The Girls – Emma Cline

emma-cline-the-girls-manson-family.jpeg„Ich redete mir ein, dass es Dinge gab, die ich nicht verstand.“ (S. 211)

Bereits vor zwei Jahren sorgte Emma Cline für Aufregung: Die heute 27-Jährige erhielt für ihr Romandebüt The Girls einen Vorschuss in Millionenhöhe, weitere Millionen erwarten sie für die Filmrechte. Nun ist ihr ersehnter Roman auf Deutsch erschienen und schon ohne ihn zu gelesen zu haben, lässt sich die Aufregung erklären. The Girls ist an den Kult der Manson-Family gelehnt, es geht um ein einsames vierzehnjähriges Mädchen, dass sich nach Beachtung sehnt und so in den Sog der Hippie-Gruppe hineingerät. Noch heute fasziniert diese dunkle Zeit des Sommers 1969, in dem die wunderschöne Schauspielerin Sharon Tate, ihr ungeborenes Baby und Freunde in einer Villa von Anhängern der Manson-Family auf brutale, kaltblütige Weise ermordet wurden.

Doch wer nun eine Geschichte über die vielen Morde der Manson-Family erwartet, wird enttäuscht – oder auch nicht, denn in The Girls geht es um weit mehr als menschliche Abgründe. Der Roman zeigt, was es heißt ein Mädchen im Teenager-Alter zu sein, erwachsen zu werden in einer Welt, die von Männern dominiert wird und in der die Ich-Erzählerin Evie machtlos ist. Die Untreue ihres Vaters treibt Evies Mutter zu Männern, die wieder versuchen, die Kontrolle an sich zu reißen. Enttäuscht von den Erwachsenen und auf der Suche nach Trost und Beachtung gerät Evie an Russell und seine Mädchen, fiktive Charaktere, die auf die Manson-Family hindeuten. Wieder eine Situation, in der ein Mann die Oberhand über Frauen hat.

Doch es ist nicht einmal Russell, der Evie in sein Denken und Fühlen hineinzieht, vielmehr ist es ein Mädchen in der Gruppe, Suzanne. Evie verspürt zu ihre eine Verbindung, die Außenstehenden, besonders Männern, verschlossen bleibt. Suzanne strahlt solch eine Selbstsicherheit aus, dass Evie sich ihr hingibt und überall hin folgt, um ein wenig wie sie zu sein, um dazuzugehören. Suzanne wird Evies Anker in der Not, sie gibt ihr nicht nur Halt, sondern auch Orientierung in einem verwirrenden Alter.

„Mein Leben hatte, seit ich Suzanne kennengelernt hatte, schärfere und geheimnisvollere Konturen gewonnen, hatte eine Welt jenseits der bekannten Welt offenbart, den Geheimgang hinter dem Bücherregal.“ (S. 177)

Die Erzählebenen wechseln vom Sommer 1969 und der Gegenwart. Weil die gealterte, gegenwärtige Evie sich mit einem jungen Mädchen auseinandersetzen muss, erinnert sie sich an ihre Zeit als Teenager. Diese Distanz der Ich-Erzählerin machen die Geschichte besonders: Es ist kein typischer Roman, der den Blick auf ein pubertierendes Mädchen wirft, sondern Evie selbst, die über ihre Person als Jugendliche reflektiert, dabei tiefe Einblicke in ihr jetziges und junges Innenleben gibt. Vor allem ist die Sprache, die Emma Cline für Evie findet, unglaublich kraftvoll und präzise. Immer wieder streut sie feinsinnige und kluge Erkenntnisse ihrer Mädchenseele ein.

„So vieles am Verlangen beruhte in diesem Alter auf bewussten Vorsatz. Auf dem unendlich mühsamen Versuch, die rauhen, enttäuschenden Konturen von Jungen zur Form von jemanden zu verwischen, den wir lieben konnten. Von unserem verzweifelten Bedürfnis nach ihnen sprachen wir mit auswendig gelernten, vertrauten Worten, als läsen wir Texte aus einem Theaterstück.“ (S. 50)

Alle anderen Charaktere bleiben jedoch wage, machen verglichen mit Evie keinerlei Entwicklung durch. So leuchtet mir die Figur Russells bzw. Charles Mansons nicht ein, und damit auch nicht, wie er es schafft, eine Reihe von jungen Frauen zu Morden zu bewegen. Auch die anderen Mädchen sind unnahbar. Doch vielleicht liegt hier gerade die Stärke des Romans: Emma Cline versucht gar nicht erst die Manson-Family zu entmythisieren oder Antworten zu finden, weil es eben keine gibt und jeder Versuch in Enttäuschung enden würde.

The Read Pack hat der Roman übrigens nicht so gut gefallen. Eine weitere schöne Besprechung gibt es auf Leseschatz.

Emma Cline: The Girls. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag. München 2016. 352 Seiten. 22 Euro.

Weitere Quellen: Welt



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