The East: Terror, Moral und das System

Angesichts von Katastrophen wie der Kernschmelze im Atomkraftwerk in Fukushima, dem Unglück mit der Bohrinsel Deepwater Horizon, aber auch der ständigen schleichenden Verseuchung von Wasser, Boden und Luft durch Chemiefabriken, Raffinerien, Deponien und so weiter, kann man durchaus verstehen, dass es Menschen gibt, die etwas dagegen tun wollen. Insbesondere, weil die Konzernchefs und die Eigentümer solcher Konzerne, die auf Kosten von Umwelt und Gesundheit gute Geschäfte machen, oft nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn etwas schief geht. Organisationen wie Greenpeace sind in den 70er und 80er Jahren damit groß geworden, als David gegen die Goliaths in den Konzernetagen zu kämpfen – heute hat allein Greenpeace Deutschland mehr als eine halbe Million Fördermitglieder. Greenpeace wird inzwischen allerdings auch als weltgrößte Wohlfühlorganisation kritisiert, der man beitreten kann, um sich als Teil der Lösung und nicht des Problems fühlen zu können, ohne selbst auch nur einen Finger krumm zu machen. Damit sei Greenpeace inzwischen nur noch ein erfolgreiches Geschäftsmodell, um Menschen ein gutes Gewissen zu verkaufen, mit Umweltschutz und so weiter habe das aber nichts mehr zu tun.

Nun gut, jeder muss selbst wissen, was und wen er unterstützen möchte, und ich finde, dass Greenpeace nicht die schlechteste Option ist, ein paar Jahre lang war ich ja auch dabei und später habe ich lange Zeit eine andere Initiative unterstützt, das war gleichzeitig auch mein Einstieg ins Berufsleben. Ich finde schon, dass es richtig ist, wenigstens zu versuchen, etwas zu tun, allerdings sollte einem klar sein, dass die Möglichkeiten in diesem System doch sehr beschränkt sind. Insofern kann man sich natürlich schon darüber freuen, wenn hier ein paar Bäume gerettet werden und dort eine Wildbrücke über die Autobahn gebaut wird, aber das ändert nichts daran, dass auch hierzulande schädliche Monokulturen für die Produktion von „Bio“-Diesel auf dem Vormarsch sind oder ernsthaft über Fracking diskutiert wird, wo man doch in den USA oder Kanada bereits sehen kann, dass dadurch bereits riesige Landstriche unbewohnbar geworden sind.

Vor ein paar Tagen habe ich den Thriller The East gesehen – darin geht es um eine anarchistische Öko-Terrorgruppe, die sich The East nennt und die Verantwortlichen für Umweltkatastrophen mit akribisch geplanten Aktionen für ihre Taten bestraft. Das Ganze erinnert etwas an Die fetten Jahre sind vorbei, wo zwei Großstadtsponties, die sich „die Erziehungsberechtigten“ nennen, in die Villen von reichen Menschen einbrechen – nicht um etwas zu stehlen, sondern um die Bewohner zu verunsichern. Sie dekorieren die Räume um und hinterlassen dabei Nachrichten wie „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder „Sie haben zu viel Geld“.

The East: Traute Runde der Öko-Terroristen. Screenshot via foxsearchlight.com/

The East: Traute Runde der Öko-Terroristen. Screenshot via foxsearchlight.com/

The East funktioniert so ähnlich, nur im US-Maßstab eben ein paar Nummern größer: Die Leute von The East kippen Öl in die Villa eines Ölmulties, um eine Ölkatatrophe zu rächen, sie schleichen sich auf eine Veranstaltung eines Pharmakonzerns und mischen das eben zugelassene Medikament mit gefährlichen Nebenwirkungen in den Schampus, der zum Anstoßen gereicht wird oder sie entführen den Boss eines Chemiewerks und zwingen ihn, in dem Fluss zu baden, in den die giftigen Abwässer eingeleitet werden.

Natürlich sind Wirtschaft und Staat nicht sehr erfreut über die Aktionen der Anarchogruppe. Diese Art von Terror muss unterbunden werden. Deshalb wird das private Sicherheitsunternehmen Hiller Brood engagiert, um die Bedrohung diskret aus der Welt zu schaffen. Hiller Brood schickt die ehrgeizige junge Agentin Sarah (Brit Marling) ins Feld, um die Gruppe der Ökoterroristen zu unterwandern. Sarah ist schön, intelligent und sehr effektiv – die ideale Kandidatin für diese heikle Aufgabe.

Nach gründlicher Recherche und monatelanger Vorbereitung schafft sie es, zum Kern der Gruppe vorzudringen, die in einem halb verfallenen Haus irgendwo tief im Wald lebt. Natürlich sind die Anarcho-Ökos ziemlich eigenartig drauf und haben allerlei Rituale entwickelt, um ihre Gemeinschaft zu stärken und sich gegen schädliche Einflüsse von außen abzuschirmen. Es geht streng ökologisch und basisdemokratisch zu, die Gruppe ernährt sich von dem, was die Wohlstandsgesellschaft weg wirft.

Es stellt sich mit der Zeit heraus, dass die Mitglieder von The East auch in der bürgerlichen Gesellschaft hätten Karriere machen können – so findet Sarah heraus, dass der heimliche Anführer der Gruppe Benji (Alexander Skarsgård – mit und ohne Bart sehr attraktiv) eigentlich ein reicher Erbe ist, der ein sorgloses Leben hätte führen können, wenn er sich nicht anders entschieden hätte. Oder dass Doc (Toby Kebbell) tatsächlich ein promovierter Mediziner ist, dessen Schwester an dem Medikament des fiesen Pharmakonzerns gestorben ist und der selbst unter den Nebenwirkungen leidet. Und Izzy (Ellen Page) stellt sich als Tochter des Konzernchefs heraus, der später baden gehen muss. Es geht also weniger um Klassenkampf, als um wütende Wohlstandskinder, die ihre skrupellosen Eltern hassen und deshalb ausgestiegen sind. Natürlich sind sie gegen das System, aber sie haben alle sehr persönliche Gründe dafür. Und weil sie gut ausgebildet, intelligent, informiert und wütend sind, schaffen sie es überhaupt, ihre spektakulären Aktionen auf die Beine zu stellen. Ohne ihre guten Beziehungen in die Konzernetagen hinein könnten sie gar nicht zu denjenigen vordringen, die sie bestrafen wollen. Im Grunde sind sie gar nicht so viel anders drauf als die Vorzeige-Agentin Sarah, nur dass sie sich für die andere Seite entschieden haben.

Je länger Sarah in dieser Gruppe lebt, desto unsicherer wird sie, was ihren eigentlichen Job angeht. Sie entwickelt nicht nur Gefühle für Benji, sondern auch Sympathien für die Aktivitäten der Gruppe. Das geht soweit, dass Sarah, als sie Bericht erstattet, sogar in der Konzernzentrale einen weggeworfenen Apfel aus dem Mülleimer fischt und herzhaft zubeißt, während sie ihrer Chefin einen Spontanvortrag darüber hält, was in dieser Gesellschaft verdammt schief läuft. Aber am Ende kann sie sich dann doch nicht für The East entscheiden – sie will das Leben ihrer Agenten-Kollegen nicht aufs Spiel setzen.

Was mir an dem Film gefallen hat, ist, dass die Fronten nicht klar sind – die Leute vom privaten Spionagekonzern, der sich lieber „Sicherheitsdienstleister“ nennt, sind keinesfalls sympathischer als die radikalen Ökospinner draußen im Wald – die allerdings auch nicht als Vorkämpfer für eine bessere Welt verklärt werden. Es werden eine ganze Menge Fragen aufgeworfen und in einen spannenden Film gepackt, der nicht auf spektakuläre Actionszenen mit maximalen Sachschaden setzt, sondern auf das moralische Dilemma der Hauptfiguren, die sich zwischen verschiedenen Welten bewegen.

Es ist auch ganz interessant zu sehen, wie die Super-Agentin Sarah, der es bestimmt ihr ganzes bisheriges Leben lang Spaß gemacht hat, immer die beste zu sein, bewusst ihre Arroganz niederringen muss, um bescheiden einfach ein Teil der Gruppe werden zu dürfen, die sie infiltrieren soll. Und natürlich ist die Wut auf das System und der Wunsch, die Verursacher von Leid und Elend zur Verantwortung zu ziehen, der die Gruppe antreibt, auch nicht schwer zu verstehen. Ich frage mich ja auch immer wieder, warum immer nur die, die sich nicht wehren können, leiden sollen und die Arschöcher ganz oben in der Nahrungskette immer ungeschoren davon kommen.

Klar kann und muss man die „Auge-um-Auge“-Mentalität, die dahinter steht, kritisieren – das hat etwas Alttestamentarisches, es ist selbstgerecht und unreflektiert. Denn am System ändert sich ja nichts, bloß weil man ein paar Konzernchefs mit ihrem eigenen Medikament oder ihren eigenen Abwässern vergiftet. Das eine Medikament wird dann vom Markt genommen und am Ende durch ein noch schädlicheres ersetzt, die eine Raffinerie wird vielleicht still gelegt und die Produktion irgendwohin verlagert, wo es keine Umwelt-Terroristen gibt. Die prinzipiell also sehr viel wichtigere Frage, warum es diese ganzen schädlichen Produkte gibt überhaupt gibt, wird weder von den Mitgliedern von The East, noch von den Filmemachern gestellt.

Das ist natürlich schade, aber verständlich, denn sonst wäre The East sicherlich nicht produziert worden, und wenn doch, stände der Film gewiss auf dem Index. Denn bei aller Kritik, die man am System äußern kann und als engagierter Bürger sogar soll – prinzipiell infrage stellen darf man es natürlich nicht. Und natürlich auch keinen Aufruf zu Terror oder Klassenkampf in die Kinos bringen. Aber die Gedanken sind frei.


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