Vielleicht bin ich zu euphorisch an Jerome Robbins rangegangen, mit Erinnerungen an New York im Gepäck. Ein bisschen lässt das Ensemble auch die Euphorie vermissen.
Die Goldberg-Variationen sind wunderbare Musik mit schönem Tanz um des Tanzes willen, humorvoll, leicht. Tanz ist Verschränkung im Moment des Pas de deux. Robbins’ Choreographie scheint sich dies zum Ziel zu setzen, wenn sich zwei zeitgleich tanzende Paare mit Männlein und Weiblein immer neu zum jeweils gleichgeschlechtlichen Partner des anderen Paares wenden. Verschränkung der Geschlechter.
Verschränkung des Ensembles, wenn einer vortanzt, und alle nachtanzen – zeitlich versetzt. Spielerisch gibt der eine den Ton an, zieht nach und nach zwei oder drei Tänzer mit in sein Lager. Zwei Parteien auf der Bühne, die sich gegenseitig betanzen. Verschränkung der Reaktionen auf Tanz innerhalb einer Choreographie. Diese scheint sich zu entwickeln, je länger es dauert. Wunderbar die Solisten, die bravourös ihre Pas de Deux meistern. Tigran Mikayelyans Sprünge sind mitreißend, seine Partnerin wirbelt über den Tanzboden als trüge sie die roten Schuhe.
Verschränkung der Balletttraditionen und ihrer Geschichte – steht zu Anfang ein opulent barock gekleidetes Paar auf der Bühne, dass seinen sehr stilisierten Ballettanz anbietet, so wird dieser Eindruck mit den ersten Ensembletänzern gebrochen – schlichter geht es kaum, einfache kurze und schmucklose Kleider in Pastel oder gedeckten Tönen besinnen sich auf ihre Herkunft.
Im Laufe des Stückes findet eine Verschiebung von diesem puristischen und Robbins-typischen Trikot zurück zum Barockkostüm statt – bis schließlich das gesamte Ensemble zusammen posiert. Alles klatscht frenetisch, Schlussbild, klar.
Doch nicht. Das Paar vom Anfang tritt wieder auf, tanzt wieder seinen Pas de Deux – diesmal schmucklos, im Trikot. Ein stilles Finale – zurück zum Tanz, nach all dem Prunk?
So schön es ist, Tanz um des Tanzes willen anzuschauen, so kann es doch um einiges spannender werden, wenn die Grenzen plötzlich nicht mehr so klar abgegrenzt sind.
Eine einzelne Kerze steht an der Rampe. Sie flackert still vor sich hin. Ein durchbrochener Vorhang aus dünnen Stoffstreifen vibriert im Hintergrund.
Gods and Dogs, von Jiří Kylián für das Nederlans Dans Theater entwickelt, verströmt dunkle Magie. Es erinnert an eine Zeit, in der Tanz eine Beschwörung war, voller Zeichen und mystischer Anspielungen – mit einem klaren Ziel.
Die symphonische Musik suggeriert einen Einklang, der auf der Bühne nicht stattfindet. Der Vorhang flackert nicht so still wie die Kerze. Die Tänzer treten nicht auf, sie rennen, fliegen scheinbar auf die Bühne. Kein Solo kann alleine stehen, es wird zum Kampf mit dem nächsten Tänzer, der schon sichtbar hinter dem Vorhang lauert. Dann der Bruch. Die Musik zuckt, die Glieder zucken, ein bisschen Ohad-Naharin-Gaga. Eine Wolfsprojektion galoppiert winzig klein auf die Zuschauer zu – so klein, dass sie kaum erkennbar ist, als Negativ und in Zeitlupe. Man hat den Tanz fast übersehen bem Identifizieren des Wolfes.
Wladimir Faccioni stößt tonlose Angriffsschreie aus – immer wieder weit geöffnete Münder, verzerrt und schaurig. Stummes Wolfsgeheul. Wenn die Musik bricht und es scheint, als durchschnitten elektronische Peitschenschläge die Luft, nähert sich der Wolf wieder – bis er so nah ist, dass man die Beschwörung spüren kann. Ich kriege eine Gänsehaut. Zuzana Zahradníková kriecht zur Kerze, kein Licht mehr auf der tanzenden Silhouette – sie verschwindet. Vor der Rampe? Dahinter?
Paukenschläge. Ein Tänzerkörper, kaum in Bewegung, auf dem die Projektion tanzt. Für mich sind es wahrlich Götter, die hier auf der Bühne stehen. Und so geheimnisvoll, wie der Wolf auftauchte, verschwindet er wieder. Die Musik kehrt nicht zur Symphonie zurück. Mit Paukenschlägen endet das Stück.
Fazit: Egal wie eintönig einem die Goldberg-Variationen erscheinen mögen, sie vergrößern doch die Vorfreude auf das, was danach kommt – so kurz und intensiv, wie es eben nur ein Zauber vermag.