Der Anfang ist Klischee. Der eine ebenso wie der andere. Der eine: Die Schilderung eines Terroranschlags von Islamisten eröffnet „Osama“. Scheinbare Detailtreue zur Vorspiegelung einer Realität überdeckt nur mühsam den Trash eines Terror-Thrillers vom Fließband. Autor ist Mike Longshott, der eine ganze Reihe über „Osama der Vergelter“ verfasst hat, die Privatdetektiv Joe zwischendurch liest, wenn mal - wie eigentlich häufig - im Büro nichts los ist und die Whiskeyflasche der einzige Begleiter im Job ist. Doch dann kommt - wie sollte es anders sein - die schöne Frau mit dem Geheimnis und damit ein Auftrag, den er annimmt, weil sonst kaum was los ist. Und schon kommt er in Gefahr: Es schießen Unbekannte auf ihm, er wird gewarnt, den ominösen Autoren, der in einem Pariser Pornoroman seine Thriller verfasst, weiter nachzuspüren. Doch Joe hat nichts anderes, als seinen Job. Und der sieht halt auch vor, dass man immer wieder mal zusammengeschlagen wird. Wenn er auch zunächst überhaupt nicht versteht, wieso eigentlich. Doch damit ist er in guter Gesellschaft: Von Marlowe bis Matula gehört die Tracht Prügel ebenso zur Jobbeschreibung wie die geheimnisvolle Schönheit, die nicht nur mit ihrem Geld die Pleite verhindert, sondern die auch als lockendes Ideal irgendwo wie eine Belohnung am Ende wartet. Doch um die zu bekommen, muss man nicht nur das Rätsel lösen und hinter all die schrecklichen Geheimnisse der scheinbar guten Gesellschaft kommen, man muss den Job auch einfach überleben.
Von Paris über London und New York geht die Reise. Joe begegnet Nutten, die sich plötzlich auflösen, Opiumsüchtigen und einem ominösen Komitte für Gegenwärtige Gefahr (KGG), deren Agenten in den schwarzen Anzügen für die diversen Schläge verantwortlich zeichnen. Erst langsam wird Joe klar, dass dies eine seltsam brüchige Realität ist, durch die er sich bewegt. Dem Leser wird das dank Tidhars zunächst spärlichen Hinweisen schon eher deutlich: Joe lebt in einer Welt, wo Saint-Exupery der erste Präsident Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ist und de Gaulle bereits 1944 in Algerien gefallen ist.
Kritiker haben „Osama“ wegen dieser parallelen Realitäten oft mit den Werken von Philipp K. Dick („Blade Runner“) verglichen. Doch ebenso deutlich ist eben auch, dass der Roman des in Israel geborenen Autors die Hardboiled-Krimis in der Traidiont von Chandler, Hammett und deren Erben zitiert. Und in den immer wieder eingestreuten Auszügen aus den „Vergelter“-Romanen auch den Müll, der heutzutage oft als Polit- oder Techno-Thriller auf den Markt geworfen wird. Und nur langsam wird nicht nur Joe klar, dass das eine Täuschung ist: Was Longshotts Werke sind, ist eigentlich eine ziemlich akkurate Schilderung der Al-Quaida-Anschläge von Afrika über den 9. September bis zu den Attentaten von London.
Und als Joe die Fragwürdigkeit seiner Realität immer deutlicher wird, brechen die Grenzen zwischen den verschiedenen Welten immer häufiger zusammen. Bis dann schließlich Joe und der Leser hineingestoßen werden in die Worte und Gedanken der Opfer von Osamas Terror: Diese Welt von Joe, dem Schnüffler hat für den realen Terror ebensowenig Platz wie die des Lesers, der immer möglichst schnell wieder zur Tagesordnung seiner kleinen geregelten und sicheren Lebens zurückkehren möchte. Doch wo bleiben die Opfer? Joe findet Longshott, die Frau findet ihn - doch ein Happy End gibt es doch nicht. Seine Realität in Laos ist eine Flucht. Und er ist nicht bereit, diese scheinbare Sicherheit jemals wieder zu verlassen.
Wie kann man glaubhaft über Terror schreiben? In der Erzählung „Meine Reisen mit Al-Quaida“ hatte Tidhar die Ereignisse geschildert, wie er zufälligerweise mehrfach genau in der Nähe von Terroranschlägen von Al-Quaida war in Nordafrika, der Sinaihalbinsel und in London. „Osama“ verfolgt den Terror weiter literarisch - zerpflückt ihn als grausam-pornografisches Klischee und versucht den namenlosen Opfern eine Stimme zu verleihen. Und das hebt den Roman heraus aus all den Vergleichen mit den Fantasy-Realitäten Dicks oder auch den zu Klischees geronnenen Nachahmern Hammetts. Herausgekommen ist eine aufwühlende Anklage gegen den Terror, eine Anklage, die sich verkleidet ins Kleid der Groschenromane und ihrer künstlichen Ästhetik. Faszinierend - und verstörend. Nur manchmal zu langatmig für den „normalen“ Krimileser. Aber der wird wohl eher weniger zu „Osama“ greifen.