein Phänomen, das man in puncto Ursache, Motivation und Ziel und Folgen ernst nehmen muss.
Die folgenden Texte, die ich hier in der nächsten Zeit einstelle, sind ein erster Streifzug durch das skizzierte Untersuchungs-, Konflikt- und Problemfeld. Dieses Feld ist nicht auf THE INNOCENCE OF MUSLIMS begrenzbar, auch andere Artefakte, Ereignisse und Facetten aus dem Bereich Film, Kunst und Medien werden betrachtet.
Die Beiträge basieren maßgeblich auf dem eingangs erwähnten Vortrag bzw. dem entsprechenden Skript, erweitern und vertiefen diesen bzw. dieses jedoch.
Demnächst: Erster Teil - Von der Kunst, den Propheten Mohammed nicht zu zeigen