Tana French – Schattenstill

Von Buchstabenchaos

Was als vielversprechendes Neubaugebiet begann hat sich zu einer öden, verlassenen Geisterstadt im Norden von Dublin an der Küste Irlands verwandelt: Brianstown, früher auch “Broken Harbour” genannt. In dieser Siedlung haben einige Familien ihr hoffnungsvolles Leben als frischgebackene Hausbesitzer gestartet, doch nicht nur der Zahn der Zeit und die Wirtschaftskrise haben ihre Spuren hinterlassen. Eines Tages ist eine ganze Familie ausgelöscht worden: die beiden Kinder wurden erstickt, die Eltern sind dagegen grausam niedergestochen wurden. Während die schwer verletzte Frau der Familie im Krankenhaus um ihr Überleben kämpft versucht Detective Mike Kennedy Licht ins Dunkle der Geschehnisse in der verlassenen Neubausiedlung zu bringen. Doch auch in seiner eigenen Vergangenheit ist “Broken Harbour” kein weißes Fleckchen geblieben und die Geschehnisse von damals scheinen ihn wieder einzuholen…

“Mit der Zeit gehen die Geister der Dinge, die geschehen sind, auf Distanz. Wenn sie dich erst mal millionenfach geschnitten haben, werden ihre Klingen an deinem Narbengewebe stumpf, sie nutzen sich ab. Aber die Geister der Dinge, die nie die Chance hatten, zu geschehen, bleiben für alle Zeit rasiermesserscharf.”

“Schattenstill” ist eines dieser Bücher, die mich wieder einmal daran erinnern, warum ich überhaupt lese. Tana French schreibt Sätze, die es verdienen, in Stein gemeißelt zu werden oder meinetwegen auch als Stickbild verewigt über den Kamin in altmodischen Wohnzimmern zu hängen. French hat eine unglaubliche Begabung dafür, die Handlungsorte und ihre Figuren lebendig werden zu lassen und einerseits in sprachlicher Opulenz zu schwelgen, andererseits aber dabei so stimmig und spannend zu erzählen, dass man das Buch bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen möchte. “Schattenstill” ist ein ausgeklügelter Psychothriller, der aber zu der äußerst seltenen Spezies der “Bücher, die ich UNBEDINGT noch einmal lesen muss”-Gattung zählt. Thriller sind sonst für mich eine netter Zeitverschwendungtreib, aber von “Schattenstill” bleibt etwas.

“Schattenstill” ist nicht Frenchs bestes Werk, ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, die mich etwas gestört haben und die die Logik des Falles wenn auch nicht zum kippen, so zumindest leicht zum schwanken bringen. Dafür schafft es French, den Leser zunächst erstaunlich lange auf falscher Fährte zu leiten obwohl die Auflösung – wenn sie auch alleine statistisch betrachtet ziemlich ungewöhnlich ist – eigentlich nahe liegt. Am Ende weichen die Schatten und geben Blick darauf frei, was in Broken Harbour/Brianstown tatsächlich geschehen ist – sowohl im Fall der Familie Spain als auch in der Vergangenheit des Detective Kennedy.

Unterm Strich kann ich zu Tana Frenchs Romane nur eines sagen: unbedingt lesen! Auch Leser, die den üblichen Psychothriller-Einheitsmist entgehen wollen sind mit Tana French perfekt beraten, man muss keine Krimis/Thriller mögen damit man an “Schattenstill” (oder ihre vorigen Werke “Grabesgrün”, “Totengleich” etc.) Gefallen finden kann. Wer allerdings möglichst blutige Splatter mag und mit subtil gestreuten psychologischen Grauen nichts anfangen kann, dem ist Tana French vielleicht ein bisschen zu literarisch. Ich bin aber froh, endlich eine Autorin gefunden zu haben, die literarischen Anspruch mit Hochspannung verbinden kann ohne ständig tief in die Kiste mit den Klischees zu greifen. Von mir gibts also definitiv eine Empfehlung!