Die Suche nach dem großen Islamreformer mutiert allmählich zu einem Gesellschaftsspiel – und läuft Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Till R. Stoldt schreibt in Die Welt, warum die Islamkritiker nicht unbedingt zur Erneuerung des Islam beitragen. Als ein Beispiel wird die Bekannteste unter ihnen, Necla Kelek, aufgefuehrt:
Ein Gastbeitrag von Dontyoubeliefethehype
[...]Besonders häufig wird als Anwärterin auf diesen Posten die türkischstämmige Islamkritikerin Necla Kelek genannt. Unbestreitbar hat die Soziologin Missstände unter Muslimen an die Öffentlichkeit gezerrt, die von türkischen Medien und auch von den Muslimverbänden lange zögerlich aufgegriffen wurden. Dieses Verdienst gestehen ihr hinter vorgehaltener Hand sogar manche ihrer Kritiker zu.Es gibt Alternativen an glaeubigen und kritischen Muslimen/Musliminnen, die diese Rolle wahrnehmen koennten:
Nur: Ist es für eine “Reformatorin” des Islams nicht arg unvorteilhaft, lange Jahre als Ex-Muslima und Atheistin gegolten zu haben? Bis 2007 wirkte Kelek noch im Beirat der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung mit, die den Zentralrat der Ex-Muslime mitgründete.
Daran rieb sich auch das damalige Innenministerium, das Kelek ja als Vertreterin der Muslime in die Deutsche Islamkonferenz berufen hatte. Ob diese ministerielle Irritation nun ursächlich war oder nicht – jedenfalls gab Kelek kurz darauf ihre Arbeit im Beirat auf.
Aber bis heute definiert sie “den Islam” in seinem “Wesen” oder “politischen Kern” als frauenfeindlich, kritikresistent und mit einer offenen Gesellschaft unverträglich. Nebenbei versteigt sie sich immer wieder zu Äußerungen, die noch von den lauesten Kulturmuslimen als diffamierend empfunden werden: “Der muslimische Mann muss ständig der Sexualität nachgehen. Er muss sich entleeren, heißt es, und wenn er keine Frau findet, dann eben ein Tier… Das hat sich im Volk durchgesetzt, das ist Konsens.” Wie viel Überzeugungskraft besitzt wohl solch eine “Reformatorin” unter Gläubigen, denen sie kollektiv Sodomie unterstellt?[...]
[...]Das Rätsel wird umso größer, als es ja Alternativen gäbe: Gerade in diesen Tagen beweisen liberal-kritische Muslime, dass man gläubig und zugleich strikt reformerisch leben kann.
Dies demonstriert etwa der jüngst veröffentlichte Sammelband “Islamverherrlichung – Wenn die Kritik zum Tabu wird”. Darin spießen 28 überwiegend praktizierend-muslimische Gelehrte restlos alles auf, was man an der islamischen Welt eben aufspießen kann – von grassierendem Nationalismus über Selbstmitleidskultur und Machismo bis zum Mangel an Selbstkritik.[...]
[...]Ein zentraler Unterschied bleibt allerdings: Als praktizierende Muslime verabsolutieren die Reformer ihre Kritik nicht. Ein historisierungsresistentes “Wesen”, einen menschenrechtsfeindlichen “Kern” des Islam können sie nicht entdecken.
Sie treten sogar den Gegenbeweis zum radikalen Nein an, wie es Kelek und ihre Kollegen vertreten: Den Koran lesen sie konsequent als Offenbarung in Raum und Zeit, deren große Absichten zeitlos seien, deren Wortlaut im Detail dagegen als zeitgebunden verstanden wird. Und in diesen koranischen Absichten entdecken sie ausnahmslos jedes Menschenrecht samt Minderheitenschutz, Rechtsstaat und Gewaltenteilung.[...]
Ein Gastbeitrag von Dontyoubeliefethehype