Das Buch von William Bennett und Joel Gurin ist über 30 Jahre alt und dennoch könnte es heute geschrieben worden sein. Es hat sich so wenig verändert, seit die beiden sich aufmachten, der Wirkungslosigkeit von Diäten auf den Grund zu gehen. Sie hinterfragen auch die Volksmeinung, dass Übergewicht zwangläufig von sich aus krank macht und die gesellschaftliche Ächtung, die Übergewichtigen deshalb zuteil wird, weil sie ja so hohe Kosten verursachen (und das nur weil sie, so die gängige Meinung in unseren Medien und den Köpfen der meisten Meschen, schwach und faul sind).
Genau und gewissenhaft nahmen sie zahlreiche Studien unter die Lupe, hinterfragten die “idealen” Maße, den BMI und warum Diät nach Diät auf den Bestsellerlisten auftaucht, die Erfinder reich macht und wieder verschwindet. Sie warnen vor Medikamenten als Diäthilfen, vor Operationen und davor, Tierexperimente zu rasch und unkritisch auf die Menschen zu übertragen.
William Bennett und Joel Gurin sind die Urväter der “Setpoint”-Theorie, die auch in “Health at every size” betont wird und die ich als für mich am logischsten entdeckt habe.
Was besagt die Setpoint-Theorie?
Jeder Körper hat sein eigenes Idealmaß. Das kümmert sich nicht darum, welche Mode gerade “in” ist oder ob wir einem bestimmten von oben (Gesundheitsbehörden) herab verordneten Schema entsprechen. Es wird bestimmt durch seine Gene, sein Alter, seine momentanen Bedürfnisse und Ernährungsgeschichte. Anders als bei “Health at every size” nehmen die beiden Autoren hier nicht Bezug auf ein bestimmtes Gewicht als Setpoint, sondern sie verstehen darunter eine gewisse Größe und Zahl an Fettdepotzellen. Der Körper ist ziemlich flexibel, daher “erlaubt” er sich eine gewisse Bandbreite auf und ab von seinem jeweiligen Setpoint. Erst wenn diese Bandbreite längere Zeit unter- oder überschritten wird, reagiert er. Bei zuviel Gewicht kurbelt er den Stoffwechsel an, er verbrennt mehr. Bei zu wenig Gewicht schraubt er den Stoffwechsel herab, sorgt dafür, dass der Mensch sich weniger bewegen mag und in den Hungermodus fällt, den man seit dem Hungerexperiment von Minnesota sehr genau kennt.
Doch wie jeder Mechanismus kann der Setpoint durcheinander gebracht, gestört werden. Diäten setzen den Setpoint hinauf. Daher, so die Theorie, wird man umso dicker, je öfter man Diät macht. Stress, Schlafmangel, Medikamente, usw… können auch den Setpoint hinauf setzen. Und manche Menschen haben, genetisch bedingt, einen sehr hohen Setpoint.
Kann man den Setpoint auch wieder hinunter setzen?
Ja, kann man und zwar durch aerobe Bewegung. Das ist jetzt kein Aufruf zum Marathon-training oder zum Fitnesswahn, sondern das Ergebnis einiger Studien. Am meisten beeindruckt hat mich jene von Professor Grant Gwinup bei der die Teilnehmerinnen ohne einem Ernährungsplan zu folgen, einfach pro Tag eine halbe Stunde flott gelaufen sind. Das klingt jetzt nicht nach viel, dennoch hielten nur etwa die Hälfe davon durch. Bei denen, die bei der halben Stunde blieben, stabilisierte sich das Gewicht auf einem nierdrigeren Level (Setpoint herabgesetzt), bei jenen, die noch mehr laufen wollten sank das Gewicht weiter. Es sank sehr langsam und die Dicke der Hautfalten nahm ab, was als Zeichen gesehen wird, dass der Gewichtverlust auf einen Fettverlust zurückzuführen war und nicht, wie bei Diäten so oft, auf einen Wasserverlust und einen Abbau von Muskulatur.
Das Buch beschreibt auch sehr genau, wie die heutigen Gewichtsempfehlungen zustande gekommen sind und die historischen Hintergründe des heutigen Körperformideals. Beides ist sehr interessant zu lesen und regt zum Nachdenken an.
Dreißig Jahre ist das Buch nun da, und hätte, wäre es auf den Bestsellerlisten gelandet wie viele Diätbücher, ein Umdenken herbei führen können. Doch es ist leider vieles noch immer so wie in dem Buch beschrieben. In dreißig Jahren hat sich nichts an der Anbetung der Schlankheit geändert, mehr noch, jetzt werden richtig magere Figuren als erstrebenswert dargestellt. Die Modewelt diktiert, wie wir sein müssen, und wer nicht in das Modell passt, wird schel angesehen. Die Menschen werden immer älter, leben immer länger, die Pensionisten sind immer rüstiger, sodass das Arbeitsende hinausgezögert werden soll — trotzdem sind wir (angeblich) alle dem frühen Tode geweiht, wenn wir nicht alle dünn werden und das am besten schon vorgestern. Man fragt sich, wer und was hier wirklich krank ist….
William Bennett und Joel Gurin:
The Dieter’s Dilemma. Eating Less and Weighing More.
Basic Book Inc. 1982
Hardcover, 315 Seiten.