Teddybären, Bügelbretter und Buffone

Schillers Räuber in einer Fassung für Kinder ab 8 im Dschungel. Atemberaubend und poetisch zugleich.

Wie klein können Puppen sein, wie reduziert ihr Körper, dass sie ihr Puppenspiel auf einer großen Bühne in einem Theatersaal noch ausüben können? Wie groß ist eigentlich ein Erklärbär? Mord und Totschlag, Brandschatzung und Plünderung, Lügen und Intrigen, sind diese Horrorszenarien Kindern zumutbar? Astrid Griesbach wagte sich mit Schillers Räubern an all diese Themen und zeigte in ihrer ganz eigenen visuellen Grammatik auf, dass es funktioniert – und wie!

Sie sind zu Dritt auf der Bühne. Mirjam Schollmeyer, Merten Schroedter, Mathias Lenz. Mit blauen Bubischnitt-Perücken, Tütüs, mal um die Hüfte, mal um den Hals, blauen und weißen Strümpfen und einem geschminkten Kaspermund. So einem, der herunterklappt, wenn er spricht. Rund um sie – Chaos. Umgestürzte Bügelbretter, Stofftiere, kleine Köpfe auf Stangen montiert. Ein Plüschtier schwebt hoch in der Luft, eine blaue Strumpfhose über dem Kopf, in einiger Entfernung auch ein kleiner Bär. Es scheint, als ob ein Kinderzimmer explodiert wäre.

Mathias Lenz erklärt ganz zu Beginn anschaulich einen kleinen Zeitstrahl. Vorne, an der Bühnenrampe ist das Hier und Heute, ein wenig dahinter war es Winter, noch weiter hinten Krieg, dann wieder Frieden. Und da, da wurde das Penicillin erfunden, noch ein wenig weiter hinten ist der 10.11.1759. Ein Kind wird geboren. Und schwups, schon erzählt er von Schillers Jugend im Internat. Und ist dabei ganz nah am jungen Publikum. Von wegen Weimarer Klassik und schwere, inhaltsschwangere Wälzer. Friedrich ist ein Junge, der schreibt und schreibt und schreibt. Und auf eines der Hefte schreibt er auch „Die Räuber“.

Griesbach setzt Schollmeyer und die beiden Männer als Buffone ein. Als Wesen, die sie in einem Interview als „Hüter der Zeit“ betitelte. Sie führen in die Geschichte des ungleichen Brüderpaares ein, verwandeln sich aber dann auch mithilfe von Masken und Puppen in verschiedene Charaktere. Sie siezen sich und fragen sich öfter: „Erinnern Sie sich noch?“, bevor sie dann gemeinsam die einzelnen kleineren und größeren Geschichten des Dramas zum Leben erwecken. Franzens Motivation, seinen Bruder Karl mittels einer Intrige vom Vater zu entzweien, wird sehr anschaulich dargestellt. Seine Verbannung in eine Dachkammer, in die es noch dazu permanent hineinregnet, erhält einen Schuss Wortwitz. „Franz war ein Bettnässer!“ erklärt einer der Buffone, „Nein, es ist nur sein Bett nass geworden!“ antwortet ihm ein anderer. Die Verhätschelung des großen Bruders führt zwangsläufig zu einem nicht enden wollenden Hass. Da muss über die Missgestalt, wie sie Schiller veranschaulicht, gar nicht weiter diskutiert werden. Bevorzugung eines anderen, dieses schlimme Gefühl, das verstehen sogar die Allerkleinsten.

Häufige Licht- und damit verbundene Stimmungswechsel, sowie ein hohes Erzähltempo, lassen keine Minute Langeweile aufkommen. Der Schmerz von Karl, als er erfährt, dass ihn sein Vater verstößt, kann drastischer nicht ausgedrückt werden. Er bricht einfach zusammen und bleibt am Boden liegen. Solange, bis er von einer ganzen Teddy-Armada zum Räuberhauptmann bestellt wird. Der Fall Spiegelbergs, dargestellt ebenfalls durch einen kleinen Teddybären, als er erfährt, dass nicht er, sondern Karl zum Räuberhauptmann erkoren wurde, ist im wahrsten Sinne des Wortes tief. Hart plumpst er von großer Höhe auf dem Boden auf. Wunderbar, wie bald darauf ein Plüschaffe einen furiosen Tanz auf einem Bügelbrett vollführt bei dem er alle und alles, was ihm in den Weg kommt, platt macht. Platt, platt, platt. Die Kinder kugeln sich vor Lachen. Und nicht nur die Kinder.

Karl, Franz und ihr Vater werden auch durch winzige Köpfe dargestellt, die auf langen Stangen sitzen. Ein Fragment ihrer selbst, sind sie dennoch prächtige Statthalter ihrer Charaktere. Und geben auch ein Gefühl von der eigentlichen Egalität der Menschen. Einer Gleichheit, die sie selbst jedoch nicht sehen können. Der Tod des Vaters, der bei Schiller durch das bewusste Eingreifen von Franz noch rascher eintritt als auf natürlichem Wege, mutiert bei Griesbach zu einer unterlassenen Hilfeleistung. Kindgerecht muss man hinzufügen. Franz wendet sich uninteressiert ab, während der kleine Puppenkopf jammert und sich zum Sterben neigt. Der schwarze Umhang, aus dem eine Krücke bedrohlich über den Boden klapperte und der die Stange der Figur bedeckte, ist so ausdrucksstark, dass es keiner weiteren Erklärungen des Ablebens bedarf. Aber auch die Brandschatzung des Dorfes durch die Räuberbande wird durch den Einsatz von Theaternebel, rotem Licht und wenigen, prägnanten Sätzen zum absoluten Bedrohungsszenario. Im Saal ist es still, ganz still geworden. Die Gräuelbilder zur Erzählung finden jedoch nicht auf der Bühne statt, sondern formieren sich nur in den Köpfen des Publikums.

Amalias Sehnsucht, in einen einzigen, kleinen Satz komprimiert, könnte schöner nicht ausgedrückt werden: Duftet die Sehnsucht nach Rosen? Und ihr Herzschlag, sicht- und hörbar gemacht durch das rasche Zusammendrücken und Auseinanderziehen eines Topfwärmers aus Stoff, wird beinahe körperlich spürbar. Neben diesen poetischen Momenten, die runter gehen wie Samt und Seide, sind es aber auch Sponti-Sprüche wie „wir machen kaputt, was uns kaputt macht“, mit denen das Ensemble aufhorchen lässt. Herzeleid ist gut, aber allzuviel davon auch wieder ungesund. So hält Astrid Griesbach beständig die Waage zwischen Spannung und Entspannung, zwischen hoher Emotion und einem Lockerlassen, wenn die Nerven allzu lange blank gelegen waren.

Mirjam Schollmeyer zeigt sowohl in der Figur der Intrige als auch in der eines Rachevogels ihr Können. Für Erstere stülpt sie sich eine große papierene Einkaufstüte über den Kopf, die das Konterfei einer weißhaarigen, jungen Frau ziert. Ihr zappelnder und zuckender Körper gibt dabei beredt Auskunft über ihren Gefühlszustand. Als Vogel mit Maske auf dem Kopf und einem herrlichen weißen Mantel, gefiedergleich, krächzt und stolziert sie über die Bühne, dass echte Raben neidisch werden könnten.

Umverteilungsvisionen zwischen Reich und Arm, aber auch die Erkenntnis, dass so manch einer nicht zu einem anderen passt und es besser wäre, wenn manche Menschen ihre eigenen Wege gingen – auch diese Wünsche und Erkenntnisse werden gleichsam en passant mitgeliefert. Der Erklärbär, der das Ende beschleunigt – und vor allem jenes grausige Geschehen nur in wenigen Sätzen streift, das Schiller für seine Figuren vorgesehen hat, er kommt gerade zur rechten Zeit. Er entschärft die unlösbare Aufgabenstellung in der Karl sich entweder für Amalia oder für die Räuberbande entschließen muss und fungiert letztlich auch noch als weiche Unterlage. Sanft erhellt ein Sonnenstrahl den Plüschkörper, auf dem es sich Franz und Karl noch einmal gemütlich machen. Die Buffone erzählen dabei, wie glücklich sie doch einst waren als Franz und Karl, wenngleich auch immer nur jeder für sich alleine. Eine feine Akkordeonuntermalung zaubert, wie an einigen Stellen zuvor auch schon, einen zarten Hauch von Melancholie in den Saal. Dem allerletzten Satz der beiden kann nichts hinzugefügt werden: Mikroskopisch betrachtet – eine Tragödie, aber im Großen und Ganzen: Herrlich!

Ein großer Theaterabend, vollgepackt mit Utensilien, die zu neuem Leben erweckt werden. Ein brillantes Ensemble. Die Frage, ob es für 8, 12 oder 14-Jährige passt, wird obsolet. Es ist schlichtweg Theater für alle. Vom Schulkind bis einschließlich 100 und darüber.

Empfehlung: Beine in die Hand nehmen und hinlaufen, mit Kind und Kegel.


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