The first days of “Fischcafe”

Dem Motor geht der Kraftstoff nicht aus. Gleichwohl der letzte Teil der Saga. Nr 17. Der Vorhang fällt… vorerst. Eggers arbeitet verstärkt am Roman. Dann bald klassisch, auf Papier, zwischen zwei Buchdeckeln: Der Mensch als Motor.

Durch Frederick kenne ich nun seit wenigen Nächten eine zwielichtige Bar namens „Fischcafe“. Sie sieht von außen erfrischend harmlos aus. Von innen auch. Einige subkulturell modisch bekleidete Jungspunde sitzen oder stehen neben der Eingangstür herum. Wahrscheinlich, weil sie nicht am Türsteher vorbei gekommen sind.

„Fritz! Hi, du alter Hansdampf in allen Gassen.“

Frederick begrüßt den Herrn an der Tür scheinbar vertraut und die beiden umarmen sich homosexuell angehaucht, während wir den Raum betreten. Ich benehme mich wie ein frisch Eingeschulter in einer fremden Lehranstalt. Die Theke des Ladens ist überfüllt von kreischend lachenden Leuten, die ein Schleier aus Rauchwolken umhüllt. Viele sind sichtbar älter als ich, tragen Anzüge aus hochwertigen Materialien und beschmücken sich mit der Gesellschaft junger Mädchen, die mein Röntgenblick als billig erfasst. Aus Nervositätsgründen zünde ich mir eine Zigarette nach der anderen an und hoffe, dass es für mutmaßliche Zuschauer gut aussieht. Wenn meine Unsicherheit leuchten könnte, wäre ich bestimmt eine Neonröhre.

Die letzten beiden Male, als ich hier meine Abende verbracht habe, ist es mir noch nicht so eminent aufgefallen, dass sich hier anscheinend jeder kennt. Oder kommt es mir nur so vor? Als ich mich in dieser recht eng gebauten Lokalität umschaue, registriere ich schulterklopfende Gäste, die sich an anscheinenden Freigetränken bedienen, grauenhaft tanzende Transen, die mir auf den Kopf spucken könnten und mehrere neu formierte Paare in der fortgeschrittenen Phase des Vorspiels. Frederick greift mir auf die Schulter.

„Komm mit, ich will dir jemanden vorstellen.“

Wir quetschen uns durch verschwitzte Menschenfluten und ein Meer aus falschen und echten Brüsten, bis sich mein Kamerad am hinteren Ende des Toilettenraums zu einem unvorteilhaft frisierten Trottel gesellt. Als wir einander vorgestellt werden, erfahre ich, dass er Bernhard heißt, wobei ich denke, dass er eher wie ein gealteter Tobias aussieht. Er nuschelt fast unverständlich irgendwelche unwichtigen Phrasen in mein Ohr, wobei ich seine letzte Frage einwandfrei verstehe. „Kann’s jetzt losgehen?“ Ich wusste nicht so recht, was er damit meint, folge aber Frederick, der ihm, scheinbar vertraut, zunickt. Der Trottel öffnet eine schrottige Holztür und wir folgen ihm in ein dunkles Treppenhaus. Er schaltet ein grelles Licht an als mein Kumpane und ich auf hässlichen alten Bierkästen Platz nehmen. Bernhard leert indessen ein weißes Pulver aus kleinen Plastiktüten auf einem Teller aus, zerkleinert es mit einer Karte und meint, er müsse uns noch mit seinen unverständlichen Geschichten zulallen.

Marianne Faithfull?

Marianne Faithfull?

„Letzte Woche, da hat der Günther für fünfhundert bestellt. Ich, ganz schnell das Zeug besorgt, dachte der brauchts jetzt unbedingt. Hab’s ihm dann verkaufen wollen, aber auf einmal wollte der das nicht mehr. Ich stand dann so allein da und musste es an so junge Kerle verticken.“ Bin ich spießig, wenn ich eine solche Situation noch nie erlebt habe? Ich erinnere mich in diesem Moment an entspannte Studentenzeiten, in denen ich mit damaligen Freunden richtig schlechtes Speed geschnupft habe. Wir haben dadurch einen lächerlich kurzen Rausch genossen und sind jede halbe Stunde zum nachpudern gegangen, weil wir noch wach bleiben wollten, nachdem die Puffs in unserer Straße dicht gemacht haben. Versteckt wurde das Zeug damals in ausgestopften Kugelschreibern. Aber das, was ich hier auf dem Teller sehe, ist mit Sicherheit kein schlechtes Speed, sondern Kokain. Ich habe zwar keine Angst vor Drogen und weiß, dass Koks hier in dieser Stadt eine beliebte nächtliche Nebensache vieler Leute ist, fühle mich jedoch durch die Anwesenheit dieses Bernhards ein wenig fieberhaft. Aus seinem rot angelaufenen grobporigen Gesicht wachsen nicht nur sagenhaft viele Haare, sondern auch noch vereinzelt auffällige Eiterpickel, verziert mit diversen Narben. Er scheint eine miserable Körperhygiene zu pflegen, denke ich mir, als er Frederick einen Strohhalm in die Hand drückt und dieser sich die erste Linie durch die Nase zieht.

Dann fängt Bernhard an, zu schniefen, jedoch auf eine ganz andere Art und Weise. Viel abgehackter und mühevoller versucht er, anscheinend qualvoll, das Zeug in mehreren Etappen in sich hinein zu pumpen. Er reicht mir schließlich einen neuen Strohhalm, wahrscheinlich, weil er bereits Erfahrungen damit gemacht hat, dass gepflegt aussehende Menschen seine benutzten Gegenstände meiden. Also filtriere ich erstmalig echtes Kokain in mich hinein und bin plötzlich cooler als alle anderen. Wir schütteln dem Dealer noch schnell die Hand, als wären wir Geschäftspartner. Er grinst dabei ganz zerstört und seine Augen transformieren sich in dünne Schlitze aus bindegewebschwacher Haut und dicken langen Augenbrauen. Als ich seine abwechselnd schwarz und gelb verfärbten Zähne ersichte, bin ich froh, dass wir ihn nun verabschieden. „Der Typ hat den totalen Vollknall,“ ruft mir Frederick ins Ohr während wir uns wieder durch die Menschenmenge pressen. „Er nimmt alle und hat alle erdenklichen Drogen. Meistens trifft man ihn in der Kombination Koks-Kiff-Whiskey an, aber er ist harmlos und wenn du dich bei ihm beliebt gemacht hast, gibt er dir gerne mal was umsonst.“ Ich nicke ihn nahezu mistrauisch an und frage mich, ob seine Nächte von Koks dominiert werden. Kennen tun wir uns mitlerweile nicht wirklich intensiv. Nur etwa seit drei Monaten. Trotzdem wird mein Mistrauen rasch von einer glühenden Euphorie verbrannt. Mein Grinsen wird automatisch breiter ohne, dass ich meine Muskeln dazu anspannen muss und ein unangenehm chemischer Geschmack, der an Spülmittel erinnert, verteilt sich in meinem Gaumen. Diesen versuche ich, mit unzähligen Wodkagemischen und stetigem Tabakkonsum zu überdecken, während sich meine Gesprächspartner alle fünfzehn Minuten in immer schöner werdende Frauenfiguren auswechseln.

Nach der fünften Bekanntschaft wird das Namenmerken schwerer und zugleich nebensächlicher. Mein Umfeld fusioniert zu einer kreischenden Masse aus angenehm funkelnden Augen, bestätigendem Anlachen, tiefen Ausschnitten und wir alle sind so verdammt sexy. Von Natur aus bin ich keinesfalls schüchtern, jedoch vielmehr vornehm verhalten. Aber momentan bewegt sich meine Redseeligkeit jenseits aller elementaren Hemmungen. Musiklandschaften quer durch „The Velvet Underground“, „Psychic TV“ und „SPK“ befördern meine Disponiertheit in Richtung Progression. Im Gegensatz zum bereits wild tanzenden Frederick quatsche ich lieber pausenlos über edle Whiskeysorten, von denen ich sowieso nicht die geringste Ahnung habe und starre die Zahnlücke einer Zuhörerin an, die hinter roten Lippen hervorsticht. Dabei muss ich mehrmals darüber nachdenken, ob ich das ästhetisch finde oder nicht und entscheide mich nach zehnminütigem Endlosstarren für Ja. Das Mädchen wird zudem jedes Mal, wenn ich sie anschiele, attraktiver. Blaues und rotes Licht reflektiert auf ihren dunkelblonden mittelgescheitelten Haaren. Das ersichte ich nebenher, als ich ihre Gesichtsharmonie untersuche und einen wohlgestalteten Abstand zwischen ihrer Nase und ihrem Mund feststelle. Hinzu kommt diese aparte Positionierung ihrer Augen, die plötzlich die Aufmerksamkeit ihrer gesamten Präsenz dominiert. Ein wenig erinnert sie mich sogar an die junge Marianne Faithfull zu ihren Heroinzeiten.

The first days of “Fischcafe”

In den letzten vierzig Sekunden scheint kein Wort gefallen zu sein. Weder von ihr noch von mir. Fortwährend bestaune ich ihre unbescholten keusch wirkenden Augen, neige leicht meinen Kopf zur Seite, grinse sie an und bin fest davon überzeugt, das würde verführerisch aussehen. „Darf ich dir eine Line spendieren?“ Das fragt sie mich anschließend eher kühl und allenfalls selbstsicherer als ich es je könnte. „Warum nicht,“ antworte ich ihr, wenn auch sehr zögerlich und bin dazu auch erstaunt, warum ein weibliches Wesen mir überhaupt etwas spendieren will. Ein Kapitel der Emanzipation habe ich wohl eindeutig übersprungen. Die manierlich zahme Fassade, die ich zunächst an ihr zu bemerken geglaubt habe, ist nun eindeutig zerbrochen, wobei sie dadurch auf eine erfrischende Weise noch interessanter wird.

Sie nimmt meine Hand und zieht mich durch die Menge, bis wir auf dem Frauenklo ankommen und sie fast energisch die Tür zuschlägt und abschließt. Auf ihrem Handy beginnt sie, das Pulver auszuleeren. Dann zieht sie einen Hunderteuroschein aus ihrem BH, rollt ihn ein und drückt ihn mir in die Hand. Müssen wir hier mit einem so hohen „Einsatz“ koksen? Das denke ich mir zuerst, sauge darauf trotzdem ganz locker meine Line auf. Während sie danach an der damit Reihe ist, frage ich mich, ob ich von Natur aus naiv bin oder ob es in meinem Alter exotisch erscheint, wenn meine Nachterfahrungen bisher noch nicht in eine solche Gesellschaft gereist sind. Da ist sie wieder, die Unsicherheit. Zwischenzeitlich fängt Marianne Faithfull an, zu reden.

„Das ist das Zeug von diesem Nino. Der hat das beste. Das sagen alle. Kennst du den? Nicht? Den musst du kennen. Wenn ich ihn sehe, stelle ich ihn dir vor. Total verrückter Typ und unglaublich reich. Er ist leider auch nicht so oft hier. Geht mehr in die Skandal Bar, weil er da mehr Abnehmer findet. Das ist so furchtbar schade, weil mein Vorrat ist bald leer und ich habe so sehr gehofft, dass er heute hier auftaucht. Normalerweise kaufe ich ihm immer ein paar Gramm ab und kriege noch eine kleine Menge MDMA geschenkt. Toll, was? Ach, ich bin übrigens Lucy!“

Lucy kann wirklich so reden wie ich kotzen kann. Am laufenden Band und ohne jegliche Unterbrechungen sprudelt eine Wortflut aus ihrem Mund heraus.

„Alexander.“

So stelle ich mich vor und gebe ihr meine Hand. Sehr sachlich. Wir grinsen uns an wie frühpubertierende Teenager, als sie mich schließlich hart an die Wand presst und wir ausgelassen chaotisch miteinander rumknutschen. Zwischendurch beißt sie mir mehrmals in den Hals, wobei ich richtig laut aufschreien muss. Wir rutschen auf dem nassen verschmierten Boden aus, lassen eine Klobürste zu Bruch gehen, knutschen hemmungslos weiter, verunreinigen unsere Bekleidung und versuchen uns, eher mühsam, gegenseitig auszuziehen. Jetzt erfüllt das Kokain endlich einen sinnvollen Zweck. Dummerweise klopft irgendein Schwachkopf, oder mehrere Schwachköpfe, unaufhörlich an die Tür. Da ich schon eine beachtliche Menge Alkohol in mir gesammelt habe, fällt es mir schwer, meine Hose zu öffnen. Als ich sehr konzentriert mit dem Aufsperren meines Gürtels beschäftigt bin, hat sich Lucy bereits fast vollkommen ihrer Kleider entledigt und setzt sich unaufgefordert auf mein Gesicht.

Lale Nikki Eggers

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