Nun gibt es sie auch in Europa zu sehen: , die Oper zum bekannten Film von Baz Luhrmann hatte am vergangenen Wochenende an der Semperoper in Dresden seine Europäische Erstaufführung. Nein, natürlich basiert die 1999 uraufgeführte Oper von John Harbison, die als Auftragswerk für die New Yorker Metropolitan Opera entstanden ist, auf dem Roman von F. Scott Fitzgerald. Ein literarisches Meisterwerk ist The Great Gatsby ohne Zweifel - wie sieht es aber mit der Umsetzung für die Opernbühne aus, für die John Harbison auch als Librettist verantwortlich zeichnet?
Der Stoff, aus dem Opern gemacht sind
Eine der ersten Fragen, die ein Komponist bzw. Librettist für sich selbst und gleichzeitig für das Publikum klar und deutlich beantworten muss, ist diese:Warum ist gerade dieser Stoff bzw. diese Vorlage für eine Vertonung geeignet?
Im Programmheft zur Neuinszenierung an der Semperoper ist ein aufschlussreiches Interview mit dem Komponisten zu finden, in dem er auf genau diese Frage antwortet. Seiner Auffassung nach biete sich der Stoff für eine musikalische Verarbeitung an, da viele Beschreibungen von Umgebungsgeräuschen wie Radios, Parties, Jazzbands oder Straßenlärm darin zu finden sind. Auch die vielen poetischen Beschreibungen inspirierten ihn zu musikalischen Ideen. Eine überzeugende Antwort? Was ist mit den vielen Leerstellen und Mehrdeutigkeiten, die eine große Faszination des Romans von Fitzgerald ausmachen? Was ist mit der diffusen Charakterzeichnung des Protagonisten? Was ist mit der Erzählerfigur Nick Carraway, durch dessen Augen wir die gesamte Handlung (verzerrt) sehen? Liegen diese erzählerischen Elemente nicht eigentlich jenseits von dem, was auf der Opernbühne darstellbar ist?
So hab ich mir das vorgestellt
Die Oper von John Harbison folgt dramaturgisch im Großen und Ganzen der Vorlage von Fitzgerald. Viele der Texte sind eins zu eins aus dem Roman entnommen. Harbison entschied sich außerdem auch den Schluss zu übernehmen, obwohl es traditionell unüblich sei, eine Oper kurz nach dem Tod des/der Protagonisten zu beenden. Musikalisch ist das Werk durchaus anspruchsvoll, für die Sänger in erster Linie durch unzählige lang gehaltene hohe Töne, deren Motivation sich selten erschloss.
Die Inszenierung von Keith Warner schafft es leider nicht, die Schwächen des Werks von Harbison auszugleichen. Die einzige Idee, die konsequent durchgeführt wurde, ist die Vergrößerung von Möbelstücken. Daisy und Jordan räkeln sich zu Beginn auf einer überdimensionierten Chaiselongue, Gatsby und Daisy finden keine angenehme Position auf den gigantischen Gartenstühlen. Ein taugliches Bild für das unverhältnismäßig dekadente Leben der Upper Class.
Eine weitere generell schlüssige Lösung für das Problem der Erzählerfigur Nick ist die Teilung des Bühnenraums in zwei Ebenen. Der vordere Bereich ist durch eine Stufe und eine andere Lichtatmosphäre vom Rest des Bühnenbilds getrennt. Hier sehen wir den Arbeitsplatz des Autors, der immer wieder auf seiner Schreibmaschine das Erlebte festhält. Leider wird die Grenze zwischen diesen beiden Ebenen szenisch nicht klar eingehalten bzw. werden die Überschreitungen nicht gedeutet. Ein großes Frustpotential birgt außerdem der fast durchgängige Einsatz von engen Verfolgern auf den Akteuren, die naturgemäß nicht alle ruckartigen Bewegungen antizipieren können.
Leider ist es Warner auch nicht gelungen die Partyszenen im Hause Gatsby interessant zu gestalten. Die Chormasse bewegt sich zwar im Charleston-Stil aber insgesamt sehr undifferenziert auf den gigantischen Stufen des Anwesens. Hier wäre mehr Orgie auf allen Ebenen wünschenswert gewesen.
Wer ist eigentlich Gatsby?
Sowohl die Oper von Harbison als auch deren Inszenierung von Warner leiden darunter, dass sie am Kern des Stoffs vorbeigehen. Denn The Great Gatsby ist in erster Linie eben keine tragische Liebesgeschichte, sondern die Geschichte eines Mannes, der sich mithilfe seiner enormen Vorstellungskraft und seines ausgeprägten Ehrgeizes selbst erfunden hat. Die Konfrontation mit Daisy ist vor diesem Hintergrund "nur" der Höhepunkt seines Lebenstraums, der an den Umständen und Unwägbarkeiten der Realität scheitert. Lässt man diesen Aspekt außen vor, ist es nur die Geschichte eines mafiösen Self-made man, der eine Affäre mit einer verheirateten reichen Frau hat, und durch einen unglücklichen Zufall gepaart mit der Rachlust des betrogenen Ehemanns zu Tode kommt. Aber das wird allem, was Gatsby ist und symbolisiert, nicht gerecht.
Radio-Kritik im mdr vom 7. Dezember 2015 Kritik im Dresdner Neueste Nachrichten vom 7. Dezember 2015 Kritik in der Frankfurter Rundschau vom 7. Dezember 2015 Kritik auf elbmargarita vom 7. Dezember 2015 The Great Gatsby. Oper in zwei Akten von John Harbison (UA 1999 New York)Semperoper Dresden
Musikalische Leitung: Wayne Marshall
Inszenierung: Keith Warner
Bühnenbild: Johan Engels
Kostüme: Emma Ryott
Licht: John Bishop
Video: Knut Geng
Choreographie: Michael Barry
Dramaturgie: Stefan Ulrich
Besuchte Vorstellung: 6. Dezember 2015 (Premiere)