Fast jeder zweite Spanier unter 25 Jahren ist arbeitslos. Die angespannte Stimmung hat sich am Wochenende auf Madrids Strassen entladen. Die Demonstranten sehen sich finanziell immer mehr in die Enge getrieben.
Tausende arbeitslose Spanier haben gestern erneut gegen die von der konservativen Regierung beschlossenen Kürzungen protestiert. Die Demonstranten kamen aus verschiedenen Landesteilen in einem Sternmarsch in der Hauptstadt Madrid zusammen. Einige legten lange Strecken zu Fuss zurück. Die überwiegend jugendlichen Demonstranten hielten Plakate hoch, pfiffen und riefen Protestslogans, während sie durch die Avenidas der Hauptstadt marschierten. «Hände hoch, das ist ein Überfall» sowie «Steh auf und kämpfe!» (Anm. Bob Marley – “stand up, get up…”) gehörten zu den beliebtesten Parolen.
Zum Klang von Trommeln und Trompeten ging es vom Prado-Museum friedlich zur Kundgebung auf dem zentralen Platz Puerta del Sol, dem symbolischen Ort zahlreicher sozialer Proteste. Dort setzten sich die Demonstranten auf den Boden und hielten eine «Volksversammlung» ab.
«Das ist der Todesstoss»
«Ich bin sehr enttäuscht und wütend», sagt die 25-jährige Alba Sánchez, die mit dem Bus aus Katalonien nach Madrid kam. «Diese ganzen Kürzungen seitens der Regierung, die uns hasst, dürfen wir nicht hinnehmen.» «Sie pinkeln auf uns und sagen, es regnet», war auf einem Transparent zu lesen, «Ich kann nicht den Gürtel enger schnallen und zur gleichen Zeit die Hose runterlassen» auf einem anderen.
Die Massnahmen von Ministerpräsident Mariano Rajoy sehen unter anderem die Erhöhung der Mehrwertsteuer und Kürzungen beim Arbeitslosengeld vor. Für neu arbeitslos Gewordene soll es nach sechs Monaten nur noch die Hälfte des Grundgehalts geben. «Das ist der Todesstoss: Sie kürzen bei denen, die keine Arbeit haben und erhöhen die Mehrwertsteuer für die, die arbeiten», sagt Rafel Ledo. Er war von der nördlichen Region Asturien aus 500 Kilometer zu Fuss nach Madrid unterwegs.
Spanien steckt seit dem Platzen einer Immobilienblase im Jahr 2008 in der Krise. Fast ein Viertel der Spanier sind arbeitslos, bei den jungen Leuten unter 25 Jahren hat sogar mehr als jeder Zweite keine Arbeit. Zuletzt hatten am Donnerstag landesweit hunderttausende Menschen gegen die Austeritätspolitik der Regierung protestiert. Die Proteste endeten in der Nacht auf Freitag in Madrid mit Gewalt und Festnahmen. Die Polizei setzte Gummigeschosse und Schlagstöcke gegen kleinere Gruppen von Demonstranten ein.
Das Massnahmenpaket der Regierung Rajoy sieht bis 2015 Kürzungen um 65 Milliarden Euro vor. Im Verwaltungssektor sollen 3,5 Milliarden Euro eingespart werden. Zudem soll Beschäftigten im öffentlichen Dienst das Weihnachtsgeld gestrichen werden – und das bei steigenden Lebenshaltungskosten.
Börse stürzte ab
Am Freitag hatten die Euro-Finanzminister Hilfskredite für Spaniens angeschlagene Banken von bis zu hundert Milliarden Euro beschlossen. Zuvor hatte auch der Bundestag dem zugestimmt. Nach dem offiziellen Beschluss der Eurogruppe stürzte die Börse in Madrid um 5,8 Prozent ab, wobei besonders Bankenaktien nachgaben. Die Behörden von Valencia kündigten zudem an, dass sie Finanzhilfe von der Zentralregierung in Madrid benötigen – aus einem Sonderfonds in Höhe von 18 Milliarden Euro für strukturschwache und überschuldete Regionen.
Die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen stiegen unterdessen über die gefährliche Marke von sieben Prozent. Ein solcher Wert gilt über einen längeren Zeitraum als nicht tragbar. Investoren befürchten offenbar, dass auch der spanische Staat trotz der Unterstützung für seine Banken selbst zum Kandidaten für Hilfe aus dem Euro-Stabilitätsfonds wird.
Quelle: der Bund (rbi/AFP)