ORF Radio Symphonieorchester Wien (c) ORF Thomas Ramstorfer
Am 3. 11. spielte das RSO im großen Saal des Wiener Musikverein unter der kompetenten Leitung von Johannes Kalitzke. Und man könnte das Konzert in Anlehnung an die Erzählungen von tausend und einer Nacht ohne weiteres unter ein ähnliches Motto stellen, nämlich tausend und eine Möglichkeit.
So viele waren es zugegebener Maßen nicht, die das RSO präsentieren konnte, aber die Zahl 11 ist, was die Stückanzahl und damit verbundene Komponistenanzahl betrifft, für einen einzigen Konzertabend schon sehr außergewöhnlich. 11 verschiedene Stücke von 11 verschiedenen Komponisten schafft selbst ein großes Orchester wie das RSO nur durch einen Kunstgriff: Indem es nämlich im ersten Programmpunkt 9 musikalische Miniaturen präsentierte, die ihm anlässlich des 40jährigen Bestehens des Orchesters im Jahr 2010 von österreichischen Komponisten gewidmet wurden. Insgesamt waren es „102 masterpieces“, die das Orchester erhalten und auch auf 2 CDs eingespielt hatte. 9 davon waren nun bei Wien Modern zu hören. Auffallend, dass sich darunter aber leider das Werk keiner einzigen Frau befand. An dieser Stelle eine qualifizierte Beschreibung des Geschehens abzugeben ist schier unmöglich, denn so kurze Klangsequenzen – meistens nur maximal eine Minute lang, entziehen sich so gut wie jeder fundierten Beschreibung. Herausragend, weil frisch und frech, war Gerald Reschs „Ein Stück Land für Orchester“, das nicht eine Auskoppelung aus einer größeren Komposition darstellte, sondern an sich nur ein 40 Sekunden-Stück ist. Die klangliche Verfremdung der österreichischen Bundeshymne ist ihm derart gut gelungen, dass man schon nach wenigen Sekunden zu schmunzeln beginnt. Seine musikalische Karikatur sorgt auch zugleich in Windeseile dafür, dass man sich mit all jenen Fragen konfrontiert sieht, die sich in Zusammenhang mit Nationalstolz, Vaterlandsliebe oder sonstigen abstrakten Begriffen stellen, die von der Politik so gerne verwendet werden. Diese Musik ist zwar klein, aber oho! Was aber die komplette Aufführung schlaglichtartig verdeutlichte ist, dass es tatsächlich ein großes musikalisches Potential im kleinen Land Österreich gibt, das sich der Komposition von zeitgenössischer Musik widmet und das mit einer erstaunlich hohen Qualität.
Diese kam im zweiten Programmpunkt so richtig zum Tragen, dieses Mal aber nicht durch einen Komponisten Österreichs, sondern durch Rebecca Saunders, jener in London geborenen jungen Komponistin, die seit schon geraumer Zeit in Berlin lebt und die im Festival mit mehreren Werken vertreten ist. Ihr brandneues Konzert für Violine und Orchester aus dem Jahr 2011, das an diesem Abend in Österreich uraufgeführt wurde war schlichtweg beeindruckend. Saunders gelang es, ihrer Violine eine ganz eigenartige Färbung zu geben, die beinahe das gesamte Stück über eingehalten wurde. Sie arbeitete mit einer musikalischen Sprache, die im Violinenpart Tonhöhen und –tiefen vermied und dennoch unglaublich farbig erschien. Kratzig raue Dissonanzen, kräftig hintereinander gesetzt, schmeichelten sich trotz ihrer Sprödigkeit in die Gehörgänge. Ihr Konzert zerfiel in zwei große Teile in welchen vor allem die Instrumentalistin Carolin Widman ihre Klasse zeigen konnte. Ihre Spielfreude und Energie, aber auch ihre Präzision war bewundernswert und die Freude, das Stück zu interpretieren, war deutlich spürbar. Die mechanistische Klangkonstruktion, die am ehesten an industrielle Entstehungsprozesse in einer großen Fabrik erinnerten, in der immer und immer wieder dieselben Klangsequenzen, hervorgerufen durch maschinellen Einsatz, entstehen – verbreiteten eine emotional gedrückte Stimmung. Der Mensch als Teil eines industriellen Fertigungsprozesses verlor darin gänzlich seine Eigenheit und seine Freiheit. Der zweite Teil hingegen, setzte gerade letztgenannte Komponenten in den Vordergrund. Windgeräusche, ein Rauschen und ein Brummen das sich quer durch das Orchester zog waren ein Teil von naturimitierenden Klängen, die sich schließlich in beinahe lyrische Passagen auflösten und den Eindruck der Mühe und Plage des Lebens in der Fabrik hinter sich ließen. Freiheit stellte sich nun auch in der Tonhöhenbehandlung ein und – als ob Saunders diese Aussage auch noch auf die Spitze treiben hätte wollen – entschwanden die letzten gespielten Töne auf der Violine in den darauf höchsten spielbaren Tönen aufs Zarteste. Die Kraft dieser Komposition und die tolle Interpretation ließen dieses Werk zum herausragenden Ereignis des Abends werden.
Und dies, obwohl als Abschlusskonzert noch „The triumph of time“ von Harrison Birtwistle auf dem Programm stand. Die ganz zu Beginn schon gesetzte Miniaturmelodie, aus nur 3 Tönen bestehend, zieht sich durch das Werk wie ein roter Faden und verlässt die Gehörgänge auch noch lange nach dem Konzert nicht. Die dunkle, geheimnisvolle Stimmung zieht sich durch den ersten, getragenen Satz durch und bleibt auch später bestehen. Obwohl der zweite Satz wesentlich dynamischer aufgebaut ist und mit so intensiven Klangwellen ausgestattet, dass sie körperlich spürbar sind. Im Abschlusssatz erklingt wieder das kleine Motiv, das schon zu Beginn so aufhorchen ließ. Das Werk entstand 1971/72 und bietet den Hörerinnen und Hörern mannigfaltig die Möglichkeit, sich von den Klängen forttragen zu lassen, auf ihnen zu schwimmen und ganz einzutauchen in die wunderbare Welt der Orchestermusik. Birtwistle überzeugt darin nicht mit Progressivität aber mit außerordentlich handwerklicher Qualität die ihr Ziel nicht verfehlt.