TDD bleibt für mich aktuell, auch wenn es ein alter Hut ist. Das liegt einfach daran, dass TDD landauf, landab nicht das liefert, was es verspricht. Wenn gewöhnliche Entwickler nur nach monatelangem Studium in Klausur die TDD-Weihen empfangen können, dann liegt etwas im Argen.
In der dotnetpro stelle ich daher meine Gedanken zu einer Version 2.0 von TDD vor (Ausgaben 3/2013 und 4/2013). Aber auch hier im Blog habe ich dazu schon einiges gesagt, z.B. dass TDD in der heutigen Form für mich das Single Responsibility Principle verletzt. Anlass war für mich ein Video von Corey Haines.
Da war dann insbesondere ein Kommentator zu dem Blogartikel anderer Meinung. Und der hat auf ein aus seiner Sicht vorbildliches Beispiel verwiesen: Brett Schucherts Demonstration der TDD-Implementation eines RPN-Rechners.
Leider, leider hat mich die Demonstration auch wieder enttäuscht. Und wieder aus den selben Gründen wie bei Corey Haines:
- Es gibt keine Erklärung des Problems.
- Es gibt keine Sammlung und Priorisierung von Testfällen.
- Lösung und Implementation sind nicht von einander getrennt. Damit fällt die Lösung während des Codes quasi vom Himmel.
Zumindest Punkt 2 widerspricht ausdrücklich jeder TDD-Empfehlung, würde ich sagen. Deshalb kann die Demonstration nicht vorbildlich sein.
Und Punkt 3 macht die Demonstration zu einem “magischen” Event, der suggeriert, so könne es jeder Entwickler: Die Lösung einfach kommen lassen. Das wird schon.
Dabei haben sich alle, die TDD so demonstrieren, selbstverständlich über das Problem und auch ihren Lösungsansatz vorher ausführlich Gedanken gemacht. Entweder, indem sie sich hingesetzt und überlegt haben oder indem sie das Szenario einige Male ohne zu überlegen implementiert haben.
Ich kenne keine (!) TDD-Demonstration, bei der die Aufgabe live gestellt wurde und dem Demonstraten vorher unbekannt war. (Falls jemand jedoch zu so etwas einen Link hat, möge er ihn bitte in einem Kommentar hier hinterlassen.)
Also: TDD-Demos sind heutzutage weitgehend unrealistisch. Damit suggerieren sie, dass die TDD-Schritte red-green-refactor es allein richten. Das halte ich für mindestens fahrlässig, weil es ganz sicher in große Frustration bei vielen Entwicklern führt.
Und wie sollte dann eine TDD-Demo aussehen?
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte: So wie im Folgenden.
Dafür nehme ich das Beispiel von Brett Schuchert auf: den RPN Rechner. Das Problem ist mir damit zwar auch nicht unbekannt, aber ich habe versucht, mein Vorwissen so weit wie möglich zurückzunehmen. Allemal esse ich mein eigenes Hundefutter und gehe das Problem für alle sichtbar nach den von mir vorgeschlagenen TDD 2.0 Schritten an.
Los geht´s…
Was ist eigentlich das Problem?
“Without requirements or design, programming is the art of adding bugs to an empty text file.” - Louis Srygley
Ich habe mir Brett Schucherts Lösung gar nicht ausführlich angeschaut. Seine Videos sind über 2 Stunden lang; er hat sich sehr viel Mühe gegeben. Außerdem wollte ich mich nicht für meine eigene Durchführung “kontaminieren”. Trotzdem habe ich natürlich beim Überfliegen Eindrücke gewonnen.
Mein erster Eindruck: Brett sagt niemandem, was das Problem eigentlich genau ist. Weder zeigt er am Anfang mal ein Beispiel für einen RPN Rechner, noch sagt er, was das Ziel seiner Entwicklungsarbeit ist. Er mokelt vielmehr 51 Minuten im ersten Video an einem API herum, von dem niemand so recht weiß, warum er so aussieht, wie er aussieht.
Wie kann man es besser machen?
Man macht erstmal eine Skizze vom Problem. Was sind die Anforderungen? Man versucht das Problem zu verstehen. Hier die erste Doppelseite meiner Analyseskizze:
Auf der linken Seite ist oben ein UI angedeutet und unten eine Folge von Eingaben mit zugehörigen Ausgaben; so habe ich mir die Funktionsweise eines RPN Rechners vorgestellt. (Dass Sie meine Schrift nicht lesen können, ist quasi unvermeidlich ;-) Aber das ist auch nicht nötig. Ich möchte Ihnen mit den Skizzenblättern nur einen groben Eindruck von meinem Vorgehen-/Denken vermitteln.)
In der Mitte der linken Seite sehen Sie allerdings eine Verirrung. Da lag ich falsch mit meiner Vorstellung. Erst ein Blick auf den Taschenrechner von Mac OS X im RPN Modus hat mich eines Besseren belehrt. Das habe ich dann unten links und auch noch rechts ganz oben korrigiert.
Nach ca. 5-10 Minuten “Scribbeln” und mit dem RPN Rechner herumspielen war mir das Problem klar. Dafür musste ich aber auch ein Anwendungsszenario im Blick haben. Deshalb findet sich links oben zuerst eine UI-Skizze. Nur wenn ich weiß, wie ein Benutzer wirklich mit einem RPN Rechner umgehen will, sollte ich mir Gedanken zu einem darunter liegenden API machen.
Zu oft entwickeln wir einfach im luftleeren Raum, ohne Kontext. Wir imaginieren dann eine ganze Menge, was alles nötig sein könnte. Wir setzen dann ganz schnell eine technische Brille auf – und verlieren den Benutzer aus dem Blick. Damit ist der Verschwendung Tür und Tor geöffnet. Wir basteln dann nach den Regeln der Kunst an Zeugs herum, das nur wenig Realitätsbezug hat.
Das halte ich für einen großen Übelstand. Da werden unbewusst unökonomische Muster eingeschliffen. Deshalb finde ich es bei jeder Übung wichtig, möglichst konkret und benutzerbezogen zu sein. Nur so üben wir uns auch ständig in agilem Denken.
Lösungsansatz formulieren
“First, solve the problem. Then, write the code.” - John Johnson
Erst nachdem ich ein Verständnis für das Problem entwickelt hatte, konnte ich mich daran machen, über eine Lösung nachzudenken. Genau: nachdenken. Ich habe also nicht Visual Studio angeworfen, um mit dem Codieren anzufangen.
Erstens ist nichts einschnürender als Code. Zweitens wäre ich mit der Arbeit an den Rechner gekettet gewesen.
Mit meinem Notizbüchlein konnte ich jedoch in der S-Bahn weiter über die Lösung nachdenken. Und zwar so konkret, dass die Codierung für mich hinterher ganz leicht war [1].
Das Ergebnis sind die rechte Seite im oberen Bild und die beiden Seiten im nächsten Bild.
Im ersten Bild rechts sehen Sie mein Flow-Design. Rechts oben der big picture Flow mit allen Interaktionen des einzigen Dialogs der Anwendung. Das sind Enter (Zahl eingeben), Drop (Zahl vom Stack entfernen) und Operator auslösen.
Alle Domänenlogik fasse ich in einer EBC-Funktionseinheit zusammen: dem RPN Calculator.
Unten auf der rechten Seite im ersten Bild sehen Sie dann eine Verfeinerung der Interaktion, die über einen Operator ausgelöst wird. Da habe ich mir klar gemacht, was mit dem Operator und der aktuellen Zahl im “Rechenwerk” passiert, wenn denn etwas berechnet werden soll.
Bis hierhin hat es ca. weitere 7 Minuten gedauert. Nach runden 15 Minuten hatte ich also nicht nur das Problem verstanden, sondern auch einen Lösungsansatz. Dessen Kern war erstens ein Stack für die Zahlen, die auch im UI zu sehen sind, also die Operanden. Und zweitens gab es die Vorstellung eines Verzeichnisses von Operationen auf diesen Zahlen. Die ergab sich ganz natürlich aus der Verallgemeinerung der Interaktion des Benutzers in Bezug auf die Operatoren. Nicht jeder Operator für sich war für mich eine Interaktion, sondern sie alle sollten mit einer Interaktion abgehandelt werden, die mit dem konkreten Operator parametriert sein sollte [2].
Testfälle sammeln
Nach der Modellierung kannte ich den API des RPN Rechners. Ich musste mir nichts aus den Fingern saugen wie Brett. Dessen get/set für einen Akku und die Enter-Methode finde ich gänzlich unnatürlich. Er versucht da etwas 1:1 in einen API zu übernehmen, das er (ohne es uns wissen zu lassen) von einem UI abgeschaut hat. Aber warum sollte in einem API ein Repräsentant einer UI-Design-Entscheidung stehen? Dass es dort einen Enter-Button gibt, kann sich doch morgen ändern.
Deshalb gibt es bei mir keinen sichtbaren Akku und auch keine Enter-Methode, sondern ein Push() und ein immer gleiches Resultat nach jeder Aktion. Push() abstrahiert von jedem UI. Es sagt vielmehr etwas über den Lösungsansatz für den RPN Rechner aus, dass es darin nämlich einen Stack gibt. Das ist echte Domänenlogik. Die abstrahiert von UI-Eigenheiten.
Mit dem Entwurf für den RPN Rechner konnte ich dann konkret über Testfälle nachdenken. Die sehen Sie auf der linken Seite der nächsten Abbildung:
Für die drei Methoden meines API gibt es drei Gruppen von Testfällen, die ich als Tabellen notiert habe. Etwas schöner sieht so eine Tabelle natürlich in Excel aus. Sie ist der Reinschrift meiner Skizzen für diese Dokumentation entnommen.
Weil man es nicht häufig genug sagen kann: Über Testfälle nachdenken und sie priorisieren kann man nur und ausschließlich, wenn man einen Lösungsansatz hat, zu dem ein API gehört.
Wer TDD vorführt, ohne Testfälle zuerst zu benennen, und wer nicht erklärt/erklären kann, warum deren Reihenfolge so ist, wie sie ist, der führt TDD falsch vor.
Wo Testfälle vom Himmel fallen oder sich überraschend ergeben, ist TDD magisch und suggeriert Einfachheit, die nicht vorhanden ist.
Was ist meine Erklärung?
- Meine Testfälle gliedern sich von vornherein nach API-Methoden. Da gibt es keine Überraschung. (Was nicht heißt, dass ich mich Änderungen während der Implementation verschließe. Da kann es immer neue Erkenntnisse geben. Aber ich darf mit einer Idee beginnen.)
- Innerhalb der Testfälle für eine API-Methode gibt es eine klare Aufteilung zwischen Eingaben und zugehörigen erwarteten Ausgaben.
- Aus den Inputs kann nicht jeder Output erklärt werden. Der RPN Rechner hat einen Zustand. Der muss ebenfalls in die Testfälle eingehen.
- Die Testfälle wachsen in Richtung zunehmendem Zustand, da der Input immer dieselbe Form hat.
Mein TDD wie unten zu sehen, ist also nicht magisch und nicht überraschend, sondern ganz handfest. Es folgt einem Plan, der durch Überlegen entstanden ist. Das hat maximal 5 Minuten gedauert.
Wem dieses Überlegen schon gleich zu viel sein sollte, wer das schon im Widerspruch zum rechten TDD sieht… Nun, dem habe ich eben nichts zu sagen. Wir leben dann auf verschiedenen Planeten. Das ist ok. Ich freue mich aber über jeden, der sich drauf einlässt. Dann können wir auch trefflich darüber debattieren, ob nicht der eine Testfall früher oder später liegen sollte oder der eine Schritt mehr oder weniger KISS ist.
Inkrementell vorgehen
Auch TDD tut gut daran, an den Kunden zu denken. Brett hat da allerdings niemanden im Blick. Er startet auch ohne UI. Das ist aus meiner Sicht aber kein Grund, nicht agil/inkrementell vorzugehen. Auch Entwickler, die einen API nutzen sollen, sind Kunden. Die Frage lautet deshalb für mich immer: Wie kann ich möglichst schnell einen kleinen Nutzenzuwachs bieten? Welchen Schritt kann ich tun, um etwas von Wert herzustellen, zu dem ein Kunde/Anwender Feedback geben kann?
Deshalb habe ich einen Moment darauf verschwendet, die rechte Seite im zweiten Skizzenbild zu füllen. Dort sehen Sie fünf Inkremente angedeutet, die sich an den Interaktionen des Dialogs orientieren.
- Inkrement #1: Der Anwender kann Zahlen auf den Stack schieben, die Operanden. Das entspricht Push() auf dem RPN Calculator. Dazu kann der Anwender schon mal Feedback geben.
- Inkrement #2: Der Anwender kann die aktuelle Zahl zum Stack-Top addieren. Jetzt ist der RPN Rechner schon ein bisschen nützlich, auch wenn er nur eine Operation beherrscht.
- Inkrement #3: Der Anwender kann Zahlen vom Stack entfernen. Das entspricht Drop() auf dem RPN Calculator.
Für diese Funktionalität in Inkrement #3 habe ich mich nur in Anlehnung an Bretts Demonstration entschieden. Er hat Drop() sogar noch vor der ersten Operation realisiert. Da wollte ich mich nicht lumpen lassen ;-)
Ohne seine Vorlage hätte ich jetzt mit Operationen weitergemacht. - Inkrement #4 und #5: Jetzt endlich weitere Operationen. –, *, / als binäre Operationen und ! als unäre.
Damit fiel es mir leichter, mich bei der TDD-getriebenen Implementation zu konzentrieren. Den Preis von weiteren 3 Minuten habe ich dafür gern gezahlt. Denn ich konnte sicher sein, selbst wenn ich bei der Implementation unterbrochen werde – was sehr wahrscheinlich ist –, habe ich immer etwas in der Tasche. Nach jedem Inkrement kann ich den Griffel fallen lassen und der Kunde hat schon etwas in der Hand; zwischen Inkrementen liegen Sollbruchstellen der Implementation.
Implementation nach red+green+refactor
“Programs must be written for people to read, and only incidentally for machines to execute.” - Abelson / Sussman
Auch wenn ich nach meinen Überlegungen gar nicht mehr so viel Lust hatte zu implementieren – ich hatte den Eindruck, das Spannendste schon erledigt zu haben: die Problemlösung –, habe ich mich natürlich an Visual Studio gesetzt.
Das folgende Script zeigt die Schrittfolge meiner Codierung des RPNCalculator-Klasse. Das UI und die Integration von UI und RPNCalculator habe ich ausgelassen. Die sind nicht so spannend.
NUnit Tests für das UI gibt es – aber die sind als Explicit markiert. Sie dienen nur der Überprüfung, ob die Events korrekt gefeuert werden bzw. die Anzeige des Resultats korrekt erfolgt. Das ist kein Hexenwerk, ändert sich nicht häufig und kann auch mal manuell getestet werden, falls nötig.
Die Musik spielt in der Domänenklasse RPNCalculator. Darauf liegt auch bei Brett Schuchert das Augenmerk. Also los…
RPN Desktop Calculator TDD by Ralf Westphal
Wenn Sie sich die Schrittfolge näher ansehen, stutzen Sie vielleicht hier und da. Nicht alles mag in Ihren Augen TDD der reinen Lehre sein. Die strebe ich aber auch nicht an. Mir geht es um pragmatisches, realistisches TDD.
Dennoch hier ein paar Erklärungen, die Sie besänftigen mögen:
- Bei Schritt 2.1 sehen Sie, dass ich über einen Konstruktor in das System under Test (SUT) Zustand injizieren will [3]. Ja, da bin ich ganz schamlos. Das mache ich einfach. Ich weiß, dass das SUT Zustand hat. Warum soll ich den nicht explizit setzen? Das spart mir u.U. eine Menge Verrenkungen, um mit anderen API-Aufrufen an einen Punkt im Test zu kommen, wo ich endlich das überprüfen kann, was gerade Thema ist.
- In Schritt 3.2 habe ich mich hinreißen lassen, wider besseren Entwurfswissens eine ganz einfache Implementation zu wählen. Die arbeitet schon irgendwie richtig, aber sie entspricht nicht dem, was Ziel sein muss: eine Auswahl der Operation aus einer Liste. Ich verdrahte die Addition fest.
Das habe ich gemacht, um hier die TDD-KISS-Gemüter zu beruhigen ;-) Im richtigen Leben hätte ich mir erlaubt, schon die Struktur zu implementieren, die Sie nun erst in 6.1 eingeführt sehen. - Zu meiner eigenen Überraschung hat der Test in Schritt 3 (leider irrtümlich so benannt) gleich grün geliefert. Das hätte eigentlich anders sein sollen – aber es zeigt, dass auch ein Nachdenken über Testfälle in endlicher Zeit nicht perfekt ist.
Dafür will ich mich nicht schelten. Kann halt passieren. Macht nichts.
Da muss ich mich nächstes Mal nicht noch doller anstrengen, um bessere Testfälle zu finden. Ich nehme es einfach so und freue mich, dass ich etwas Implementationsaufwand spare. - Bei der Implementation zu 4.2 könnten Sie einwerfen, dass die nicht KISS sei. Das mag sein – aber: WTF. Das ist mir egal. Ich weiß doch schon, wie Resultate aus dem RPNCalculator geliefert werden. Warum soll ich mich dümmer stellen, als ich bin?
- Ha, jetzt haben Sie mich: Nach der Implementation von 5.1 ist ein anderer Test auf Rot gegangen. Das darf doch nicht sein!
Ja, das mag gegen die reine Lehre verstoßen. Aber auch hier: WTF. Das kann mal passieren. Ich finde das nicht schlimm. Es ist eher ein Zeichen dafür, dass die Implementation in 5.1 KISS ist. Sie konzentriert sich nur darauf, einen Test grün zu bekommen.
Mit einer kleinen Nachbesserung zurre ich die Regression dann in 5.2 wieder fest. Es ist kein größerer Schaden entstanden. - Nun Trommelwirbel… Jetzt zum Kern der Domänenlogik: der leicht erweiterbaren Liste von Operationen. Auf die hatte ich in 3.2 noch verzichtet – doch nun kann ich nicht mehr an mich halten.
In einem Rutsch refaktorisiere ich die bisherige Addition und füge auch noch die Fakultät hinzu. Ja, bin ich denn wahsinnig geworden?
Nein, ich finde das halb so wild. Es sind ein paar Änderungen, die ich da vornehme – aber sie sind allesamt trivial. Und wenn dabei etwas verrutschen sollte, sehe ich sofort, wo das Problem liegt.
Geht gar nichts mehr, dann ist etwas mit Auswahl und Aufruf der Operationen falsch.
Schlagen nur die Additionstests fehl, dann habe ich die Addition falsch implementiert.
Schlägt nur der Fakultätstest fehl, dann ist dort etwas falsch implementiert.
Der neue Inhalt von Calculate() ist auch nicht spontan entstanden, sondern steht schon im erste Skizzenbild rechts unten. Ich lese die Implementation quasi nur ab. - Für die weiteren Operationen gehe ich eine Abkürzung in 7.*. Ich stecke die Testfälle in TestCase-Attribute und füge dem _operations-Verzeichnis einfach nur kurze Lambda-Ausdrücke hinzu. Das Muster ist immer gleich. Die Addition hat es vorgemacht.
That´s it. Ich denke, damit habe ich eine Lösung geliefert, die nicht nur funktioniert, sondern auch Martin Fowlers Forderung erfüllt:
“Any fool can write code that a computer can understand. Good programmers write code that humans can understand.” - Martin Fowler
Nicht nur den Code kann man verstehen. Der ist ja denkbar kurz. Er ist auch erweiterbar – und zwar von vornherein und nicht erst nach einem überraschenden Refactoring. Er war ja schon so gedacht. Wer einen weiteren Operator hinzufügen will, der setzt in das UI einen Button dafür und trägt eine Operation in das Verzeichnis ein. Fertig.
Eine Injektion von Operationen von außen oder auch nur eine eigene Klasse halte ich derzeit allerdings für überflüssig. Eine Refaktorisierung in dieser Hinsicht wäre für mich vorzeitige Optimierung. Die Anforderung dafür ist derzeit nicht aus dem Gesamtszenario ablesbar. Und einfach nur Prinzipien anwenden, weil ich sie gerade kenne, ist mir nicht Grund genug.
Nicht nur der Code ist aber verständlich, die ganze Lösung ist es. Weil es dazu ein Modell gibt und der Code dieses Modell widerspiegelt. Dazu gehört natürlich auch noch die Integration, die ich hier bewusst ausgelassen habe, weil ich mich auf TDD konzentrieren wollte. Die finden Sie bei Interesse jedoch im Repository.
Fazit
Bubbles don´t crash – das ist wahr. Genauso kann man sagen, Landkarten seien nicht das Terrain. Ja, und? Sind Landkarten deshalb nutzlos? Kaum. Genauso wenig sind Bubbles, d.h. Entwürfe auf dem Papier nutzlos oder verschwendete Zeit, nur weil sie noch kein Code sind. Das ist ja gerade ihr Zweck. Sie sollen kein Code sein, damit man mit ihnen viel schneller vorankommt bei der Lösungsfindung.
Wo Code ins Spiel kommt, wird es morastig. Wenn ich also über eine Lösung sinnen kann, ohne codieren zu müssen, kann ich mich nur freuen. Die ersten zwei Bilder haben gezeigt, dass ich das kann. Die spätere Implementation hat mich keines Besseren belehrt. Dennoch ist der Lösungsansatz auf Papier natürlich zunächst nur eine Hypothese. Das macht aber nichts. Im Gegenteil: Es geht gar nicht anders. Auch der Lösungsansatz, den Sie ohne Papier nur im Kopf während des TDD Code Slinging entwickeln, ist nur eine Hypothese.
Wenn ich Ihnen hier Skizzen und Nachdenken präsentiert habe, dann nur, um etwas explizit zu machen, das sich nicht einmal vermeiden lässt. Corey Haines tut es, Brett Schuchert tut es, Sie tun es, wir alle tun es – fragt sich nur wann und wie nachvollziehbar.
Ich finde meine Lösung insgesamt viel nachvollziehbarer als die der zitierten Herren. Da steckt keine Magie drin. Ich bin nicht (künstlich) überrascht über Testfälle, die sich auftun. Meine kleinen Überraschungen sehen Sie klar dokumentiert in der TDD-Schrittfolge und im Vergleich zu meinen Skizzen. Das ist real und nicht poliert.
Wenn Sie ein Guru sind, kommen Sie natürlich ohne all das aus. Ich kann das leider noch nicht. Ich muss noch nachdenken – und dann tue ich das gern in Ruhe. Nicht immer, aber allermeistens. Ab und an klappe ich Visual Studio auch schneller auf. Doch dann meist, um im Rahmen meiner Lösungsfindung etwas zu explorieren. Dann bin ich jedoch in einem anderen Modus, dann bin ich Forscher und nicht Ingenieur.
- Forscher finden heraus, was ist. Sie dokumentieren Zusammenhänge.
- Ingenieure nehmen die Ergebnisse von Forschern und finden sehr kreativ Problemlösungen. Sie schaffen Neues.
- Handwerker schließlich wenden Lösungen vor allem an. Sie setzen um, reproduzieren.
Das sind drei zentrale Rollen, deren Hüte wir bewusst wechseln sollten. Wenn wir es nicht tun, riskieren wir Frust oder Schlimmeres.
Durch die bewusste Herausstellung von Problemanalyse und Lösungsfindung/Entwurf möchte ich den Rollen Forscher und Ingenieur Raum geben. Wir müssen Probleme zunächst erforschen, dann müssen wir mit den Heuristiken und Technologien unseres Entwicklerwerkzeugkastens state-of-the-art Lösungen entwickeln – und erst am Ende setzen wir die handwerklich sauber mit TDD um.
Alle drei Rollen nur in den red+green+refactor-Phasen innehaben zu wollen, tut uns nicht gut und dem Ergebnis auch nicht. Und letztlich tut es auch der guten Idee hinter TDD nicht gut.
Bottom line: TDD ist eine feine Sache – wenn man die nicht magisch betreibt und überlastet.
Endnoten
[1] Ja, ich will es geradeheraus sagen: Das TDD-Vorgehen, welches ich hier zeige, weil ich mich nicht lumpen lassen wollte, hat mich am Ende auch langsam gemacht. Die kleinsten Schritte waren für mich nicht wirklich nötig. Ich hätte größere machen können – und hätte nur in eine kleinschrittigere Gangart zurückgewechselt, wenn ich in ein Problem gelaufen wäre.
Das ist natürlich gegen die reine TDD-Lehre… Deshalb hab ich mich auch nicht hinreißen lassen… Doch es ist für mich ein realistischeres Vorgehen.
TDD-Kleinstschritte sollten kein Dogma sein, sondern eine Methode unter bestimmten Bedingungen. Und diese Bedingungen sind, dass man eben noch nichts über die Lösung weiß. Das tue ich ja aber, indem ich vorher darüber nachdenke.
Und dass das nicht nur eitle, nutzlose Gedanken sind, die nichts mit der Coderealität zu tun haben, dass ich mir so gar nichts vor dem Codieren vorstellen könne… Das versuche man mir bitte nicht einzureden. Irgendetwas müssen ein paar Jahrzehnte Softwareentwicklungserfahrung doch in meinem Hirn hinterlassen haben, oder?
Wichtig sind nicht stets und ausschließlich die allerkleinsten Schritte, sondern ein gesundes Gefühl dafür, ob man sich noch in bekannten Gefilden mit dem Code bewegt. Je unbekannter, desto kleiner die Schritte. Selbstverständlich. Aber Lösungen lassen sich eben auch noch auf andere Weise als durch Codieren erkunden.
Falls dabei mal etwas herauskommen sollte, das nicht KISS ist, dann finde ich das nicht schlimm. Ich habe in den Fall nämlich sehr wahrscheinlich Zeit gespart. Das kann mehr Wert haben als KISS-Code – solange die Verständlichkeit nicht grundsätzlich leidet.
[2] Für Brett Schuchert ist das eine überraschende Erkenntnis, auf die er nach knapp einer Stunde Codieren stößt. Er muss dafür seine Implementation weitere 20 Minuten refaktorisieren.
Das halte ich für unökonomisch, wenn ich durch 5 Minuten Nachdenken gleich darauf kommen kann, dass Operationen nicht durch einzelne API-Methoden repräsentiert werden sollten.
Ich halte es für keine Tugend, sich solcher Erkenntnis mit Macht zu widersetzen. Und es ist auch keine Tugend, nicht nach Wegen zu suchen, um solche Erkenntnis möglichst früh zu gewinnen.
[3] Eigentlich soll dieser spezielle Konstruktor internal sein. Das hab ich im TDD-Eifer übersehen. Sorry. Bei dem jetzigen Codereview für den Blogartikel kommt es ja aber heraus :-)