Seit Jahren das Credo der Innenminister: der linke Terror schwillt an, der rechte bleibe konstant oder ist rückläufig. Rechts gab es auch keinen Terror, es gab Extremismus. Als neulich das Berliner Bahnnetz Ziel fleißiger Bombenbastler war, schien bestätigt, dass links der Terror gedeihe. Man hob linken Terror und rechten Extremismus auf eine Stufe. Die Familienministerin, früher passionierte Gleichstellungsbeauftragte in Sachen links- wie rechtsextremistisch, tat sich da einst besonders rühmlich hervor. In Berlin brannten Autos - linker Terror, der die Republik im Griff habe. Man leugnete nicht, dass es am rechten Rand radikale Grüppchen gäbe, aber alles in allem habe man die im Griff.
Dem Mythos geschuldete Nicht-Berücksichtigung?
Der Mythos der linksterroristischen Gefahr benötigte rechtsextremistischen Rückgang. Man musste Prioritäten setzen, um die Republik vor linken Gedankengut zu schützen. Unbequeme Fragen und Ansichten zur sozialen Schieflage mussten diskreditiert werden. Wurden hierfür mit den Sachbeschädigungen einiger hoffnungsloser Fälle in Verbindung gebracht. Der Verfassungsschutz sollte die schlechte soziale Verfassung schützen - ungemütliche Fragen, die man dem linken Spektrum zugesellen konnte, sollten hierzu in Misskredit geraten. Rechts drüben nichts Neues, parolierten die Institutionen. Verfassungsschutz und Innenminister wurde nicht müde, am rechten Rand Windstille bis Abflauen zu verkünden.
Nun kristallisiert sich ein Netzwerk rechtsterroristischer Mörder heraus, eine BAF, Braune Armee Fraktion, die seit Jahren ihr Unwesen treibt. Jetzt läßt es sich eben nicht mehr verstecken. Die Mordserie, die offiziell als Mordserie Bosporus, in der Presse abschätzig als Döner-Morde bezeichnet werden, wurden bereits mehrmals bei Aktenzeichen XY thematisiert. Einige Fälle wurden im Laufe der Jahre präsentiert - dass die Morde zusammenhängen, wusste man schon damals. Man gestaltete es aber so, dass man sie als innertürkische Angelegenheit abtat - Türkenmafia oder dergleichen. Einen rechten Hintergrund wollten die Behörden jedenfalls nicht herausfiltern. Ohne so einen Hintergrund war es bequemer - und es passte vermutlich ins innenministeriale Konzept, den rechten Terrorismus zu verharmlosen.
Man muß sich gründlich fragen, ob die ermittelnden Behörden geschlampt haben oder ob das Innenministerium mitsamt Kläffer an der Front, Minister des Inneren genannt, nicht reges Interesse daran hatte, solcherlei Fälle zu entwerten, um sie dem Konzept "Forcierung angeblich linken Terrors" nicht in die Quere zu werfen. Helfershelfer des Terrors? Es wäre infam zu behaupten, das Innenministerium würde Terrorismus dulden. Aber ihn kleinhalten, unter den Teppich kehren, um ihn kein Spektakel machen: das hat es schon getan. Gezielt vielleicht; möglicherweise auch arglos - in jedem Fall nach ideologischem Kodex, wonach das Linke der Terror der Zukunft ist, nicht das Rechte.
Dem Mythos nachrennende Presse
Eskortiert wurden die Verlautbarungen rechts-konservativer Politiker von Journalisten, die die Thesen des terroristischen Linksrucks ins Land trugen. Die bemühen sich nun natürlich, nach bester Wissens- und Gewissenslosigkeit, aus der Affäre zu stehlen. Entrüstet sind sie wegen der BAF. Der öffentliche Diskurs, den wir seit Jahren haben, muß sich fragen lassen, wie realitätsfremd er eigentlich betrieben wurde. Als in Norwegen ein Massenmörder umging, riefen die Medien und erste aufgestachelte Politiker, man müsse den Islamismus stoppen. Letztlich sah man, dass es das Gegenteil des Islamisten war, der da tötete - ein fanatischer Rechter. Dauernd warnte man vor dem Terror, der entweder von Radikallinken oder, und das war die viel größere Befürchtung, von Islamisten ins Land gebracht würde. Dabei wütete der Terror schon unmerklich im Lande, traf aber meist nur Türken, womit man das Problem marginalisierte. Terror war schon Alltag - und der wurde nicht von Islamisten, sondern vom Gegenteil des Islamisten begangen, vom fanatischen Rechten.
Ratifizierer des Mordens
Und wollen wir im Angesicht dieser neuen Dimension stillen Terrors gegen türkische Kleinunternehmer oder türkische Konsumenten auch mal über die Rolle der Broders und Sarrazins beraten? Beide mögen schon zu Anfangszeiten des Nationalsozialistischen Untergrunds gewütet haben - dann aber relativ beschränkt. Broder war damals schon begrifflich - Sarrazin nur ein Geheimtipp. Sie sind keine geistigen Vorbereiter. Aber was mag mancher in den Mordbrigaden der NSU an Bestätigung erfahren haben, als er Sarrazins Tiraden und Broders Feindseligkeiten gegen türkische Mitbürger lesen durfte? Nicht Vorbereiter - ganz sicher nicht. Aber Bestätiger und Ratifizierer, "intellektueller Helfershelfer des Terrors", um eine beliebte Floskel aus dem Deutschen Herbst zu gebrauchen. Keiner von denen rief zum Mord auf. So fair muß man schon sein. Aber den muslimischen Menschen lächerlich gemacht, entmenschlicht, verfremdet und zu einem Mensch zweiter Klasse, früher hätte man ungeniert vom Untermenschen geschwafelt, gemacht: das haben sie durchaus. Sie haben damit auch das Geschäft der NSU intellektuell beschönigt. Unwissentlich! Aber doch. Man sollte mal im Bestand dieser Mordbrigaden fischen. Wer weiß, vielleicht finden sich dort Elaborate dieser Herrn. Und ob beide wohl nun bibbern, es möge kein Buch, ja nicht einmal ein Satz von ihnen dort auffindbar sein?
Sarrazin spottete über die Erwerbstätigkeit hier lebender Türken. Wer brauche denn endlose Gemüseläden und Dönerbuden, fragte er mal provokativ. Die Mordserie Bosporus hat genau diese Klientel zum Opfer. Allesamt waren sie kleine Selfmade-Unternehmer. Was mögen die Mörder der NSU gedacht haben, als sie lasen, dass dieser Herr genau jene anfeindet, die zu ihrem Raster passten? Was dachten sie wohl, als sie lasen, dass die öffentliche Debatte diesem "Helden der schweigenden Mehrheit" allen Respekt anerkannte? Springer und die Springerstiefel - das gehört damit nicht nur terminologisch zueinander. Die Rolle jener Tageszeitung ist in dieser Frage nicht ambivalent. Sie ist eindeutig! Sie hat Sarrazin zu einen Messias gekürt, der endlich ausspreche, was alle denken: dass nämlich Türken und Araber irgendwie anders, irgendwie schlechter, irgendwie dümmer und rückständiger seien. Sie schrieben nicht: Daher tötet sie! Aber die NSU mag sich gedacht haben, dass es um solche "menschenähnliche Wesen" nicht besonders schade sei. Wenn doch selbst die Presse nicht viel von diesen Gestalten hält...
In Erwartung terroristischer Anschläge...
Es ist eine Farce. Da veranstalten die letzten Regierungen und Ministerien mitsamt ihren Schreiberpersonal seit Jahren ein Mordsspektakel. Der islamistische Terrorismus bedrohe uns schrecklich. Hierfür wurden Freiheitsrechte eingeschränkt und die Privatsphäre der Bürger zum Allgemeingut. Jeder vergessene Koffer am Bahnhof wird zum Ereignis für Sondereinsatzkommandos und Nachrichtensender. Hysterie an jeder Ecke. Bebartete Muslime im Verdacht. Die Bundesregierungen lobten sich: die Anti-Terror-Gesetze fruchten. Die Bundesrepublik wurde bislang verschont vom Terrorismus. Was für ein exorbitanter Wirklichkeitsverlust!
Der Terrorismus ließ gar nicht auf sich warten. Er war schon da! Ganz unscheinbar. Er hat nicht spektakulär Massen bedroht, sondern gezielt und mit kühler Präzision unbescholtene Bürger gemeuchelt. Während die Gesellschaft hysterisch auf den ersten großen Terrorakt auf bundesdeutschem Boden wartete, war der Terror hier schon heimisch. Ein zeitgeschichtlicher Treppenwitz! Hysterie ist eine schlechte Ratgeberin - sie macht blind. Man installierte Kameras auf öffentlichen Plätzen, erschwerte das Reisen, erhöhte die Polizeipräsenz an Bahnhöfen und Flughäfen - aber die Terroristen kamen ins Dönerlokal, in den Gemüseladen oder ins Blumengeschäft. So phänomenal daneben hat man wohl selten gelegen! Das kommt davon, wenn man ideologisch an Probleme herantritt - dann ist der Links- und Islamistenterror, den manche ganz kühn miteinander vermengen, plötzlich wichtiger und gefährlicher und bekämpfenswerter, als der Terrorismus rechten Naturells. Wer in hysterischer Ideologie handelt, sucht fleißig nach Rechtfertigungen dafür, weshalb eine demokratische Partei wie die Linken vom Verfassungsschutz beobachtet wird, während er gleichzeitig für die Indizien für rechten Terrorismus erblindet ist.
Aus dem islamistischen Gemetzel in Utøya erwuchs jene Wahrheit, dass es ein rechter Kreuzritter war. Aus den islamistischen Terrorübertreibungen erwächst nun die Wahrheit, dass die schon tätigen Terroristen rechte Meuchelmörder waren und sind. Das ist kein Versehen von Politik und Öffentlichkeit und Medien - das ist das Resultat aus verbohrter Weltsicht und Paranoia. Es ist gezielt in Kauf genommene Blindheit. Das Heraustreten der NSU aus ihrem Schattendasein läßt auch die Befindlichkeit der Gesellschaft und ihrer Verantwortungsträger ins Licht gehen. Es zeigt, dass das agenda setting der Politik im blindem Eifer geschah und nichts hinterfragt wurde.