Ralph Fiennes und Tony Revolori als Gustave M. und Zero Moustafa in Wes Andersons “The Grand Budapest Hotel”
Mit Wes Anderson ist das so eine Sache. Man möchte gerne sagen, dass wenn man einen seiner Filme kennt, man alle seiner Filme kennt. Immer wieder bekommen die Zuschauer – zumeist aber sowieso schon Fans des texanischen Regisseurs – etwas verschrobene Figuren zu sehen, die sich in modernen Märchengeschichten durch Postkartenlandschaften spielen. Fast ist es so, als würde man mit jeder Filmszene eine neue Seite in einem Bilderbuch aufschlagen, erst beim zweiten oder dritten Mal entdeckt man auch das letzte liebenswert platzierte Detail. Ebenso konstant wie Wes Anderson seine Filmwelten ausschmückt, so sehr variiert er doch im Erzählen seiner Geschichten. Von Familiendramen wie The Royal Tenenbaums und The Darjeeling Limited, über das Unterwasserabenteuer Die Tiefseetaucher und den Stop-Animationsfilm Der fantastische Mr. Fox bis zu Moonrise Kingdom, einer Ode an die sommerliche Jugendliebe. Mit seinem neuesten Film The Grand Budapest Hotel bringt er derweil eine Mixtur aus klassischem Krimi und Heist-Movie auf die Leinwände, natürlich wieder ohne dabei auf seine mit Feenstaub garnierte Märchenatmosphäre zu verzichten.
Im Grand Budapest Hotel, in dem von Anderson erschaffenden Fantasiestaat Zubrowska gelegen, gehen Darsteller ein und aus, die der Filmemacher in seiner inzwischen bereits zwanzig Jahre andauernden Karriere um sich geschart hat wie eine Familie. All diese Namen aufzulisten wäre an dieser Stelle zu viel des Guten, aber hervorzuheben ist vielleicht das Hauptdarstellerduo, gänzlich neu in diese Familie hinein geholt. Dennoch wirken Ralph Fiennes und Tony Revolori als hätten sie nie etwas anderes getan als den eigenwilligen Figuren der Andersonschen Fantasie Leben einzuhauchen.
Zero mit seiner Liebe Agatha (Saoirse Ronan)
Doch bevor sich der Film diesem Duo widmet, startet die Handlung auf einem Friedhof in Lutz, der Hauptstadt von Zubrowska, wo dem meist umjubelten Schriftsteller der Stadt zu dessen Tode ein Denkmal gesetzt wurde. Anderson beginnt hier mit einer Verschachtelung, der man genauestens folgen muss um nicht auf ewig verwirrt dreinzublicken. Von dem Friedhof springt The Grand Budapest Hotel in das Jahr 1985, wo der verstorbene Autor des Buches „The Grand Budapest Hotel“ noch lebt (dargestellt von Tom Wilkinson) und in einem Radiointerview davon berichtet, wie er dazu gekommen ist dieses Buch zu schreiben. Hier schwindet der Film erneut in die nächste Vergangenheitsstufe, in der Jude Law im Jahr 1968 den jüngeren Schriftsteller verkörpert, wie er eine Auszeit in dem sowjetisierten Grand Budapest nimmt, wo er auf den Besitzer des Hotels und reichsten Mann des Landes trifft, Zero Moustafa (F. Murray Abraham). Dieser erzählt dem Schriftsteller bei einem gemeinsamen Essen davon, wie er zum Grand Budapest kam – Rückblick in das Jahr 1932, wo der Film nun endlich in seiner Haupthandlung angekommen ist, hier wo Tony Revolori nun den jungen Hotelpagen Zero Moustafa spielt.
Gemeinsam mit Ralph Fiennes arbeitet Revolori hart daran, die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen, ein Unterfangen das überraschend einfach gelingt. Erinnert man sich an frühere Filme Andersons, so wirkten seine Welten doch oftmals sehr distanziert, die Figuren waren zwar liebenswert, aber taugten nur wenig zur Identifikation, zum Mitgefühl. Das lag oftmals an den durch den Regisseur erschaffenen Welten, an den Figuren selbst, wie sie konzipiert waren, wie die Geschichten choreographiert wurden, jedes Detail an seinen Platz, nur kein falsches Wimpernzucken, kein Teetässchen am falschen Ort. Allzu artifiziell sah und fühlte sich noch Moonrise Kingdom an – auch wenn das der Unterhaltsamkeit der Sache keinen Abbruch getan hat, so ist The Grand Budapest Hotel rein menschlich eine enorme Weiterentwicklung.
Ralph Fiennes (rechts) mit Adrien Brody, Willem Dafoe (links) und Mathieu Amalric (mitte)
Ralph Fiennes gibt dem schrägsten Vogel noch unser Mitgefühl mit auf den Weg. Streng schreitet er bestimmt durch sein Hotel, sorgt sich um Frau und Mann, gleich welchen Alters, bis zur äußersten Grenze. Körperlicher Einsatz als oftmals letzte Dienstleistung für die Gäste des Grand Budapest, die in ihrem Alter mehr Freuden hinter sich, als vor sich haben dürften. Fiennes‘ M. Gustave lebt in einem kleinen Besenkammer-ähnlichen Raum, begnügt sich damit, während er auf sein Parfum L’Air de Panache besteht. Gustave ist ein Mann, der sich fein anzieht, der gut duften möchte, der sich gepflegt auszudrücken weiß. Anderson weiß um die Skurrilität, diesen Mann in einer Umgebung einzupflegen, in der der Faschismus um sich greift, den Gustave als Barbarismus ansieht, der jegliches zivilisierte Verhalten untergräbt. Es ist Andersons höchstpersönliche Aufarbeitung einer Diktatur, nur das er diese Bilder mit quietschend-grellen Farben kommentiert. Herrlich wenn die ZZ-Flaggen – deutlich als Anlehnung zur SS zu sehen – am pinken Budapest Hotel gehisst werden, die unterdrückenden Mächte werden einem charmant demütigenden Humor ausgesetzt.
Und ganz nebenher entwickelt Anderson einen Krimi mit seinen Figuren. Gustave erbt ein abscheulich hässliches Bild – Junge mit Apfel – von Madame D, eine künstlich zur Unkenntlichkeit gealterte Tilda Swinton, was natürlich deren Familie auf die Palme bringt. Gegen deren Willen entwendet Gustave das Gemälde aus dem familiären Heim, nur um wenig später für diese Tat im Gefängnis zu landen. Die Reise des Gustave M. darf beginnen, vom Grand Budapest durch Zubrowska, mal als lebende Menschen (dann eben Ralph Fiennes und Tony Revolori), in besonders aufregenden und actionreichen Sequenzen als Stop-Animationsfiguren, wie sie Anderson immer schon und immer gerne eingesetzt hat, um nicht den übermäßigen Computerspielereien seiner Regiekollegen ergeben zu sein.
Wes Anderson nennt im Abspann zu The Grand Budapest Hotel den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig als Inspirationsquelle zu diesem Film. Mag es nun dessen Pazifismus sein, der sich so sehr in Gustave M. manifestiert, oder der Verweigerung Zero ein glückliches Ende zu geben, wie es Zweig seinen Figuren ebenfalls oftmals untersagte, The Grand Budapest Hotel ist auch ohne irgendeine Inspiration ein höchst sehenswerter Film geworden, der immer noch an Bilderbücher erinnert, die man nur zu gerne Seite um Seite umschlägt um farbenfrohe Konstruktionen zu sehen zu bekommen. Aber es ist zugleich auch einer der vielleicht ambitioniertesten Filme des Regisseurs, ein Film in dem eine kräftige Aussage steckt, in dem wir nicht nur Wes Anderson den Märchenerzähler entdecken können, sondern eben auch seinen höchst persönlichen Kommentar zu allem politischen Unfug der dort draußen in der realen Welt so getrieben wird.
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: GB / D, 2013
Länge: ca. 100 Minuten
Regie: Wes Anderson
Darsteller: Ralph Fiennes, Tony Revolori, F. Murray Abraham, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Mathieu Amalric, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Léa Seydoux, Tilda Swinton, Tom Wilkinson, Owen Wilson, Bob Balaban, Fisher Stevens
Kinostart: 6. März 2014
Im Netz: grandbudapesthotel.com
Bilder © Twentieth Century Fox of Germany GmbH