taub.stumm

Von Skeltem

Die Gebärde für „gehörlos“ ist der Zeigefinger, der zuerst auf das Ohr, dann auf den Mund zeigt. Sie stammt aus der Zeit, als Gehörlose noch „Taubstumme“ waren und ist in fast allen Dialekten gleich.
Ich dachte jedenfalls, dass sich die Gebärde auf die Vergangenheit bezieht.

***

Ein „Gespräch“:
Ich: Da hinten geht es lang. Ich war schon mal hier.
Andere: (…)
Ich: Hallo? Ich sag euch doch … Mensch, jetzt müssen wir … Warum hört ihr nicht auf …
Andere: (…)
Ich: Wir sollten hier Geld umtauschen. Da drüben ist eine Wechselstube. Sonst stehen wir nachher da, haben Hunger, aber nur Euro. Nicht? Wartet. Habt ihr in Deutschland schon? …
Andere (später): Wir hätten auf dem Flughafen vielleicht Geld tauschen sollen.
Ich: (…)

***

Unter den vielen beschissenen Dinge, die man als Gehörloser aushalten muss ist das Gefühl der „Unsichtbarkeit“ sicher einer der verletzendsten. Es ist, als würde man mit dem Verlust des Gehörs als Mensch unscharf werden. Ohne Zweifel wird man bemerkt. Aber sobald man auf eine Frage antwortet: „Tut mir leid, könnten Sie das wiederholen. Und langsamer bitte, ich lese von den Lippen.“ scheint man in einem Feld gefangen zu sein, das Douglas Adams treffend das PAL-Feld nennt. Problem Anderer Leute.

Dumme Menschen scheinen fast augenblicklich durch mich hindurch zu sehen. Man sieht förmlich das „Tilt“-Zeichen hinter ihren Augen aufleuchten. Wenn sie dann gezwungen werden, zum Beispiel in ihrer Eigenschaft als Verkäuferin oder Service-Kraft, sich mit meiner unangenehmen Existenz auseinander zu setzen, reagieren sie zunehmend gereizt und genervt. Bei besonders renitenten Exemplaren muss ich tatsächlich laut werden, damit sie meine Stimme überhaupt wahrnehmen können. Das ist für alle Beteiligten unangenehm. Aber Zeugen schauen sowieso beschämt in andere Richtungen.

Die meisten Menschen versuchen zumindest, zu fokussieren. Das gelingt ihnen mehr oder weniger gut. Trotzdem versuchen auch normal begabte, wohl meinende Menschen einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. In meiner gewohnten Umgebung bin ich mittlerweile recht bekannt. Ich merke das an den Menschen, die versuchen, mich nicht zu bemerken.

Entscheidungsträger, Professoren, Beamte usw. sind die Schlimmsten. Ich merke dann förmlich wie ihr Achtung für den Wurm, der sie nicht hören kann und ihre geistige Größe also nicht nachvollzieht mich aus ihrem Universum verbannt.

Oft fühle ich mich nicht nur taub, sondern auch stumm. Und ich merke auch an mir, dass mir mehr und mehr die Lust vergeht, mich zu „manifestieren“. Auf mich aufmerksam zu machen. Warum? Kommunikation ist schmerzhaft für alle. Die Versuchung zu „faken“, also Verständnis vorzutäuschen und Gespräche aus der Erinnerung zu führen ist riesig.

Als Taubstummer ist man Niemand. Aber man ist wenigstens auch kein Ärgernis.

***

Noch ein „Gespräch“:
Ich: Und, Herr Doktor? Ist es schlimm?
Arzt: murmelmurmelmurmel …
Ich: Äh, bitte was? Ich … könnten Sie das aufschreiben?
Arzt (zum Assistentarzt): murmelmurmelmurmel …
Assistenzarzt (zur Schwester): murmelmurmelmurmel …
Ich: Ich verstehe Sie nicht. Ist es schlimm? Nicken Sie, um Gottes Willen, oder schütteln Sie den Kopf.
Arzt (immer noch zum Assistenzarzt): murmelmurmelmurmel … (steht auf und gibt mir die Hand)
Ich: Was soll ich denn tun? Hallo?
Assistenzarzt (auf die Schwester zeigend): murmelmurmelmurmel … (geht ab)
Ich: Was zum … was soll … wie?
Schwester (gebärdet!):  murmelmurmelmurmel …