Ablauf des Ganachakra-Festmahls
An wichtigen Tagen des tibetischen Mondkalenders wie z.B. dem 8. Tag, dem 10. Tag, dem 15. Tag oder dem 25. Tag werden längere Gebetsrituale praktiziert. Genauso auch wenn man für längere Zeit in Klausur geht, beginnt man die Praxis mit einer Ansammlung von Verdienst und Weisheit in Form einer Ganachakra-Puja. Das macht man, um sich auf das Retreat vorzubereiten und auch um eine gute Motivation anzusammeln. Dann wird die kommende Praxiszeit gewiss erfolgreich verlaufen. Auch wenn eine Praxisklausur nur von kurzer Dauer ist, wird sie durch das häufige Ausführen von Ganachakra-Ritualen sehr machtvoll sein. Wenn man auf diese Weise mit entsprechender Motivation und Ansammlung praktiziert, dann wird die Klausur gleich einer langen sein. Daher sollte man dafür auch ein Verständnis für diese Praxis und ein Vertrauen in sie haben.
Gewöhnlich besteht eine Ganachakra-Puja aus fünf bis sechs Abschnitten. Nach der Mantra-Ansammlung kann man die Praxis der Schützer ausführen. Das ist optional, aber auf jeden Fall sehr förderlich. Um jedoch ein Ganachakra-Festmahl auch darbringen zu können, müssen zunächst die Samayas – die buddhistischen Gelübde – gereinigt werden. Danach beginnt der eigentliche Teil des Ganachakra-Festes.
Der erste Aspekt besteht darin, dass Opfergabe durch Feuer, Wind und Wasser von den Verunreinigungen durch die gewöhnlichen Konzepte gereinigt werden. Dann werden sie mit den drei Vajra-Silben OM AH HUM verwandelt und vermehrt. Schließlich werden die Gäste für dieses Festmahl eingeladen. Dann wird der erste Teil des Ganachakra-Festmahls den hohen Wesen – der Meditationsgottheit und den Buddhas und Bodhisattvas – dargebracht. Der zweite Teil wird als Bekenntnis geopfert. Dann folgt der dritte Teil als Akt der Befreiung. An dieser Stelle werden die Konzepte und Hindernisse, personifiziert durch Rudra, in die reine Natur des Geistes befreit und die restlichen Skandhas werden dem Mund der Gottheit dargebracht. Als vierter Teil werden die tatsächlich aufgestellten Gaben in fester und flüssiger Form, die die fünf Geschmäcker und fünf Farben enthalten sollten, von den Anwesenden empfangen. Zunächst wird der dem Ritual vorsitzenden Person geopfert und dann allen anderen anwesenden Praktizierenden, die in ebenfalls in reiner Form als Mandala-Gottheiten geschaut werden. Schließlich wird ein Teil der Ganachakra-Speisen den Übriggebliebenen dargebracht. Dies wird allgemein als „Resteopfer“ bezeichnet. Damit sind meint man aber nicht, dass man die angebissenen Reste hinauswirft. Vornehm und edel ist es, wenn man vor der Verteilung der Ganachakra-Speisen an die versammelte Gemeinschaft einen Teil davon für das Resteopfer separiert. Schließlich gibt jede anwesende Person noch einen Teil selbst dazu. Manchmal kann allerdings auch der Ganachakra-Anteil der vorsitzenden Person als Resteopfer dargebracht werden.
Die Übriggebliebenen
Das Resteopfer wird im Tibetischen als „Lhagma“ (tib., lhag ma) bezeichnet. Die Wesen, die diese Gabe empfangen, werden „Lhag Drön“ (tib., lhag mgron) genannt. Diese bestehen aus den 28 Ishvaris (tib., dbang phyug), den 32 Dakinis (tib., mkha‘ ‚gro), den 18 Großen Ging (tib., ging chen), den 16 Lankas (tib., lang ka), den 8 Barma (tib., ‚bar ma brgyad), den 7 Müttern (tib., ma), den 4 Schwestern (tib., sring), den 360 Dienern (tib., pho nya), den 4 Großen Königen (tib., rgyal chen), den Schützern der 10 Richtungen (tib., phyogs skyong), den Devas und Nagas (tib., lha glu), den 28 Wesenheiten der Planeten und Sterne (tib., gza‘ skar) und den 9 Furchteinflößenden (tib., ‚jigs byed).
Zusätzlich gibt es noch 75 Glorreiche Beschützer (tib., dpal mgon), die 12 Tenma-Schwestern (tib., brtan ma) und die 13 Gul-Lha (tib., mgul lha), sowie weitere weltliche Beschützer, die unter dem Befehl stehen oder durch Eide gebunden sind. Alle diese Gottheiten sind zum Teil Weisheitswesen und zum anderen Teil weltliche Gottheiten. Ihnen ist nur gestattet, die Überreste (tib., lhag ma) zu konsumieren und nicht vom Hauptteil der Ganachakra-Speisen (tib., tshogs phud).
Sechsfaches Erfreuen
Durch das Ganachakra werden sechs Arten des Erfreuens vollbracht.
Zunächst werden durch die vollkommene Sichtweise, die man während des Ganachakras beibehält, erfreuen sich die Wurzel- und Linienlehrer.
Dann werden durch die Kraft der meditativen Versenkung die Meditationsgottheiten erfreut.
Durch das reine Samaya, das die Praktizierenden beim Ganachakra halten, werden die Dakinis und Dharma-Schützer erfreut. Indem sich alle beim Festmahl Anwesenden als Wesen im selben Mandala und als Gottheit verstehen und die Art, wie man auf diese Weise miteinander verbunden ist, werden alle Dakinis erfreut. Durch die tantrischen Samaya-Handlungen, von denen alle durch Meditation in die höchste Sicht integriert werden, werden die Dharmapalas zufriedengestellt. Indem man dasselbe Samaya während des Empfangens der Lehren hält, mit demselben Lehrer ist und sich im selben Mandala mit den Vajra-Geschwistern befindet, wird das gesamte Mandala zufriedengestellt.
Die Praktizierenden selbst werden durch das Erfreuen an Speise und Trank zufriedengestellt. Man genießt die Ganachakra-Substanzen, einschließlich Fleisch als Repräsentant für geschickte Mittel und Alkohol als Repräsentant für uranfängliche Weisheit.
Durch die Gabe der Reste werden die eingeladenen Gäste, die äußeren und inneren Ortsschützer, welche durch Eide gebunden sind, zufriedengestellt.
Und schließlich werden durch das Singen von Vajra-Lieder die Dakinis der 21 und 32 heiligen Plätze erfreut.
Körper als Mandala
Gemäß der Sicht im Vajrayana sehen die Praktizierenden den Körper als Wohnstätte der Mandala-Gottheiten an. Auch werden alle Phänomene als Manifestation der Meditationsgottheit betrachtet, alle Klänge als Mantra gehört und alle Gedanken als Ausdruck der letztendlichen Natur des Geistes erkannt. Somit existieren in der Sicht der Vajrayana-Praktizierenden zahllose Gottheiten, sowie Dakas und Dakinis in unseren Körpern. Wenn jedoch Wissenschaftler mit ihren Instrumenten in den Körper blicken, dann sehen sie zahllose winzige Wesenheiten und keine Dakas und Dakinis. Das hat einfach damit zu tun, dass sie eben nicht die Sicht darüber verfügen.
Tantrische Praktizierende sehen jedoch unzählige Gottheiten und Dakinis. Und diese werden durch den unerschöpflichen Nektar uranfänglicher Weisheit der symbolischen Ganachakra-Substanzen genährt. Dadurch wird das Ganachakra-Festmahl zu einer sehr machtvollen Praxis.
Nach einer Belehrung von Lama Tharchin Rinpoche, ergänzt durch weitere Belehrungen zum Ganachakra von anderen Lehrern und Quellen.