Die ersten Seiten haben mich so dermaßen fasziniert, ich musste dieses Buch unbedingt lesen. Denn ich konnte mich gar nicht mehr losreißen. Zunächst dachte ich zwar, das ist eine von diesen vielen herzzerreißenden Stories über den Krebs, der ein junges Mädchen heimsucht und die ganze Familie muss darunter leiden. Aber so war es hier nicht, obwohl das wohl der Grund ist, warum Nell sich mit Haut und Haaren auf Lukas einlässt und alle Warnsignale ignoriert. Denn wenn man immer nur die zweite Geige spielt, weil die ältere Schwester sehr krank ist, ja dann ist man sehr empfänglich für ungeteilte Aufmerksamkeit und die große Liebe. Nell hat kein leichtes Leben, mit ihrer Schwester verbindet sie eine Art Hassliebe, ihre Mutter hat vor vielen Jahren die Familie verlassen und der Vater ist seitdem dem Alkohol verfallen. Also beste Voraussetzungen, sich blind auf jemanden einzulassen, der ihr die dringend nötige Aufmerksamkeit gibt.
Die meiste Zeit erzählt Nell, der Schreibstil ist dementsprechend altersgemäß locker, witzig und modern. Ganz wenige Kapitel sind allerdings Lukas gewidmet und die haben mir teilweise richtig Gänsehaut beschert. Er erzählt zwar nicht selbst und durch die Erzählform habe ich ein wenig Abstand, aber seine Gedanken sind extrem düster. Was für eine arme Seele, dessen Leben zwar anders aber nicht weniger schmerzvoll als das von Nell verlaufen ist. Er hat meine Sympathie sehr oft, aber manchmal hat es mich sehr gegruselt, weil seine Abgründe extrem tief sind.
"The Hurting" ist in drei Teile gegliedert: Liebe, Rettung, Opfer. Den Anfang fand ich total faszinierend und ich konnte mich dem Sog, den "The Hurting" auf mich ausübte, kaum entziehen. Aber dann wurde es zwar immer dramatischer, aber auch übertrieben und ein bisschen detailverliebt. Das war mir etwas zu viel und hat mir zwischendurch ein bisschen die Leselust genommen. Der Spannungsbogen wurde dennoch konstant gehalten und einige Erkenntnisse haben mir den Atem geraubt. Besonders der innere Konflikt von Nell wurde sehr glaubhaft dargestellt.
Mein Fazit zu "The Hurting": Ich mag das Buch, aber es ist nicht einfach und keineswegs ein Wohlfühlbuch, obwohl es sehr intensiv und emotional geschrieben ist. Es führt mich an Abgründe, die ich in meinem eigenen Leben nicht haben möchte.
Über Lucy van Smit: Lucy van Smit ist eine preisgekrönte Autorin, Drehbuchschreiberin und eine Künstlerin, die es bedauert, dass sie die meisten ihrer Gemälde für die Miete verkaufen musste (Moderator Jeremy Clarkson besitzt zwei Bilder von ihr). Nach ein paar katastrophalen Fehlgriffen in Sachen Liebe gönnte sie sich ein Jahr Auszeit von der Kunsthochschule, riss nach New York aus und verkaufte in Amerika von Tür zu Tür Enzyklopädien. Sie machte einen Bachelor in Fine Art, ergatterte sich einen Job beim Fernsehen, reiste für NBC News um die Welt, flog in der Air Force One mit Präsident Reagan und wurde auf dem Flughafen Manila während des Putsches von Panzern eingekesselt.
Dann beschloss sie, es ruhiger angehen zu lassen und machte Dokumentarfilme fürs kanadische Fernsehen über Schriftsteller wie John Le Carre und Ian McEwan. Obwohl sie Legasthenikerin ist, bestand sie ihren Master in Creative Writing mit Auszeichnung. Gemeinsam mit ihrem Mann, Sohn und ihrer verrückten Katze, die in der Nachbarschaft auch als Sid Vicious bekannt ist, lebt sie in London. "The Hurting" gewann den ersten Bath Children's Novel Award. (Quelle: Verlagswebseite)