#Tankred_Dorst , der Autor von #Merlin ist tot.

Der vielfach preisgekrönte Dramatiker Tankred Dorst ist tot. Er starb am Donnerstag mit 91 Jahren in Berlin. Das teilte der Suhrkamp Verlag mit. In seinen mehr als 50 Stücken hat er sich auf unterschiedlichste Weise mit den Fragen der menschlichen Existenz auseinandergesetzt. Große Regisseure wie Peter Zadek, Peter Palitzsch, Dieter Dorn und Hans Neuenfels arbeiteten eng mit ihm zusammen. 2006 gab der gebürtige Thüringer, bereits 80-jährig, mit einer Neuinszenierung von Wagners Ring in Bayreuth sein Debüt als Opernregisseur – allerdings von Buhrufen begleitet. Mein Interview mit Tankred Dorst und seiner Frau Ursula Ehler in ihrer Münchner Wohnung fand im Jahr 2004 statt. Darin geht es natürlich um "Merlin", aber auch um das Stückeschreiben für die Theaterbühne. Des Nächsten Seele ist ein dunkler Wald
Ein Gespräch mit Tankred Dorst, der bei den Salzburger Festspielen zu Gast ist (2004)
Von Günter Verdin
Im deutschen Feuilleton (FAZ) wird zur Zeit heftig die “Entstückung” des Theaters beklagt, weil immer mehr Regisseure durch eigene Dramatisierung von Literaturstoffen und Filmvorlagen die Stückeschreiber an den Rand der Spielpläne drängten. Visionär hat einer der produktivsten Dramatiker deutscher Sprache, Tankred Dorst, in seiner “Botschaft zum Welttheatertag 2003” schon Hoffnung signalisiert: “Theater ist eine unreine Kunst, darin liegt seine vitale Kraft. Ohne Hemmung benutzt es alles, was ihm im Wege steht. Es wird seinen Prinzipien ständig untreu. Selbstverständlich schielt es nach den Moden der Zeit, holt sich Bilder aus anderen Medien (...). Ich bin zuversichtlich, dass sich das Theater immer wieder mit Leben füllt, solange Menschen das Bedürfnis haben, einander zu zeigen und vorzuführen, wie sie sind und wie sie nicht sind und wie sie sein sollten. Ja, es soll leben!”
Tankred Dorst, der einige Klassiker des Nachkriegstheaters wie “Große Schmährede an der Stadtmauer (1961), “Toller, Szenen einer deutschen Revolution” (1968) oder “Ich, Feuerbach” (1986) verfaßt hat, arbeitet seit Anbeginn multimedial: ganz zu Beginn mit Marionetten; dann schrieb er Drehbücher für Film und Fernsehen, er bearbeitete Romane wie “Kleiner Mann, was nun?” von Hans Fallada , und wirkte auch an der Realisierung der von ihm übersetzten und bearbeiteten Stücke etwa von Diderot und Molière mit.
Wie er mir mit seinem weissen Lockenhaupt in seiner hellen Wohnung in München-Schwabing gegenübersitzt, erinnert er selbst an einen geheimnisvollen Magier. Dem Zauberer Merlin hat Dorst 1980 ein monumentales Denkmal gesetzt: “Merlin oder Das wüste Land”. Wie ihn Dorst gestaltet ist Merlin in sich eine hochspannungsgeladene Figur. Er ist als Sohn de Teufels zum Bösen bestimmt, und motiviert doch König Artus und seine Tafelrunde zur Utopie einer gerechten und besseren Welt.
Seit 20 Jahren sieht sich der Autor mit dem Stück immer wieder konfrontiert: “Das Stück ist vielschichtig, es ist kompliziert. Es ist nicht leicht zu kürzen ohne Verluste im Beziehungsgeflecht, darum werde ich immer wieder um Rat gefragt. Die Idee kam von Peter Zadek. Er meinte, ich sollte mal diesen englischen Stoff um King Arthur lesen. Ich konnte damit nichts anfangen, mit all den Turnieren und Helden. Das war für mich unzugänglich. Dann begann ich, nach oberflächlicher Kenntnis der Geschichte, zu sortieren, was mich interessierte. Dann habe ich einen großen Plan gemacht. Sonst fange ich bei den Stücken immer beim Schluss an, und arbeite mich dann vor. Das Stück will die Welt als Ganzes zeigen. Dazu gehört auch die Gewalt. Wir haben ja gemerkt, wie dünn der Teppich der Zivilisation ist. Ich hatte sehr viel Material und die Ahnung, dass das nicht aufführbar sein werde. Dann entschied ich mich für ein Theater im Kopf. Man kann die Geschichte um Merlin nicht in realistische Dialoge auffächern. Man muss auf das Timing achten, die Mittel variieren, dass das Stück beweglich bleibt, damit der Zuschauer nicht an der Gleichförmigkeit des Dialogs erschlafft. Die erste Fassung hatte 400 Seiten. Peter Zadek wollte das Stück auf keinen Fall im Hamburger Schauspielhaus, sondern in einer alten Fischhalle am Hafen aufführen. Wir haben die Halle aber nicht bekommen. Deswegen fand die Uraufführung im selben Jahr, 1981, in Düsseldorf statt, in der Regie von Jaroslav Chundela. In Düsseldorf dauerte die Aufführung von 14 bis 23 Uhr, allerdings mit zwei großen Pausen.”
Mittlerweile wurde das Stück über 60mal inszeniert. Dorst: “Das Stück ist aktueller denn je. Es handelt vom Ende der Utopie, das ist aber nur ein Thema des Stücks, aber ein durchgehendes Motiv, das vor allem bei Aufführungen im Ostblock stark betont wurde.”
In voller Länge ist das Stück noch nie aufgeführt worden. Die Salzburger Festspiele und ihr Schauspieldirektor, Jürgen Flimm, haben den ehrgeizigen Plan, das ungekürzte Werk in einer Lesung Gestalt werden zu lassen. (Montag, 2. August, Landestheater; Beginn:18 Uhr; Open End) Dorst: “Ich soll dabei die Regieanweisungen und die Prosatexte lesen. Ausserdem wird eine Musikgruppe für die Umsetzung der Lieder sorgen. Das Ganze wird eine Performance.”
Der Dramatiker Dorst, ständig auf der Suche nach neuen Talenten, wird im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe unter dem Motto “Anfänge” junge Dramatiker aus Berlin und München vorstellen.(Sonntag, 1. August, Landesestheater,11Uhr). Dorst: “Es geht um die Schwierigkeit und die Lust des Anfangs. Wie setzt sich Phantasie fest? Ich stelle vier junge Autoren vor, die alle noch nicht aufgeführt wurden.Sie machen kein postdramatisches Theater. Eine junge Autorin schreibt über Pubertätsproblematik und Schülerselbstmord; ein junger Mann hat zwei Monologe ineinander verflochten, den einer alten Frau und den eines Mannes, der Schwierigkeiten hat, eine Frau zu finden. Einer hat ein Stück über die Intellektuellen in der Frühromantik geschrieben, die sich permanent selbst reflektieren. Das Stück hat viel mit der heutigen jungen Generation zu tun. Und der jüngste von den Vieren führt uns in eine geschlossene Anstalt, in der wir der gealterten Ulrike Meinhof begegnen.
Der Autor ist ein Mensch für sich. Ich halte nichts von Gruppen. Das gilt auch für die jungen Dramatiker: ich präsentiere sie als Persönlichkeiten für sich, nicht als Repräsentanten des neuen Dramas. Sie bringen sehr unterschiedliche Ansätze. Sprachkunststücke haben mich nie interessiert. Wie Personen sprechen, das interessiert mich. Über denselben Sachverhalt drücken sich verschiedenen Personen verschieden aus. Der Autor muss von sich selbst absehen, aus den Personen herausschreiben. “ Des Nächsten Seele ist ein dunkler Wald, steht als Motto über dem Kapitel “Die Tafelrunde” im “Merlin”
Entwürfe für solche Geschichten lagern im berühmten Apothekerschrank im Wohnzimmer. Dorst hofft, im Herbst zwei, vielleicht drei Stücke schreiben zu können. Im Herbst erscheint seine Erzählung “Der schöne Ort”. Und “Purcells Traum von König Artus”. Dorst:” Purcells Werk ist ja eine Semi-Opera. Ich habe das Schauspiel neu geschrieben. Mich interessiert der Kampf der Angeln gegen die Sachsen überhaupt nicht. Bei mir findet der Kampf statt zwischen dem Restpersonal aus Purcells Opera und einer Investorengesellschaft, die das alte Opernhaus in ein Einkaufszentrum umwandeln möchte.”
Seit “Eiszeit”, 1973, entstehen die Theaterstücke Dorsts in Zusammenarbeit mit seiner Frau, Ursula Ehler. Dorst: “Am liebsten schreibe ich im Hotel, in einem großem Raum mit Sesseln, in der Lounge, wo viele Menschen sind. Meine Frau und ich reden dann über Personen und Geschichten, wir streiten über Figuren. Ich brauche die Provokation und das Echo. Sie ist die erste und beste Zuhörerin. Ich vertraue ihr, denn ich weiss, wenn ich bei Verstande wäre bei der Arbeit, dann würde ich so denken wie sie. Wenn du mitten drin steckst im Schreiben, gerät vieles ausser Kontrolle.”

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