Musik ist eine Kunst der Zeit. Das gilt vor allem für Improvisierte Musik, bei der im Gegensatz zu einem fest einstudierten Ablauf das Flüchtige und Spontane im Vordergrund steht. So existiert sie immer nur für einen kurzen Moment, und selbst der ambitionierteste Reproduktionsversuch ist zum Scheitern verurteilt.
Denn die Faszination der Improvisation besteht vor allem in der Macht der Vergänglichkeit. Bis heute existieren jedoch nur wenige Räume außerhalb des akademischen Kontextes. Dort heißt Improvisation oft nichts anderes, als die unendlichen Möglichkeiten des Musikmachens durch unausgesprochene Standards abermals in ein geistiges Gefängnis zu sperren. Dies soll sich jetzt zumindest in Gießen mit der neuen Veranstaltungsreihe „Textur“ ändern. In der Off-Location Ludwigsstraße 6 wird am heutigen Dienstag eine offene Bühne zur Verfügung gestellt, auf der alle Interessierten fernab von jeglichen Genres miteinander musizieren können. Erwünscht sind dabei sämtliche akustischen und elektronischen Klangerzeuger wie Laptops oder Synthesizer. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Musiker soll dabei keine konventionelle Konzertsituation, sondern vielmehr verschiedene Klangereignisse erzeugen, so die beiden Veranstalter Sten Seegel und Timon Jansen. Eigentlich verrät der Veranstaltungs-Titel bereits das Konzept. Denn auch ein Stück Stoff besteht aus vielen individuellen Strängen, die erst durch ihre Verknüpfungen eine Gesamtheit erzeugen. So verspricht der Abend das zu werden, was mir der berühmte deutsche Free Jazz-Pionier Peter Brötzmann mal während eines Interviews in London mitteilte: „Jeder Auftritt ist im Prinzip eine Uraufführung, weil es Dinge gibt, die nicht zu wiederholen sind.“
Eingeleitet wird der Abend um 19 Uhr von ntropy-DJ K-lone (Phire) mit einem säurehaltigen DJ-Set, das sich mit einer Mischung aus Krautrock, Jazz und elektronischer Musik der Auflösung eines elitären Kulturbegriffs widmet. Die Performances beginnen um 21 Uhr.
Text: Phire