Tausend mal tausend Gesichter Brahmans

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Lord Shiva muss damals in solchen Nebelschwaden gehüllt gewesen sein, als die ersten Menschen vom Brahman erschaffen wurde. Und seither erschafft Brahman immer mehr und mehr Menschen.

Beim Gedanken an Shiva steigt eine Mischung von Ehrfurcht und Angst in Ramesh auf. Shiva ist unberechenbar. Manchmal ist er gütig, aber er zerstört gerne. Er ist oft dunkel und bedrohlich.

Ramesh kaut an einem Maisstängel und saugt den süssen Saft aus dem kernigen Halm. Es ist eine angenehme Jahreszeit. Es gibt zu Essen. Das ist schön. Wenn auch der Monsun langsam unerträglich wird. Aber wenn er satt ist, so hat er Musse über Shiva nachzudenken. Und über Brahman.

Ramesh ist hier im Dorf geboren, ist hier aufgewachsen. Schon als Knabe hat er mit den Ochsen die Felder gepflügt und den Reis gesetzt, hat im Dschungel Früchte gesammelt und mit seinem Vater Perlhühner gejagt, er hat am Bergbach mit Freunden Forellen gefangen und in der feuchten Schlucht Farnkraut zum Essen geholt. Ramesh hat Wasser geschleppt und beim Häuserbau mitgeholfen, hat Büffel gehütet und war an mancher Verbrennung von Verstorbenen am Fluss. Er kennt jeden hier im Dorf.

Ramesh weiss, dass Brahman unablässig Leben hervorbringt, unablässig, und dass Shiva unablässig Leben wieder zerstört, unablässig. Eigentlich ist alles sehr einfach. Aber er weiss auch, dass es so viele Gottheiten gibt, wie Sterne am Himmel. Selbst Brahman persönlich zeigt sich in tausend mal tausend Gesichtern.

Am Abend geht Ramesh nach Hause. Das Haus ist klein, aus Lehm gebaut und hat zwei Wohnräume Ramesh ist neunzehn. Seine Frau, Mia, ist siebzehn. Sie sitzt am Herd und kocht den Reis. Das Baby liegt in einer Ecke des Zimmers auf einer geflochtenen Matte und schläft.


Ramesh und seine Frau Mia sind in einem Dorf im Westen Nepals zuhause.


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