"Tear down this Mall" - was bringt die neue "Mall of Berlin" der Stadt?

von Simon Argus

In Berlin hat die "Mall of Berlin" eröffnet, an prominenter (und historisch persistenter) Stelle am Leipziger Platz. Hier war vor dem zweiten Weltkrieg das Kaufhaus Wertheim angesiedelt, zu seiner Zeit eines der größten und feinsten Europas. Bei der Vermarktung der neuen Shoppingmall bezieht man sich gerne auf diese Tradition.  Doch schon die alten Fotos, die die schlichten Fassaden des neuen Gebäudes schmücken, lassen ernüchternd feststellen: Die guten alten Zeiten sind nicht wiedergekehrt. Hier geht es um internationale Filialisten, austauschbaren Chic und kostengünstige bzw. praktische Architektur. Doch das schätzt der Konsument von heute - wie also ist das neue Center im Zentrum von Berlin zu bewerten?

Die attraktivste Perspektive in der neuen Mall of Berlin zeigt den öffentlichen Durchgang zwischen Leipziger und Voßstraße. Bild: eigenes Foto.

Es brummt am ersten Wochenende, an dem ich den  Potsdamer und Leipziger Platz besuche. Ich bin mit einem Freund verabredet "bei Balzac am Potsdammer", denn ein nettes Café sucht man hier weit und breit vergeblich. Es gibt eben nur diese Ketten hier. Als Bewohner Berlins ist man generell selten da, die Gegend bietet wenig, was es nicht auch weiter draußen in den Wohngebieten des Südwestens (Schloßstraße), in denen des Nordostens (Schönhauser Arkaden, Eastgate etc.) und sowieso auch in Spandau gäbe. Dafür, dass die Architektur, etwa am Sony-Center, tatsächlich etwas spektakulärer ist, hat man hier Touristenmassen um sich herum, die jetzt auch nicht gerade die Klasse des Ortes steigern.
Heute aber strömen sie alle herbei. Es heißt ja, früher war die Leipziger Straße, die sich in ost-westlicher Richtung vom Potsdamer Platz bis südlich des Alexanderplatzes erstreckt, die Berliner Einkaufsstraße schlechthin. Damals war das hier das brummende Zentrum einer Stadt, in der es zahlreiche Firmenzentralen, ein bedeutendes Finanz- und Handelszentrum und gut betuchte Einwohner gab. Vielleicht hilft die Mall of Berlin ja auf dem Weg zurück zu diesen Zeiten?
Die Chancen stehen leider schlecht. Abgesehen von Regierungsbüros, Verbänden und Anwälten hält sich die Dichte an hochpotenten Konsumenten in Mitte heute stark in Grenzen. Anstelle eines pulsierenden Stadtzentrums ist hier heute eine meist verkehrsberuhigte mittelprächtige Wohngegend mit leicht erhöhter Bürodichte und einigen interessanten Baudenkmälern entstanden.

Ausschnitt einer historischen Berlin-Karte vor dem 2. Weltkrieg: Der Bahnhof Mohrenstraße, wo sich heute der Haupteingang zur Mall of Berlin befindet hieß damals Kaiserhof. Nördlich schlossen sich entlang der Wilhelmstraße die Stadtpaläste der Aristokratie an. Heute sieht die Konsumentenstruktur in der Gegend durchaus anders aus. Bild: Ausschnitt "Pharus Plan", Quelle: http://steffen.in-berlin.de/

Im Vergleich mit der umliegenden Architektur ist die neue Shoppingmall mit ihren 76.000 m² Verkaufsfläche nicht mal als besonders hässlich zu bezeichnen, ein ähnliches Malheur wie mit dem in blasrot gehaltenen, urhässlichen Alexa Shoppingcenter im Osten der Stadt ist den verantwortlichen Planern hier nicht passiert. Gegenüber des altehrwürdigen Bundesratsgebäudes öffnet sich ein großer mit einem Glasdach überspannter Durchgang, der erfreulicherweise als öffentlicher Platz erhalten bleibt - bzw. erstmals entsteht und somit eine neue Verbindung zur parallel verlaufenden Voßstraße eröffnet. Auch liegt einer der  Haupteingänge des Komplexes zur Ecke Voßstraße-Wilhelmstraße, eine Gegend, die durch neue Passantenströme nur gewinnen kann.
Meine Begleiter stellen schnell fest: ein Wow-Faktor fehlt dem Center. Abgesehen von einigen Zitaten des berühmten Vorgängerbaus und einer "Speedtreppe" durch alle Ebenen direkt in den Saturnmarkt ganz oben, gibt es keine spektakulären Wasser-Features oder Treppenhäuser. Es handelt sich um relativ normale Shoppingcenter-Architektur, bei der teilweise der letzte Schliff noch fehlt. Im obersten Geschoss kommt aufgrund der niedrigeren Deckenhöhe fast schon ein gewisses Gefühl von Enge auf. 270 Geschäfte, 35 Gastronomie-Betriebe, 54 Rolltreppen und 1.000 PKW-Stellplätze sind die Eckdaten, darauf aufgesetzt kommen weitere Wohnungen und Büros, sowie ein geräumiger Dachgarten mit Jogging-Strecke. Interessant sind die Kolonnaden entlang der Leipziger Straße, die ihr hier tatsächlich etwas Großstadtflair verleihen. Fehlt nur noch, dass die Straßenbahn reaktiviert wird.
Wenn es gelingt, durch das neue Center tatsächlich mehr Menschen nach Mitte - insbesondere in die Ecke zwischen Potsdamer Straße und Friedrichstraße zu schaufeln, könnte man dem neuen Einkaufstempel tatsächlich ein paar positive Effekte zuschreiben. Endlich könnte es interessant werden, in Verlängerung der Voßstraße die sich dort anschließende Mohrenstraße hinunter zu "flanieren" (ein Wort, das in Berlin zumeist vollkommen fehl am Platz ist), um von den Shops im neuen Einkaufszentrum am Leipziger Platz, zu den etwas exklusiveren Adressen an der Friedrichstraße zu gelangen. Man würde sich wünschen, dass hier, in der Nachbarschaft der nordkoreanischen Botschaft, etwas Leben in die Bude kommt.
Immerhin - der Zietenplatz ist bereits etwas aufgehübscht worden und durch die U-Bahnhöfe Mohrenstraße und Stadtmitte ist die Gegend auf jeden Fall hervorragend erschlossen. Vom Ausgang des Shoppingcenters an der Wilhelmstraße eröffnet sich eine direkte Sichtachse bis zum Gendarmenmarkt - eigentlich eine hoch-attraktive innerstädtische Lage. Die Bausubstanz ist hauptsächlich Platte und weißt leider nur wenige bestehende Ladengeschäfte auf - aber über einige Jahre hinweg und vielleicht auch mit Hilfe der hier vermutlich noch relativ niedrigen Mieten könnte vielleicht einmal so etwas wie eine "Unique Selling Proposition" für dieses verschlafene Viertel der Berliner Innenstadt entstehen.
Und damit meine ich nicht: Mehr vom Selben. An Hollister-Filialen hat das Berliner Zentrum inzwischen sicherlich genug.  Aber auch die nicht ganz so kaufkraftstarke Gruppe der derzeitigen Bewohner an der Ecke Voßstraße-Wilhelmstraße sitzen gerne in Cafés und schauen sich interessante und einzigartige Geschäfte an. Gerade das ist es ja, was Berlin an anderen - ebenfalls nicht gerade steinreichen Ecken - so interessant gemacht hat. Ein Café oder Bistrot, das nicht dem Gesetz der Serie folgt und vielleicht ein paar Anleihen an den verblichenen Glanz dieser Gegend bemüht, wäre schon mal ein guter Anfang. Dann würden wir uns vielleicht auch mal wieder öfter "in Mitte" verabreden.  

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