Tatiana de Rosnay: Das Geheimnis der Wände

Von Buchwolf

Meine Frau schenkte mir zu Weihnachten diesen kurzen Roman von Tatiana de Rosnay, damit ich endlich einmal weiß, wie diese so schreibt. Der Roman stammt aus ihrer „Frühperiode“, wo sie noch viel düsterere Themen behandelte als jetzt, wo mit der Popularität auch hellere Töne in ihr Werk gekommen sind.

Die einfache, aber wirksame Grundidee dieses Buchs: Eine Frau reagiert übersensibel auf die „Geschichte“ von Häusern, die dieses sozusagen in ihre Wände aufgesogen haben, daher der Titel.

Alles beginnt ganz harmlos

Die Sache beginnt, als Pascaline, die Ich-Erzählerin, nach der Trennung von ihrem Mann eine kleine Pariser Wohnung mietet. Als sie mit ihrer Freundin und Arbeitskollegin Élizabeth – beide arbeiten in einem IT-Unternehmen als Programmiererinnen, sind also alles andere als verträumte Gestalten – in der Wohnung Möbel zusammenbaut. Plötzlich wird ihr übel. Und in der Nacht kann sie nicht recht schlafen.

Sie kann es nicht wegstecken

Einige Tage später erfährt sie, dass in ihrer Wohnung ein Mord geschehen ist: der erste von sieben brutalen Frauenmorden, die vor einigen Jahren Paris in Atem gehalten haben. Der Täter wurde gefasst und sitzt jetzt im Gefängnis.

Manch anderer würde das vielleicht wegstecken, nicht aber Pascaline. Die hält es in dieser Wohnng nicht mehr aus, weil sie ständig an die vergewaltigte und ans Bett gefesselte Anne mit der durchgeschnittenen Kehle und dem vielen Blut überall denken muss. Und an deren Mutter, die die Tote fand.

Auf den Spuren des Mörders

Sie zieht gleich wieder aus, zunächst in ein Hotel, später in eine andere kleine Wohnung. Dennoch nagt die Sache mit dem Serienmörder an ihr. Sie recherchiert im Internet alles über die Morde und den Mörder, sucht die anderen Häuser, wo die sechs weiteren Morde geschehen sind, auf und wandert immer wieder rund um das Gefängnis, wo der Mörder einsitzt.

In der Arbeit beginnt sie grobe Fehler zu machen, sodass sie der Chef hinauswerfen will. Sie kann das mit dem Märchen abwenden, dass gerade ihre 15jährige Tochter gestorben sei. Der Chef lässt sich erweichen und schickt sie nur 14 Tage in den Krankenstand.

Katastrophales Rendezvous

Zuvor noch hat die rührend um sie bemühte Élizabeth ein Abendessen mit Robert, ihrem geschiedenen Schwager, arrangiert, das wie gewünscht dazu führt, dass Robert sich für Pascaline interessiert. Einige Tage später kommt es zu einem Rendezvous, Robert begleitet Pascaline nach Hause, sie lässt ihn ein, schon sind sie im Bett, doch als der wenig sensible Robert auf Pascaline herumzuackern beginnt, fällt dieser plötzlich ein, dass es den sieben ermordeten Mädchen wohl kaum anders ergangen ist. Panisch würgt sie Robert, der die Flucht ergreift.

Pascalines Ex-Mann Frédéric ist inzwischen neu liiert mit einer jungen Frau, die bereits ein Kind erwartet. Das verträgt Pascaline gar nicht. Sie selbst hatte einst mit ihm eine Tochter, Helena, die mit einem halben Jahr starb. Plötzlicher Kindstod. Der im Nachbarzimmer fernsehende Frédéric hatte nichts gemerkt. Oder hatte er nichts merken wollen? Immer mehr steigert sich Pascaline in einen Hass gegen ihren glücklichen Ex-Mann hinein.

Hilfsversuche scheitern

Eines Tages, mitten im Krankenstand, taucht Élizabeth bei Pascaline auf, nötigt sie zu einem Gespräch, das in Geschrei ausartet. Pascaline ist keinem Versuch, ihr zu helfen, zugänglich. Sogar Robert wäre bereit, mit ihr über den peinlichen Abend zu reden, wenn ihr das helfen würde. Doch nein.

Schließlich aber fasst Pascaline einen Entschluss, ruft Élizabeth an, sie solle sie zu Frédéric bringen, mit dem sie Helenas Tod besprechen müsse, dann werde es ihr besser gehen. Sie fahren hin, Pascaline sagt, es werde nicht lange dauern, geht durch den Vorgarten zu Haus, läutet an, greift nach etwas in ihrer Tasche, Frédéric öffnet –––

Ende.

Eine neue Daphne Du Maurier

Der Roman erinnert an Werke von Daphne Du Maurier, denn genauso unheimlich und besessen wie deren Figuren ist auch Pascaline. Aus dem Alltäglichen entwickelt sich unvermutet das Grauen.

Geschrieben ist das alles in lockerem Erzählton, unangestrengt, bequem lesbar. Auch das wohl ein bewusst kalkulierter Kontrast zu dem, was sich da langsam entwickelt.

Tatiana de Rosnay: Das Geheimnis der Wände. Roman. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin, 2009. 141 Seiten. – Französisches Original: La Mémoire des murs, Paris 2008.

Bild: Wolfgang Krisai: Junge Frau. Buntstift, 2010.