Tanzplattform 2014

Von Theatertogo @MarieGolueke

Kampnagel

KLICK

Tanzplattform 2014 in Hamburg! Schon vor zwei Jahren in Dresden, konnte ich die Tanzplattform miterleben. Anders als in Dresden war hier alles auf einem Gelände, sodass man nicht hin und herfahren muss. Ein ehemaliges Industriegelände mit insgesamt sechs großen Hallen dienten als Veranstaltungsort für die Tanzplattform.

The Forsythe Company: Sider

Mein erstes Stück, gleich einer der großen Namen auf der Tanzplattform. William Forsythe mit seiner Company und dem Stück Sider. Der Kontext soll eine Tragödie aus dem 16. Jahrhundert sein, die in Bewegung übersetzt und mit Sprachmustern aus der Tragödie vermischt wird. Leider habe ich davon nicht sehr viel mitbekommen. Da ich ganz oben saß, konnte man die Worte auf der Tafel nur erahnen bzw. nur die Hälfte sehen. Ich kann mich noch an “is and isn`t” erinnern, so waren alle Wortpaare aufgebaut. Ein Spiel mit dem Gegensatz. Die Tänzer waren teilweise von Kopf bis Fuß in bunten Klamotten eingehüllt, einige hatten elisabethanische Kragen um. Zwei Tänzer rezitierten die Tragödie in einem Englisch aus dem 16. Jahrhundert, sodass man leider nichts verstand. Forsythe verwendete große Pappen, mit denen immer wieder neue Gebilde gebaut und Geräusche erzeugt wurden.  Ein spannender Ansatz, der für mich leider nicht ganz aufging.

Richard Sigal: Black Swan

Eine riesen Leinwand im Halbkreis aufgebaut nimmt die ganze Bühne ein. Es ist dunkel und Richard Sigal kommt mit schwarz geschminktem Gesicht auf die Bühne. Hauptprotagonist sind Gedichte, die auf die Leinwand projiziert werden und im Lesen entstehen. Eine Stimme, verzerrt spricht die Wörter manchmal im Voraus, manchmal im Nachhinein. Eine Wortkomposition im Augenblick entsteht hier, während Sigal ganz klein und fast nicht sichtbar, wegen der Dunkelheit dazu tanzt und die Gedichte teilweise mitspricht. Teilweise werden die Gedichte ins Deutsche übersetzt, teilweise nicht. Die Stimmung ist jedoch von Anfang an klar. Düster aber nicht depressiv. Es hat etwas Suchendes und man wird mitgerissen mit der Flut an Worten, die über einen kommt. Eine wunderbare intermediale Inszenierung in der Sigal die Kraft des Wortes betont und sich selber damit in den Schatten stellt.

Isabelle Schad und Laurent Goldring: Der Bau

Kafkas unvollendete Erzählung dient hier als Inspiration für das Stück von Isabelle Schad und Laurent Goldring. Nackt kommt sie auf die Bühne, sie bewegt ihren Rücken und man sieht die einzelnen Muskeln und Knochen. Die Tiermetapher von Kafka wird hier in einer langsamen Verwandlung der Tanzenden zum Stoffknäul präsentiert. Innerhalb von 50 Minuten ist der menschliche Körper verschwunden und ein Knäul aus Stoffbahnen rollt über die Bühne, welches sich in der Bewegung immer wieder neu formt. Der Sound des Körpers und der Bewegung wird im Moment aufgefangen und wiedergegeben, jedoch fragt man sich wie das technisch gelöst wurde, da Schad keine Mikrophone am Körper tragen konnte. Ein bisschen lange dauerte das  finden der fünf oder sechs Stoffbahnen. Irgendwann kannte man eben den Ablauf und die Bewegungen. Erst im zweiten Teil, wurde das Stück wieder spannender. Der Stoffknäul formte immer wieder neue Tiere in seiner Bewegung. Für mich zumindest.

Swoosh Lieu: The Factory. Eine Besetzungsprobe

Absolventinnen der Angewandten Theaterwissenschaft Gießen zeigten hier eine Installation/Besetzungsprobe zu den Produktionsbedingungen von Künstlern. Wir waren in einer fortwährenden Probe und die Akteure fast nicht sichtbar. Eine Choreographie aus Maschinen, Bannern und Schriften stützte auf uns ein. Eine interessante Mischung. Wer bekommt die Produktionsmittel? Von wem werden sie Verteilt? Eine Auflistung aller Dinge, die für diese Produktion gebraucht werden. Und dann? Dann ist die Show zu Ende. Es werden Probleme aufgedeckt, die aber nicht weiter erforscht werden. Es werden Sachen an die Banner geschrieben, die jeder weiß aber nicht weitergedacht wurden. Schade, mich hätten die Lösungsansätze interessiert.  Eine Installation die zur Diskussion anregt: Hat leider nicht geklappt.

Zufit Simon: I like to move it

Zuifit Simon war eine der NEUEN auf der Tanzplattform. Eine Tänzerin betritt die Bühne und macht verschiedene Bewegungen ohne Musik. Es sind Bewegungen, wie man sie in den Clubs sieht oder bei den Background-Tänzerinnen der Superstars oder Rockkonzerten. Schwarze Lederhose, viel Schmuck und hohe Schuhe. Eine Lichtshow wie bei einem Konzert. Nur die Musik fehlt. Nach einer Weile holt sie sich einen Lausprecher und tanzt mit ihm. Sie legt sich auf ihn und je nach Bewegung kommen Geräusche aus den Lautsprechern. Sie komponiert sozusagen mit ihren Bewegungen. Eine Bewegungskomposition. Zwei weitere Tänzerinnen kommen dazu und die Komposition setzt sich fort. Das ist im Weitesten alles, was passiert. Es werden unterschiedliche Variationen ausgetestet: Boxen an den Füßen, herumwirbeln von Mikrofonen, verschiedenen Tanzschritte. Alles in einer einstudierten Choreographie, wie bei Backgroundtänzerinnen die bei THE DOME auftreten. Ohne Musik wirkt die Choreographie lächerliche und absurd. Für mich wurde hier der Tanz in der Musikbranche zitiert, vorgeführt und kritisiert, welches sehr spannend zu beobachten war. Mehr habe ich aber nicht mitnehmen können. Zwar wurden immer wieder neue Variationen ausgetestet, aber im Grunde war es immer dasselbe. Es gab keine Entwicklung, keine Spannung. Nach dem ersten WOW-Effekt wurde es langweilig.

VA Wölfl: Chor(e)ographie/Journalismus (Kurze Stücke)

Zu Beginn stellt sich Amelie Deuflhard auf die Bühne und erklärt, dass VA Wölfl nicht die gesamte Choreographie zeigen kann, da Kampnagel ihm nicht die gewünschten drei sondern nur zwei Tage zur Vorbereitung geben konnte. VA Wölfl komponiert das Stück mit seinen Tänzern in dem Moment bzw. er reagiert im Stück auf das Stück und die Zuschauer. Es ist keine feststehende Choreographie. Tänzer kommen mit Glitzerkostümen auf die Bühne und tragen ein Gewehr. Danach bleibt eine in der Mitte stehen und bewegt sich so langsam, dass man es mit dem bloßen Auge fast nicht sieht. Dazu eine Projektion und die Laute von Fußballfans in einem Stadion. Man kann sich ganz reinfallen lassen in dieses Bild. Dann ist es abrupt vorbei. das Licht geht wieder an. Keiner weiß was. Zuschauer sind verwirrt. Die ersten Leute gehen. Nach ein paar Minuten geht es weiter. Ein Sänger fängt im Publikum an zu singen. Gitarrenklänge auf der Bühne. Wieder ist alles vorbei. Zuschauer sind noch verwirrter. Manche beschweren sich, dafür ihr Geld ausgegeben zu haben, bleiben aber sitzen, andere Gehen. Einer schmeißt beim Gehen wütend Tennisbälle auf die Bühne, die vorher dort ausgeschüttet wurden. Wieder ein anderer schreit, es solle doch mal weitergehen. Großartig wie VA Wölfl mit dem Publikum spielt und es verarscht, auch wenn hier viel schief gegangen ist und der Auftritt eigentlich abgesagt werden sollte. Die Masse Zuschauer bewegt sich und ist nicht mehr nur stummer Konsument.

Antonia Beahr: Abecendarium Bestiarium

Mein absoluter Favorit dieser Tanzplattform! Am Sonntag konnte ich noch in die Vorstellung reinrutschen auch ohne Karte. Ich liebe sie. Beahr bat 13 Künstlerfreunde, dass sie Kurzgeschichten über ausgestorbene Tiere schrieben, die etwas mit ihnen selber zu tun haben. Charakterlich oder Namentlich. Hier wurden sieben dieser kurzen Stücke gezeigt. Jedes wurde einem Buchstaben im Alphabet zugeordnet. T wie der Tasmanische Tiger oder S wie die Stellersche Seekuh. Es war grandios. Eine Mischung aus Theater, Performance und Klangkunst zeigte sich hier, sowie die Wandelbarkeit der Antonia Beahr. Das Verhalten zwischen Mensch und Tier wurde sichtbar und wer zum Schluss als Sieger hervorgegangen ist. Eine lustige und zugleich traurige Performance. Die Zuschauer mussten zu den jeweiligen Orten mitgehen im Raum. Es war sehr eng und klein. Mit einer Herzlichkeit und Wärme leitete Beahr ihre Zuschauer an und sie hatte sie binnen ein paar Minuten um den Finger gewickelt. Schon bei FOUR FACES in Dresden fand ich sie großartig. Ich ging sehr gerührt aus dieser Vorstellung heraus. Großartig!

Tino Sehgal: [Ohne Titel][2000]

Drei Tänzer tanzen das Stück von Tino Segal, welches er vor 13 Jahren noch selber tanzte. Jeder in seiner eigenen Version. Ich schaute mir zwei an: Frank Willens und Boris Charmatz.

Frank Willens tanze im Foyer nackt auf einem harten Steinboden. Das Stück besteht aus Zitate von Choreographen. Ich entdeckte Tanzschritte aus Pinas Sacre. Das Foyer war voll und die Leute drängten sich um ihn. Man konnte seinen Schweiß sehen und manchen kam er so nah, dass sie seinen Atem spüren konnten. Es war fantastisch. Ein fantastischer Tänzer, der hier mit dem Publikum spielt. Alle wollten es sehen, doch kam er dem Zuschauer zu nah, rückten sie nach hinten, voller Angst berührt werden zu können. Sein Glied tanzte mit und eine Frau bekam es auch fast ins Gesicht. Er hielt es ihr sozusagen vor, wie später auch Boris Charmatz. Es war eine Provokation, auf die man sich einlassen konnte oder eben nicht. Ich fand es extrem spannend, wie das Publikum reagierte. Ich hatte aber auch noch nie so einen schönen nackten Mann gesehen, der in seiner Nacktheit und im Tanz immer noch so männlich war, obwohl er  auch Elemente aus dem klassischen Ballett tanzte. Es war faszinierend. 50 Minuten ging das Stück und wurde dadurch aufgelockert, dass er mit uns redete. Er hatte nicht sehr viel Platz aber er war wie ein Tier. Eine völlig andere Bühnensituation hatte Boris Charmatz. Er bekam die größte der Kampnagelbühnen. Zuschauer und Tänzer waren klar voneinander getrennt und er hatte viel mehr Raum für seine Bewegungen-  war aber auch nicht so nah am Zuschauer dran. Man erkannte die Stilistischen Unterschiede. Der Tanz im Foyer hat mich mehr beeindruckt, vielleicht weil ich da ganz vorne saß.

Ein aufwändiges Rahmenprogramm begleitet die Tanzplattform. Pitsching, Jurydebatte, Warm-Up. Man konnte gar nicht alles mitnehmen. Jeden Abend lud man zum Clubbing in die KMH. Sport -Spacken- Tanz, eine Uschi Geller Esperience. Sagen wir mal: Naja. Meins war es nicht. Verkleidete Performer machen auf Transe und laufen auf und ab. Es soll darum gehen sich mal gehen zu lassen, mitzumachen, zu trinken und zu rauchen. Es ging aber eher um die Performer, als um uns.

Im Foyer saß das Künstler-Duo aus New York, die mit uns eine Zeittafel konstruierten “The bureau for the future of choreography”. Ein Kamerateam filmte die Leute beim Schreiben.  Man konnte T-Shirts für 87 Cent kaufen auf denen “Life, Dance, Death” stand. Ein schönes andenken und eine gelungene Tanzplattform, obwohl ich von Dresden vor zwei Jahren immer noch etwas mehr begeistert bin.

In zwei Jahren findet die nächste Tanzplattform in Frankfurt statt.