“The Amazing Spider-Man” does what only a Spider can!

Von Denis Sasse @filmtogo

© Sony Pictures / Peter Parker (Andrew Garfield) mit seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und seiner Tante May (Sally Field)

Eine kleine Spinne beißt einen unachtsamen Teenager, dieser entwickelt daraufhin die auf einen Menschen übertragenen Kräfte eines solchen kleinen Krabblers. Der Junge verliert bei einem Raubüberfall seinen Onkel und muss gegen eine mutierte, grüne Kreatur antreten. Nein, es ist nicht das Jahr 2002 und Regisseur Sam Raimi präsentiert nicht gerade seine Version von Spider-Man, dem Spinnenhelden aus dem Marvel Comicuniversum. Von Stan Lee erfunden, schwang Tobey Maguire bereits dreimal als Spider-Man über die Kinoleinwände und kämpfte gegen Schurken wie den Kobold, Dr. Octopus, den Sandman oder Venom. Damit ist nun Schluss und der Mythos wird neu erzählt. Ganz von vorne, Tabula Rasa. Für die Neuinterpretation legt „(500) Days of Summer“-Macher Marc Webb (ob der Nachname für sein Engagement verantwortlich ist?) Hand an die Spinne und konfrontiert seinen Hauptdarsteller Andrew Garfield mit Verlust, Liebe und einer riesigen Echse.

Diese Echse ist Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), der führende Wissenschaftler im Bereich der Spezien übergreifenden Genetik. Seine Versuche führt er nicht ganz uneigennützig durch: Mit dem Einsatz von Echsen-DNA möchte er seinen verlorenen rechten Arm nachwachsen lassen, wie auch Eidechsen ihren Schwanz erneuern können. Ein Selbstversuch geht jedoch schief und Connors verwandelt sich in die Echse. Er läuft Amok und plant, alle Menschen der Stadt in Echsenwesen zu verwandeln. Währenddessen wird Peter Parker (Andrew Garfield), Sohn von Connors‘ ehemaligen Forschungskollegen Richard Parker, zu Spider-Man. Bei einem Überfall verliert er seinen geliebten Onkel Ben (Martin Sheen), in der High School verliebt er sich in die blonde Schönheit Gwen Stacy (Emma Stone) und ausgerechnet ihr Vater (Denis Leary), der Polizeichef, erlässt einen Haftbefehl für den maskierten Vigilanten.

Spider-Man

Es gibt also genügend Probleme für die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft, aber auch für Peter Parker. Denn „The Amazing Spider-Man“ macht aus dem Helden eine durchaus menschliche Erscheinung und verknüpft die Schicksale von Parker und Spidey so gut miteinander, dass bereits in diesem ersten neuen Auftauchen der Spinne gleich mehrere Personen von ihrer wahren Identität erfahren. Damit bewegt sich der Film viel näher an der Comicvorlage als noch vergangene Inkarnationen. So tüftelt sich Peter dieses Mal seine eigenen, technischen Spielzeuge zum Abfeuern seiner Spinnennetze, Flash Thompson wird zum Spider-Man-Shirt tragenden Fanboy gemacht und Gwen Stacy darf die erste große Liebe von Peter Parker spielen. Dafür verzichtet man auf den Handlungsstrang von Spider-Man als Wrestler, der sowohl in den Comics als auch in der 2002er Verfilmung zur Entstehungsgeschichte des Superhelden hinzu gehört. Tribut zollt man dieser Episode dennoch. Und wenn dann die Echse und Spider-Man in gut choreographierten, nachvollziehbaren Kämpfen aufeinander treffen, sorgen die lockeren Sprüche, die Spidey auch in den Comics immer wieder parat hat, für eine unterhaltsame und doch spannende Atmosphäre.

So sehr sich diese Actionsequenzen als Popcorn-Kino hinstellen, so ruhig wird aber der Rest des Films erzählt. Hier geht es dann um den Verlust von geliebten Menschen und um ein Dasein als Außenseiter. Hier werden Peter Parker und Dr. Connors gleichgestellt, beide Figuren sind in ihrer Umgebung die Wunderlinge. Parker, ein Skateboard-fahrender Streber, der sich zwar für seine Mitschüler einsetzt, aber dafür auch regelmäßig Schläge kassieren muss, ist ein Einzelgänger an seiner Schule. Connors, der seinen Forscherkollegen verloren hat, ebenso wie seinen rechten Arm, wurde lange Zeit von seinen Kollegen für seine wahnwitzigen Experimente verhöhnt. Das Resultat: Beide flüchten sich in andere Welten. Peter wird zum Spinnenmenschen, Connors zur überdimensionalen Echse. Und schon sind sie wieder zwei Außenseiter. Wesen, die sich mit ihren Kräften vom Rest der Menschheit abspalten.

Dr. Curt Connors mutiert zur Echse

Und beide Männer werden dabei auf ihre ganz eigene Weise vom Verlust getrieben. Sei es nun Peter Parker, der schon früh von seinen Eltern verlassen wurde und später noch den Tod seines Onkels miterleben muss oder Connors, dem gedroht wird, dass ihm seine Forschungen genommen werden, womit der ersehnte zweite Arm natürlich in weite Ferne rücken würde. Später wird Gwen in eine ähnliche Situation kommen. Sie wird ganz menschlich mit dem Tod eines Vertrauten umgehen müssen, wird dadurch aber mit einem ähnlichen Schicksal behaftet wie auch Peter Parker. Vielleicht eine Begebenheit, die das Band zwischen den Liebenden stärken wird. Aber wer die „The Amazing Spider-Man“-Comics kennt, wird wissen, dass die Oscorp Firma und deren Besitzer Norman Osborn diese Liebe auseinander treiben wird, sollte sich Marc Webb weiterhin so stark an den Vorlagen orientieren.

Dabei gönnt man es Parker und Stacy hier so sehr, ein friedliches Miteinander zu führen, was der hervorragenden Chemie der beiden Darsteller Andrew Garfield und Emma Stone zu verdanken ist. Garfield schafft den ständigen Wechsel zwischen stotterndem, eingeschüchterten Teenager und dem mutigen Superhelden, der er durch die Spider-Man Maske wird. „Setz die Maske auf, sie macht dich mutig“ sagt er zu einem kleinen Jungen, den er in einer Szene aus einem brennenden Auto retten muss. Damit überträgt sich das Bild wortwörtlich, die Maske verleiht Parker das nötige Selbstbewusstsein um Stärke zu zeigen. Emma Stone, irgendwie immer großartig, ist eine Bereicherung für jede Szene, in der sie zu sehen ist. Einmal zeigt sie ein erinnerungswürdiges Spiel mit der Mimik, wenn Gwen von Peters zweiter Identität erfährt, ein anderes Mal unterhält sie sich mit ihrem Vater darüber, ob sie nun in einem Schokoladenhaus wohnen möchte oder nicht. Selten waren banale, für einen Film gänzlich unwichtige Gespräche so unterhaltsam und charakterformend.

Trotz aller Schwere und Schicksalsschläge ist „The Amazing Spider-Man“ ein Superheld mit Spaß an der Sache, was in das Bild der erst kürzlich von Marvel losgelassenen „Avengers“ passt. Bei Spidey gibt es dann aber doch etwas weniger Action, dafür weitaus mehr Tiefgang, worunter aber der Unterhaltungsfaktor niemals zu leiden hat. Und in bester Marvel-Tradition darf noch der Ratschlag gegeben werden: Mit dem Abspann ist die Unterhaltung noch nicht beendet. Ruhig noch ein wenig im Kinosessel ausharren.

Denis Sasse


“The Amazing Spider-Man“