TARGET2: Zur Werthaltigkeit der deutschen Bundesbank-Forderungen bei einem Austritt Deutschlands oder einem Zerfall der Eurozone

Von Cangrande

Die Euhaftungslobbyisten jagen uns Bürgern gerne Angst ein, nach dem Motto: "Wenn der Euro zerfällt, geht die Welt unter". Jedenfalls werden gigantische Verluste für Deutschland vorhergesagt, insbesondere bei den TARGET2-Forderungen der Deutschen Bundesbank.
In Wahrheit sind für den Fall eines Auseinanderbrechens der Eurozone im Bereich des Zentralbankensystems -3- Forderungsarten zu unterscheiden:
1) Forderungen unter dem "ELA"-Regime (Emergency Liquidity Assistance). Das sind Gelder, welche die nationalen Notenbanken auf eigenes Risiko an (vermeintlich) solvente, aber vorübergehend illiquide Banken verliehen haben. Gehen die Banken pleite, ist das ein Problem der nationalen Notenbanken.
Allerdings habe ich keine Zweifel, dass man bei einem Fortbestand der Eurozone derartige Verluste vergemeinschaften würde. Insbesondere wird man keine Bank pleite gehen lassen, bzw. man wird jedenfalls ihre Schulden begleichen: aus dem ESM, also auf Kosten der europäischen (und mithin insbesondere: der deutschen!) Steuerzahler.
Bricht das System auseinander, entfällt natürlich eine Gemeinschaftshaftung; in diesem Falle muss jeder Staat bzw. jede nationale Notenbank auch faktisch die Verluste selber tragen.
Fazit: Ein Zerfall der Eurozone wäre insoweit für Deutschland ein Vorteil.
2) Forderungen, für welche die EZB insgesamt haftet. Das sind Kredite, welche die EZB (wiederum über die nationalen Notenbanken) gegen Sicherheiten an Banken verliehen haben. Ob die Sicherheiten werthaltig sind oder nicht, ist dabei zunächst einmal gleichgültig. Entscheidend ist im sozusagen 1. Schritt, ob die Geschäftsbanken solvent sind und bleiben oder nicht. Denn zunächst einmal haften die für die Rückzahlung der Kredite. Gehen diese Banken pleite, fallen die Ausfälle dem gesamten ESZB-System zur Last, d. h. jeder nationalen Notenbank anteilig.
Das aber nur, solange die EZB existiert, bzw. Deutschland Mitglied der EZB ist. Auch insofern ist es für Deutschland nur vorteilhaft, diesen Haufen schnellstens zu verlassen. Dann haftet es nur für bis zum Austritt eingetretene Insolvenzen, nicht für zukünftige.
3) "TARGET2" steht für "Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System" und ist die zweite Generation des Zahlungsverkehrssystems TARGET. Es ist seit 19. November 2007 das gemeinsame Echtzeit-Brutto-Clearingsystem (RTGS) des Eurosystems (ESZB) (nach Wikipedia-Eintrag). Soweit zur formalen Seite. Inhaltlich sind Soll- und Haben-Salden ein Ausdruck von Ungleichgewichten; man könnte auch sagen: von 'Gleichgewichtsstörungen'. Der aktuelle riesige deutsche Habensaldo kommt wie folgt zustande:
a) Eine Reihe von Ländern der Eurozone, insbesondere die Mittelmeerländer (Italien allerdings weniger) und Frankreich, hat ein Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland. Die kaufen also mehr an Waren und Dienstleistungen bei uns ein, als wir von ihnen. Und bezahlen tun sie das gewissermaßen mit frisch gedrucktem Geld der Notenbank. Das kann auf Dauer genau so wenig funktionieren wie der ebenfalls wesentlich durch ausländische Kredite finanzierte US-Immobilienboom. Das System muss zwangsläufig zu Bankeninsolvenzen in den Defizitländern führen - je länger, umso mehr. Von daher gesehen sollten wir schnellstens aus der Eurozone austreten.
b) Kapitalbesitzer der Problemländer schaffen ihr Geld (u. a.) nach Deutschland. Sie erwarten nämlich, dass ihr Heimatland die Eurozone verlassen (oder diese zerfallen) wird. Dann müssten diese Länder wieder jeweils nationale Währungen einführen, die voraussichtlich abwerten würden. Um sich diese Verluste zu ersparen, legen die Anleger ihr Geld lieber in Deutschland an, wo es voraussichtlich aufwerten wird.
Es liegt auf der Hand, dass auch diese Geldflüsse immer weiter gehen, so lange Deutschland in der Eurozone ist, und so lange die Problemländer nicht für die Anleger vertrauenswürdig werden. Schon von daher wäre es vorteilhaft für uns, die Eurozone schnellstens zu verlassen.
Aber was passiert dann mit den "TARGET2"-Forderungen der Bundesbank? Nun, es handelt sich ja um Forderungen von einer nationalen Notenbank gegen eine andere. Insofern ist es für uns zunächst absolut gleichgültig, ob die griechischen Geschäftsbanken pleite gehen, denen die griechische Nationalbank das Geld gegeben hat, dass ihre Kunden dann nach Deutschland transferiert haben. Für die Forderung der deutschen Notenbank haftet die griechische Notenbank.
Anders gesagt: die TARGET2-Forderungen werden Devisenreserven für die Bundesbank. Das Risiko liegt nicht darin, "dass wir das Geld nicht wiedersehen". Sondern im Umrechnungskurs und in einer evtl. folgenden raschen Abwertung der Währung.
Nehmen wir an, dass Griechenland wieder Drachmen einführen und die 1 : 1 zum Euro umtauschen würde. Dann hätte die BuBa gegen die griechische Nationalbank eine Forderung von beispielsweise 100 Mrd. Drachmen, statt 100 Mrd. €. Mit diesem Geld könnte sie z. B. griechische Staatsanleihen kaufen. Sie könnte es aber auch auf dem Devisenmarkt in Euro, Dollar usw. umtauschen.
Und wenn Sie einen Urlaub in Griechenland machen wollen, dann tauschen Sie (über Ihre Geschäftsbank) der Bundesbank die Drachmen in Euro um und geben das Geld in Griechenland aus. Entsprechend vermindert sich der Drachmenbestand bei der BuBa.
Für die Bundesbankbilanz würde sich ein Eurozerfall also als ein reiner Buchungsvorgang darstellen. Wo bisher "Forderung 100 Mrd. € gegen griechische Notenbank" im "Haben" stand, steht zukünftig "100 Mrd. Drachmen" auf der Habenseite der Bilanz.
Verluste können freilich durch einen ungünstigen Umtauschkurs entstehen, oder durch einen raschen Verfall des Drachmen-Wechselkurses nach der Umstellung.
Aber jedenfalls: Die Target2-Forderungen sind nicht "weg", und zwar auch dann nicht, wenn die griechischen Geschäftsbanken pleite gehen.
Meine Darstellung berücksichtigt allerdings nur die geldtechnische Seite. Die realwirtschaftlichen Auswirkungen eines Eurozerfalls sind eine ganz andere Sache; aber auch die müssen keineswegs negativ sein. Und natürlich hat die realwirtschaftliche Entwicklung dann wieder einen Rückkopplungseffekt auf die geldwirtschaftliche Seite. Den vorhersagen zu wollen, wäre freilich Kaffeesatzleserei. Grundsätzlich wird Deutschland in der Tat verlieren, nämlich durch eine Abwertung der fremden Währungen. Aber wenn wir, aktuell, die Guthaben bei der Bundesbank herumliegen lassen, verlieren wir ebenfalls Geld in Höhe der Inflationsrate (abzüglich einer ggf. derzeit von den fremden Notenbank zu bezahlenden Verzinsung).
Auf jeden Fall gilt also: Wann immer jemand wilde Behauptungen aufstellt, wie sehr ein Zerfall der Eurozone Deutschland schaden würden, konkrete Szenarien verlangen. Und vor allem diese kritisch hinterfragen. Es wird sich dann häufig herausstellen, dass es sich lediglich um unfundierte Propaganda handelt.
ceterum censeoWer die Währungsunion nicht scheitern lässt, wird Europa scheitern lassen!
Textstand vom 09.09.2012. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm. Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert bzw. geändert.