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GTL | 14.12.2013 | Kommentare (0)
Tarivid ist gut für’s Glied
Es ist sehr, sehr lange her, da absolvierte ich als Student mein “Internepraktikum” auf der Univ. Klinik für Chemotherapie. Der mir zugeordneter Tutor war Oberarzt DDr. Wolfgang Graninger, der sich aber die ersten zwei Wochen des viermonatigen Praktikums auf “Kongressurlaub” befand.
Als er mich am Ende der dritten Praktikumswoche nach einer Visite fragte, was ich denn schon gelernt hätte, hielt ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg:
Blutabnehmen habe ich in der ersten Woche gelernt, Kaffee trinken konnte ich schon vorher und sonst ließ sich bei den rituellen Prozessionen, genannt Visiten, wenig lernen.
Daraufhin bellte er mich an, dass man auch nix lernen wird, wenn man sich schon am Nachmittag aus dem Spital schleicht. Gerade bis spät abends in die Tiefen des pharmakologischen Lehrbuches abgestiegen, die Rigorosenprüfung dräute, maulte ich zurück, dass sich am Nachmittag ja ohnehin nichts tut als das mühevolle Übertragen von Laborbefunden in Fieberkurven. Da schlug mir Graninger vor, dass ich halt am Wochenende auftauchen solle, um was zu lernen.
Damals uninformiert über seinen etwas alternativen Arbeitsstil, war ich am Samstag pünktlich um 8:00 auf der Station gestellt nur um zu erfahren, dass “der Graninger” (noch unhabilitiert war er schon zu einer Trademark geworden) am Vorabend bis in der Nacht herummurxte und nicht vor 10:00 oder 11:00 erwartet wurde. Als ich an diesem Samstag so gegen 22:00 wieder das Haus verließ, hatte ich einen Crashkurs und -marsch durch ein gutes Dutzend verschiedener Abteilungen des AKH hinter mir, habe Abstriche aus schmierigen Wunden gemacht und begann den Unterschied zwischen Kugel- und Stäbchenbakterien auch durch das Mikroskop zu erkennen. Mir wurden Bakterienkulturen unter die Nase gehalten und erklärt, dass man den Keim ja auch schon am Geruch erkennen sollte und so nebenher erfuhr ich wer nach Meinung meines Tutors ein “echter Trottel” war und wer nicht. “Herumwixen” war übrigens seine offizielle Bezeichnung für das wissenschaftlich Tun im Haus.
Viele Anekdötchen verbiete ich mir um, um mich weiterhin hinter meinem Pseudonym verschanzen zu können, aber so viel: in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren wiederholten sich diese Aktionen und ich begleitete “den Meister” auch auf so manches “Bezirksärztetreffen” wo er prinzipiell das Antibiotikum der sponsernden Pharmafirma heruntermachte. Ich erinnere mich noch gut daran, als ein ehrenwerter Medizinalrat erhob und meinte, dass er mit einem damals sehr beliebten, jedoch schlecht resorbierbaren, oralen Antibiotikum “immer gute Erfolge” sehen würde. Graningers kurze Antwort: “Ja, als Abführmittel”
Als er im Zuge der allgemeinen Aufregung über eine kurzzeitige aber medial nicht kommunizierte “in den Tiefschlaf Versetzung” unseres damaligen Bundespräsidenten in die ZIB 2 geladen wurde, meinte er auf die Frage, ob denn das nicht ein Sicherheitsrisiko gewesen wäre den ersten Mann im Staate so aus dem Spiel zu nehmen: “Am Wochenende schläft Österreich ja ohnehin und wenn uns die Ukraine den Krieg erklärt, hätten wir ihn ja ohnehin geweckt.”
Graninger wurde viele Jahre später, inzwischen hat er schon Dutzende Studenten um sich geschart, 1996 für “Hirn, Witz, Herz und pechschwarzem Humor” zum Teacher of the Year ernannt, wie die Wikipedia weiß.
Wie diese dann fortsetzt, wäre aber selbst dem Graninger in seiner besten Zeit nicht eingefallen:
Graninger war der behandelnde Arzt bei der Autoimmunerkrankung von Thomas Klestil, die schließlich zum Tod des österreichischen Bundespräsidenten führte.
Klingt nicht gerade vertrauenerweckend …
http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Graninger
Ein rezentes Beispiel für Graningers Vortragsstil findet sich hier:
http://billrothhaus.at/index.php?option=com_billrothtv&void=3043
Eine Anekdote möchte ich noch bringen:
Noch zu meiner Studienzeit begann ich mit Graninger auch wissenschaftlich zu arbeiten. Es war völlig sinnlos vor neun oder zehn Uhr abends aufzutauchen, weil erst dann die dauernden Anrufe und “noch schnell zu Erledigendes” ein konstruktives Arbeiten verbot. Sein damaliges Womanizing war ein weiterr grund …
An einem dieser Abende betrat ich sein kleines Dienstzimmer, eigentlich ein Loch, das mit Arbeitsbänken einer anderen Abteilung angerammelt war. Während wir das aktuelle Manuskript zum x-ten Mal umtexteten schob er eine Musikkassette in den Radiorekorder der zwischen seinen Büchern stand und es erklang “Spanische Gitarre”.
Ich verprasste als Gymnasiast zwei Jahre lang das Geld meiner Eltern um die Kunst des Gitarrespiels nicht zu lernen, glaube deshalb aber trotzdem zu wissen, wie sich gute Gitarre anzuhören hat.
Nach einigen Minuten, in denen wir an unserem Manuskript herumfeilten, fragte Graninger dann fast kleinlaut, ob mir das Stück gefallen würde. Ich bejahte und fragte, wer denn hier spielt, worauf er fast schüchtern meinte, dass er das gestern Abend selbst noch aufgenommen hätte.
Graninger ist einerseits einer der ganz wenigen wirklich Intellektuellen, die ich an der Universität getroffen habe und andererseits jemand mit einem Horizont, der über seine medizinischen Kenntnisse weit hinausging. Uns verband auch die Liebe zum Ostasiatischen Raum, wobei wir uns äußerst uneins über den Subkontingent Indien blieben ….
Ob viele Menschen unter all den Schichten, den Kalauern, den rotzig-lustigen Vorträgen den ganzen Menschen erkannt haben, weiß ich nicht. Ich persönlich würde es von mir nicht glauben, aber wenn ich nach meinen “universitäten Lehrern” gefragt würde, dann würde ich ihn nennen, auch wenn ich trotz jahrelanger Zusammenarbeit niemals bei ihm angestellt war oder in seinem Fachgebiet tätig wurde ….
PS: Tarivid ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Gyrasehemmer, das gegen eine Reihe von Bakterien wirkt, die eine Harnröhreninfektion verursachen.