Auf meinem Schreibtisch hatte sich in der letzten Woche ein kleines Türmchen eines neuen Filmmaterials aufgebaut. Obenauf lag ein Datenblatt, das von einem ähnlichen Film aus längst vergangenen Tagen stammt. Angeblich sollte es genau das Gleiche, eben nur in einer neuen Version sein. Aber … so wurde mir dann auch gleich gesagt … es ist dann doch nicht das Gleiche, weil die eine oder andere Zutat dem Filmkoch nicht mehr zur Verfügung steht und dafür etwas mehr Würze hier und ein wenig Sahne dort einen neuen Film ergeben hat. Die Rede ist vom „Rollei Tonal“. Oder heißt der jetzt „Rollei Retro 100 Tonal“? Ich habe keine Ahnung, aber als ich gehört habe, was das für ein Film ist, bekam ich schweißnasse Hände. Orthopanchromatisch! Ich spare mir jetzt den Ausflug in die technischen Spezifikationen (wenn es interessiert, kann ich das ja noch nachliefern) und erzähle lieber über die Wirkungen, die ein solches Material bereits im Vorfeld auslöst.
Wer die Historie der Fotografie verfolgt, wird wissen, wie lange und intensiv darum gekämpft wurde, Filmmaterialien das Rot-Sehen beizubringen. Dies hat nicht gleich auf einen Hieb geklappt und war ein Prozess, der sich über Jahrzehnte hinzog. Spannend ist, dass im Zeitraum zwischen den 1920er und 1950er Jahren die Mehrzahl der heute hoch geschätzten Bilder auf orthopanchromatischen Filmen aufgenommen wurden. Ich bin sogar der Ansicht, dass unglaublich viele der heute von uns verehrten Fotomeister ohne orthopanchromatische Filme niemals derart eindrucksvolle Bilder hätten erstellen können. Die Abbildungseigenschaften derartiger Filmmaterialien hat aus historischer Sicht ganze Stilrichtungen in der Fotografie geprägt. Allen voran der Piktoralismus, der noch heute das Gros der Fotografie prägt. Auf einen Kenner wirkt die Verheißung von orthopanchromatischen Eigenschaften etwa so, wie ein „Châteauneuf-du-Pape Grand Cru 1977“ auf einen Weinkenner … man ist bereits besoffen vor Glück, wenn man an so etwas heran kommt. Nun lagen diese Filme also auf meinem Schreibtisch und ich sollte langweilige Bilder machen. Nicht wirklich spannend, zumal nur eine begrenzte Menge davon zu Verfügung stand … einfach zu wenig, um sich schlückchenweise heran zu trinken.
Nachdem ich mir die Schweißtropfen der Vorfreude von den Gliedern gewischt hatte, kamen also die ersten Aufnahmen. Immer in mehrfacher Ausführung, da ich ja auch nichts über den besten Entwickler, die optimale Entwicklungszeit und das ganze Drumherum für das Material wusste Versuch macht klug, aber so viel Klugheit wollte ich dann doch nicht haben. Hätte ich wenigstens Beispielbilder als Referenz gehabt, dann hätte ich gewusst wohin die Reise gehen kann. In Ermangelung dessen, hatten sich Aufnahmen meiner großen Vorbilder im Kopf festgesetzt und ich suchte verzweifelt nach dem Schlüssel zum Erfolg. Diese Fotoheroen hatten mit orthopanchromatischen Filmen ihre grandiosen Werke geschaffen, das wusste ich. Also wollte ich nun auch an deren Größe Anschluss finden, aber so mancher Standardentwickler verwandelte die Bilder auf dem „Rollei Tonal“ zum Standard. Wer mir in solchen Situationen im Weg steht, der weiß was Furcht bedeutet. Tilla suchte vorsorglich das Weite und war dann vollkommen entgeistert, als ich unter Jubelschreien Samba tanzte. Mit dem „Spürsinn HCD“ hatte ich das gefunden, was ich verzweifelt gesucht hatte. Einfach nur genial! Rollei Tonal hübsch vorwässern, Spürsinn HCD 1+9 für 7:30 Minuten an den Film lassen, fixieren und alles ist fein. Fein, ja, sehr fein. Ich habe eine Menge gespielt und der Spaß wurde immer größer. Jetzt muss ich nur noch einen Testbericht schreiben und dann darf ich mit dem Tonal auch mal an nackte Haut. Und ich bin sicher, diese Bilder werden der Bringer schlechthin.