Über das Tanztheater International in Hannover habe ich hier immer wieder einmal berichtet (z.B. hier) -- in diesem Jahr ein verspäteter Hinweis, denn es hat bereits am 29. August begonnen. Ich gebe einen Überblick als leicht verändertes Zitat aus der Pressemitteilung und hebe dann ein Beispiel hervor, das mir besonders vielversprechend erscheint, mein persönliches Fundstück sozusagen.
"Erste Festivalhälfte im Zeichen von Wagnis und Vertrautheit:
Ein schweißtreibendes Bewegungsexperiment des franko-senegalesischen Choreografen Amala Dianor" eröffnete am 29.08. "in der Orangerie Herrenhausen als deutsche Erstaufführung das Festival: In „The Falling Stardust“ lockt er neun Tänzer*innen mit einer fordernden Fusion aus Hip-Hop, klassischem und zeitgenössischem Tanz aus ihrer Komfortzone und überführt sie in neue Tanzgalaxien (auch am 30.08.)."
Am 31.08. gastierte "die japanische Choreografin Kaori Ito in der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover mit ihrem Vater. Als erfolgreich in Europa arbeitende Künstlerin war Ito viele Jahre und Kilometer von ihm getrennt. Zeit für Fragen nach Vergangenheit und Zukunft, Vertrautheit und Veränderung, mit denen sie ihn jetzt in „I dance because I do not trust words“ konfrontiert. Die Ergebnisse werden verbal wie auch tänzerisch verhandelt und ergeben ein universelles Bild einer gleichermaßen von Innigkeit und Entfremdung geprägten Familienkonstellation.
Einen Schritt ins Ungewisse" wagten am 01.09. "die sechs Performer*innen von Peeping Tom aus Belgien. In „Kind“ befassen sich die langjährigen Publikumslieblinge diesmal mit den durchaus überraschenden Fantasien, Wünschen und Ängsten der Jüngsten und bringen diese vor einem surrealen imposanten Setting mit Tanz, Gesang und Schauspiel auf die Bühne des Schauspielhauses.
Catherine Gaudet gehört zur Tanzavantgarde Kanadas und verfolgt in „The Fading of the Marvelous“ einen konsequent minimalistischen Tanzstil, der atmosphärisch dicht zahllose Assoziationen weckt. Am 02.09. zeigt sie im Ballhof Eins eine vielschichtige und ausgeklügelte Bewegungsstudie für fünf charismatische Performer*innen, bei der auf subtile Weise im Kollektiv das Individuelle sichtbar und spürbar gemacht wird.
Am 03.09. feiert die israelische Choreografin Galit Liss mit „GO!“ ihr Festivaldebüt in der Orangerie Herrenhausen. Eine Arbeit für 18 Frauen aus Tel Aviv, die, teils bereits über 80jährig, erstmals die Tänzerin in sich entdecken und die Bühne für sich erobern. Liss hat eine Hommage an ihre Biografien und ihre Körper geschaffen, die jetzt erstmals in Deutschland zu sehen ist.
Zweite Festivalhälfte mit Macht und Metaphern:
Als Teil eines Doppelabends gibt der neue hannoversche Ballettdirektor Marco Goecke am 04.09. im Ballhof Zwei mit dem Solo „Äffi“ Einblicke in sein unverwechselbares Bewegungsvokabular, das absolute Köperbeherrschung erfordert. Den anderen Teil bestreitet der israelische Choreograf Hillel Kogan, der im Ballhof Eins in „The Swan and the Pimp“ gemeinsam mit einer jungen Tänzerin Macht und Moral (nicht nur) im Bühnentanz hinterfragt und dem Publikum bei dieser deutschen Erstaufführung augenzwinkernd unerwartete Erkenntnisse beschert.
Weitere Ansichten und Einsichten in das Thema Macht im Bühnen-Business bietet der katalanische Choreograf Pere Faura. Er zeigt sich am 05.09. bei der deutschen Erstaufführung von „Sweet Tyranny“ in der Orangerie Herrenhausen selbst als süßer Tyrann, der seine sieben Tänzer*innen durch einen Parcours aus Tanzfilmen der 70er und 80er Jahre schickt und diese dabei unterhaltsam analysiert. Am 06.09. vertanzt er in „No Dance, No Paradise“ in der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover seinen persönlichen Werdegang und lässt dabei Ikonen auferstehen, die bis heute Tanzgeschichte geschrieben haben.
Zum Festivalfinale bieten Guy Nader und Maria Campos als beim Festival bereits gefeiertes libanesisch-spanisches Choreograf*innen-Gespann am 07.09. in „Set of Sets“ erneut Stoff für die Ewigkeit: In der Orangerie Herrenhausen lassen sie in einem geradezu endlos erscheinenden, hochdynamischen Bewegungsfluss eine für sieben Tänzer*innen kreierte Metapher für das Leben aufleuchten."
Besonders hervorheben möchte ich „GO!“ von der israelischen Choreografin Galit Liss. Ich zitiere den Text aus der Programmbroschüre:
"Die israelische Choreografin Galit Liss hat ein besonderes Gespür für Menschen, in denen auch nach Jahrzehnten Lebenserfahrung noch immer das innere Feuer aus Neugierde, Mut und Hoffnung brennt. Diese Energien bringt Liss seit bereits einigen Jahren erfolgreich auf die Bühne, indem sie Produktionen für ältere Frauen kreiert und dabei ihre Möglichkeiten, ihre Ausstrahlung und ihre Erfahrung nutzt. Für „GO!“ hat sie mit einer großen Gruppe tanzaffiner Frauen intensiv gearbeitet, die zuvor an ihren „Gila“ Workshops in Tel Aviv teilnahmen. Das hebräische Wort „Gila“ bedeutet zugleich Lebensalter, Freude und Entdeckung. All dies vereint sich in „GO!“: 18 Akteurinnen bevölkern die Bühne, darunter eine ehemalige Kampfjet-Pilotin, Mütter, Großmütter, Frauen, die gern Tänzerinnen geworden oder geblieben wären. Liss gibt ihren Geschichten Raum und schafft gleichzeitig eine Hommage an den betagten Körper mit der sie sich vor den Biografien dieser bemerkenswerten Frauen verneigt."
Zitierte Texte wie angegeben; Bilder von oben nach unten: Aus "I dance because I do not trust words", © Gregory Batardon; aus "GO!", © Orna Kallgrad.
Download Programmheft -- s. auch https://www.tanztheater-international.de/de/