Teil 3: Stress… dein Freund?

Mmh… Schokolade…

Ich habe in Teil 1 & Teil 2 beschrieben, dass Stress nicht nur falsch verstanden, sondern auch falsch verwendet wird und daher uneingeschränkt einseitig behandelt wird. Daher nun das letzte Teil des Puzzles: Die „Schokoseite“ von Stress.

Oder: Wie Stress dein Freund sein könnte.

Um darauf genauer eingehen zu können lohnt es sich die Stresshormone, die in Stress-situation ausgeschüttet werden, genauer zu betrachten. Daher ein kleiner Ausflug in die Neuropsychologie, es wird interessant – versprochen!

Von Stresshormonen und anderen Monstern

Hormone sind super cool, ehrlich! Das sind sowas wie die Laufburschen in unserem Körper, die zwischen Zentralem Nervensystem und Organen (z.B. Herz) rumflitzen.

I. Adrenalin & Glucocorticoide

Du verpasst vielleicht gerade in diesem Moment deinen Bus, die Türen würden sich jeden Augenblick schließen und du bist noch genau 20 Meter weg; „Jetzt ein kleiner Energieboost und ich würde es noch schaffen!“ Schwupp sendet dein Gehirn innerhalb von Millisekunden an deine Nebennieren: WIR BRAUCHEN POWER!! Sofort wird dein Blutsystem mit den richtigen Hormonen geflutet: Adrenalin und Cortisol sorgen dann dafür, dass dein Schmerz (Seitenstechen) wie verflogen ist und dein Körper kurzzeitig mit (fast) Superkräften ausgestattet ist: das heißt (zum Bleistift), dass dein Herz jetzt Blut und Sauerstoff supereffektiv in deine Muskeln pumpt und du dich mit einem letzten gewaltigen Sprung in den Bus rettest. Puh! Geschafft! Dank Adrenalin und Glucocorticoide (wie z.B. Cortisol).

In einer stressigen Situation sorgen Adrenalin und Glucocorticoide für Schmerzlinderung und erhöhte Energieverfügbarkeit – was nur kurzzeitig gut geht.

Das Ganze funktioniert natürlich nur kurzzeitig, über längeren Zeitraum gesehen, wird das jedoch problematisch (siehe Teil 2) und der Körper kann dieses enorme Energiepensum auf Dauer nicht durchhalten. Auch weil durch Glucocorticoide die Immunabwehrreaktion unterdrückt wird und es zu ernsthaften Gesundheitsproblemen kommen kann (von der Grippe bis Krebs; Lupin et al, 2007).

Sie sind auch dafür verantwortlich, dass du dir noch so bildhaft deinen Stotterauftritt in  der Grundschule vorstellen kannst; sie erhöhen die Gedächtnisformation in besonders emotionalen Situationen. In der Fachliteratur spricht man auch von „flashbulb memories“, weil sie so bildlich und kräftig leuchten wie, nun ja: eine Glühbirne eben. Zu viel (und für zu lange) verhindert aber, dass du Erinnerungen (z.B. was du für die Schulaufgabe gelernt hast) in der kritischen Situation abrufen kannst. So genannte „black-outs“, wo einfach gar nichts mehr geht. Ihr starrt auf das Exampapier und wisst nicht mal mehr euren Namen. Das ist vielleicht manchen ein Begriff und kommen genau daher; Nicht, dass du irgendwie dumm bist oder nichts gelernt hast (im Falle für den Angeklagten…), sondern, dass Cortisol dein Erinnerungspotenzial kastriert (Lupin et al, 2007).

II. Ausflug in die Sportwissenschaft

Schon seit ein paar Jahren weiß man, dass Hochleistungssportler, wenn sie ihren Gegner (oder das Match) nicht ernst genug nehmen, sie meistens schlechter spielen und verlieren werden. Die falsche Einstellung und zu hohe zuversichtlich, führt dazu, dass du dich nicht so (wie sonst) bemühst. Grund: weil du nicht gestresst bist. Dir fehlt es einfach an Konzentration (Adrenalin) und tatsächlicher körperlicher Kraft (Glucocorticoide). Beides ist kritisch um gute Sportleistungen zu erbringen. Und daher: Nur wenn du dein genaues Stressniveau hast (also nicht zu viel und auch nicht zu wenig) kannst du die beste Leistung bringen. Die Kurve ist natürlich bei jedem anders.

Die beste Leistung wird vollbracht, wenn du genau das richtig Stress-level hast!

In der Sportpsychologie spricht von einer Individuellen Zone der Optimalen Leistungsfähigkeit (IZOL; Individual Zone of Optimal Functioning, Hanin, 2003).

Daher wird sich hier großzügig aus der Stressforschung bedient.

Zu locker, zu zuversichtlich – nicht aufgeregt genug?

Kein Problem! Stellt euch das letzte Match mit eurem Erzrivalen vor. Wisst ihr noch, wie nervös ihr wart? Wie angespannt? Wie konzentriert? Und wie ihr zur Halbzeit 0:2 zurück lagt – dann aber in der zweiten Hälfte wie verwandelt aus der Kabine gestapft seid und am Ende mit 3:2 gewonnen habt? [Durch dieses Visualisieren wird die Situation noch einmal durchlebt, worauf der Körper reagiert! Es erhöht den Herzschlag und Stresshormone werden ausgeschüttet- und das hilft den Körper „kampfklar“ zu machen!] (NB: Oder auch epische Musik; alles, was den Herzschlag auf angenehme Weise erhöht und dich motiviert!)

Zu angespannt, verkrampft, zappelig – verängstigt?

Kein Problem! Auch hier kann visualisieren oder Atmungsübungen helfen – aber am besten: Re-interpretation der Stressreaktion. Und wie genau das funktioniert, könnt ihr im 4. Teil nachlesen…

 III. Oxytocin

Letztes Jahr wollte ich zu Ostern nach Israel reisen, musste aber noch bevor der Bus kam, „schnell“ zwei Aufsätze ausdrucken und anschließend abgeben. Dumme Idee, weiß ich jetzt auch…

Natürlich war erst der Drucker kaputt (also PC gewechselt) und dann der Horror: Kein Geld mehr auf dem Druckerkonto. Das Herz sank mir in die Hose und wie ein schwarzes Tuch senkte sich über mir. Alle anderen Gedanken waren wie ausgelöscht und ich konnte nur noch an das eine denken: Wie schaff ich das jetzt? Mein Gehirn war sofort im Blitzmodus und hat innerhalb von Sekunden alle möglichen Szenarien durchgespielt;

…In 10 Minuten kam der Bus. Bis zum Sekretariat waren es 3 Minuten, plus mögliche Schlange, plus langsame Bedienung, plus zurück laufen (rennen war absolutes No-Go auf dem Uni campus), plus Ausdrucken, plus im ersten Stock abgeben… das waren mindestens 10 Minuten und der Bus wäre dann schon lange weg…

Als meine Gedanken so rasten, sich mein Blickfeld verengte und ich meinen Kopf vor Aufregung hin und her warf, da fiel mein Blick auf einen Jungen, der an einem anderen Computer saß. Ich spreche ihn an. „Na klar druck‘ ich dir des Zeug aus, schick‘s einfach schnell per Email!“ kam die Antwort. Wolle er denn Geld? [Jede Seite kostet ca. 10c und meine Aufsätze sind meistens so 10-15 Seiten] „Ne, das passt schon! Mach dass du deinen Bus erwischst!“ Mein Held des Tages.

Dazu muss man wissen, dass ich normalerweise extrem schüchtern bin- aber in dem Moment waren alle Hemmungen wie weggeblasen. Das war Oxytocin (zumindest, zum Großteil). Es motiviert uns mitmenschlichen Kontakt und Hilfe zu suchen, auf Andere zu zu gehen. Es erhöht auch das eigene Mitgefühl und nicht nur öffnest du dich Menschen gegenüber leichter, sondern erkennst auch, wenn andere Menschen in deinem Leben mit Problemen zu kämpfen haben. Es wird auch „Kuschelhormon“ (s. 157, Magon & Kalra, 2011) genannt, weil es ausgeschüttet wird, wenn man jemanden umarmt (oder während anderen intimen, zwischenmenschliche Aktionen *hust-hust*).

In einer stressigen Situation wird zum Anderen auch Oxytocin ausgeschüttet, was den Glucocorticoiden entgegenwirkt.

Oxytocin ist der also der Gegenspieler von Cortisol; also während Glucocorticoide das Immunsystem hemmen, erhöht Oxytocin die Immunsystemfunktion und ermöglicht so schnellere Erholung. Um genauer zu sein:  Es schützt deine Herzkranzgefäße vor chronischem Stress indem es den Blutdruck senkt und Entzündung vorbeugt indem es auch deinen Blutgefäßen hilft, (wenn unter Stress) entspannt zu bleiben. Aber das Beste: es hilft Herzzellen (die durch chronischen Stress beschädigt wurden) sich zu regenerieren (Gutkowska & Jankowski, 2012).

Das Ganze kann auch vorbeugend funktionieren; wer viel mit Menschen zu tun hat, kontaktfreudig und hilfsbereit ist, ist besser gegen chronischen Stress gewappnet als Einzelgänger (Poulin, Brown, Dillar, & Smith, 2013).

Daher schützt ein soziales Umfeld vor Stress!

Zu guter Letzt…

In einer Stresssituation werden beide Hormongruppen (Glucocorticoide und Oytocin) ausgeschüttet – das ist unvermeidlich. Wenn Glucocorticoide (wie Cortisol oder Vasopressin) überwiegen, dann führt das entweder zu negativen Reaktionen (wie z.B. Verzweiflung oder Angst) – oder aber zu passiven Bewältigungsversuchen (wie z.B. Depression). Überwiegt aber Oxytocin, führt das dann zu aktiven Bewältigungsmethoden und erhöht die Widerstandskraft gegen Stress (siehe Graphik, aus Neumann & Landgraf, 2012).

Stress aus der medizinischen Perspektive

Stress aus medizinischer Sicht (Neumann & Landgraf, 2012)

Das wusste die Wissenschaft schon lange und hat das mit Therapien behandelt.

Was jetzt aber neu herausgefunden wurde, ist folgendes: Die Balance kann durch die richtige Interpretation („Das ist eine Herausforderung, was für ein Spaß!“ vs. „Oh nein, ich werde wieder versagen!“) auf die eine Seite oder auf die andere Seite gekippt werden. Daher haben die Teilnehmer von Crum, Solevey, & Achor (2013) [beschrieben in Teil 2] mit der richtigen Einstellung messbar (!) weniger Cortisol im Blut gehabt als vergleichbare Versuchsteilnehmer ohne dieser positiven Einstellung. Und Glucocorticoide wie Cortisol (über einen längeren Zeitraum!) richtet den Schaden an (wie z.B. Herfinfarkt), nicht die Stresssituation an sich.

Daher: Nein, Stress lässt sich nicht immer vermeiden und Nein, Hormonausschüttungen lassen sich auch nicht verhindern – aber (in gewisser Weise) kontrollieren.

Also hat eine Stressreaktion immer das Potenzial, dich vor den negativen Auswirkungen von Stress zu schützen, nämlich durch Oxytocin.

Genial – oder?

Referenzen

Crum, A. J., Salovey, P., & Achor, S. (2013). Rethinking stress: The role of mindsets in determining
the stress response. Journal of personality and social psychology104(4), 716-733.
Gutkowska, J., & Jankowski, M. (2012). Oxytocin revisited: its role in
cardiovascularregulation. Journal of neuroendocrinology24(4), 599-608.
 Hanin, Y. L. (2003, January). Performance related emotional states in sport: a qualitative analysis.
In Forum Qualitative Sozialforschung/Forum:Qualitative Social Research (Vol. 4, No. 1).
Lupien, S. J., Maheu, F., Tu, M., Fiocco, A., & Schramek, T. E. (2007). The effects of stress and stress
hormones on human cognition: implications for the field of brain and cognition. Brain and
cognition65(3), 209-237.
Magon, N., & Kalra, S. (2011). The orgasmic history of oxytocin: Love, lust, and labor. Indian journal
of endocrinology and metabolism15(Suppl3), 156-161.
Neumann, I. D., & Landgraf, R. (2012). Balance of brain oxytocin and vasopressin: implications for
anxiety, depression, and social behaviors. Trends in neurosciences35(11), 649-659.
Poulin, M. J., Brown, S. L., Dillard, A. J., & Smith, D. M. (2013). Giving to others and the association
between stress and mortality. American journal of public health103(9), 1649-165.

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