Bilder zu “The Call – Leg nicht auf” © Universum/Squareone/Walt Disney Studios
Es wäre vermutlich für jedermann etwas irritierend – und das ist eine Untertreibung – würde man vertieft in seine eigenen Gedanken auf der Autobahn fahren, schlicht um von A nach B zu gelangen, nur um dann ein zartes Mädchenärmchen aus dem Kofferraum eines voranfahrenden Wagens winken zu sehen. Im Falle von „The Call“ gehört dieser mit bunten Bändchen behangene Arm zu Abigail Breslin, gefangen im Kofferraum ihres Entführers. Das Rücklicht wurde von innen heraus demontiert um somit ein Lüftchen Freiheit schnuppern zu können. Denn in Brad Andersons („The Machinist“) Thriller nach einem Drehbuch von Richard D’Ovidio („13 Geister“) wird die Teenagerin Casey von einem brutalen Massenmörder entführt, bleibt aber durch ihr unentdecktes Mobiltelefon im ständigen Kontakt mit einer Mitarbeiterin der 911-Notrufzentrale – dargestellt von Oscarpreisträgerin Halle Berry, die hier eine wunderbar angespannte Chemie mit ihrer jüngeren Mitdarstellerin beweist.
Breslin, die einstige ‘Little Miss Sunshine’ kann in ihrer Situation weder ein sonniges Gemüt bewahren, noch bekommt sie sonderlich viel Sonne zu sehen. Sie bleibt den größten Teil des Films eingeschlossen in besagtem Kofferraum des Entführers, diabolisch von Michael Eklund verkörpert. Aber auch für Halle Berrys Telefondienst schiebende Mitarbeiterin der Notrufzentrale könnte der Tag nicht schlimmer sein. Durch einen traumatischen Zwischenfall hat Jordan Turner (Berry) ihren Dienst schon vor langer Zeit quittiert, widmet sich nun der Ausbildung neuer Notrufkräfte. Ausgerechnet ein Mord an einem kleinen Mädchen, den sie nicht verhindern konnte, eher zu verschulden hat, holt sie nun wieder ein. Denn Caseys Entführer entpuppt sich als eben jener Psychopath, der für Jordans Ruhestand verantwortlich ist. Somit darf Halle Berry hier nicht nur in die Rolle der rettenden Dame am Telefon schlüpfen, sondern zugleich für ihre eigene Figur die Vergangenheitsbewältigung übernehmen.
Halle Berry als
Jordan Turner in der Notrufzentrale von “The Call”
Beeindruckend wird hier auch ihre Alltagswelt dargestellt. Der ‘Hive’ – ein Bienenstock – ein Großraumbüro, das seinen Namen von den durchgängig eintreffenden Notrufen hat, die untermalt von der unentwegt einstudierten Floskel „911, was ist ihr Notfall“ begleitet, ein immerzu anhaltendes Brummen produziert. Das Ziel des Films sei es gewesen, Einblicke auf die andere Seite des Telefons zu vermitteln, wo – in einer Post 9/11-Welt – ebenfalls Männer und Frauen arbeiten, die sich unentwegt zu Helden des Alltags machen müssen, um Menschen zu beruhigen, anzuleiten oder ihnen wertvolle Ratschläge zu erteilen. Dass das ganz schön aufs Gemüt schlagen kann, merkt man zumindest an Halle Berrys Spiel, die ihre Jordan Turner schon fast selbst wie eine Gefangene in diesem Hive wirken lässt – geplagt von nie aufhören wollenden Anrufen, ebenso eingesperrt wie Abigail Breslin im Kofferraum des Entführers. Das Brummen des Hives kommt dabei den Motorengeräuschen des Autos gleich.
Zwischen Vergangenheitsbewältigung und Pflichtgefühl entwickelt sich in „The Call“ nun via Telefon die Bindung zweier Frauen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise Stärke beweisen müssen. Beide finden sich in einer Ausnahmesituation wieder, konfrontiert mit ihrer größten Angst. Nur gemeinsam sind sie stark. Das gilt für die beiden Filmfiguren Teenagerin Casey und Notrufdienst Jordan ebenso, wie für Halle Berry und Abigail Breslin, die auch ohne sich viele Szenen zu teilen ein immens gutes Zusammenspiel beweisen. Das mag auch am Drehbuch und der Regie liegen, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, keine übermäßigen Spektakel eingebaut haben, sich auf die Enge und Angst konzentrieren, hierdurch immer wieder die Spannung schüren. „Manchmal weißt du nicht wie es enden wird“ merkt eine Kollegin Jordans aus der Notrufzentrale an, womit sie einen Satz fallen lässt, der sich auf den ganzen Film übertragen lässt. Auch wenn am Ende sicherlich nicht ein Weg ohne Happy End gewählt wird, so findet Brad Anderson doch einen eher unkonventionellen Ausgang, mit der er von der zu erwartenden Norm abweicht.
Immer wieder versucht Casey Welson (Abigail Breslin) zu fliehen.
Immer wieder erwirkt er mit seiner Regie das Gefühl, er hätte eigentlich einen Horrorfilm drehen wollen, vermischt reale Angstmomente mit Situationen und Begebenheiten, die Bezug auf das etwas extremere Genre nehmen. Dann wenn sich Abigail Breslin und Halle Berry in einem dunklen Kellerraum wiederfinden, die eine von ihrem Peiniger an einen Stuhl gefesselt, böse Dinge erwartend, die andere durch die Dunkelheit irrend. Auch Michael Eklund zeigt Züge eines psychopathischen Mörders, wie ihn Elijah Wood jüngst in der Neuverfilmung „Maniac“ durchaus aufwühlend verkörpern durfte. Eklund spielt manisch, wirkt immerzu unberechenbar, undurchschaubar. Seine Figur, Michael Foster, fühlt sich geradezu gezwungen, die Menschen, die seinen Plan gefährden, aus dem Weg zu schaffen um hinterher die Schuld ganz bewusst von sich zu weisen. Dabei zeichnet der Film nicht etwa einen schlichten Charakter, sondern nimmt sich noch genug Raum, die Psychose dieses Mannes zu beleuchten.
Dahingehend scheint der Film die These aufzuwerfen, dass wir alle unser psychisches Päckchen zu tragen haben. Sei es nun Halle Berry, die nach einem – ihrer Meinung nach – selbst verschuldeten Zwischenfall am Telefon eben dieses lieber meidet, oder Michael Eklunds Killer, der durch das Entführen von ganz bestimmten Teenagerinnen seine eigene Vergangenheitsbewältigung vollführt, die noch weitaus größere und hier ungenannte Ausmaße annimmt.
„The Call“ ist wirklich eine kleine Überraschung geworden, die gerade durch ihre Spannungselemete überzeugt. Diese wurden mit einer wunderbaren, fesselnden Intensität inszeniert, von Komponist John Debney mit einem stimmungsvoll musikalischen Sound unterlegt. Das Gespann bestehend aus Halle Berry und Abigail Breslin, aber auch Michael Eklund, zeigt eine eindringliche Darstellung, sie alle nehmen sich ihre jeweiligen Rollen sichtbar zu Herzen. Und am Ende geht es nicht um die Befreiung der schwachen Frau aus den Fängen des Monsters, sondern um eine ganz neue Form der Befreiung, um Vergeltung. Das beschert dem Film dann eine grausam groteske Schlusssequenz bei der niemand mehr hilflos mit dem Ärmchen herum winken muss.
“The Call – Leg nicht auf“
Originaltitel: The Call
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 95 Minuten
Regie: Brad Anderson
Darsteller: Halle Berry, Abigail Breslin, Michael Eklund, Morris Chestnut, David Otunga
Deutschlandstart: 11. Juli 2013
Im Netz: thecall-film.de