Taksim war nur der Anfang

Der Widerstand wird wei­ter­ge­hen – Im Gespräch mit Gökhan Biçici

platz_der_traeumeSeit den Protesten in der Türkei sind einige Wochen ver­gan­gen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat eine Tour mit fünf Aktivistinnen aus der Türkei orga­ni­siert, die hier über die Proteste und die Folgen berich­ten wer­den, wir haben uns mit einem der Teilnehmer unter­hal­ten. Gökhan Biçici ist Programmredakteur beim Nachrichtenkanal İMC TV, Redaktionsmitglied des Onlineportals EmekDunyasi und dies­jäh­ri­ger «Pressefreiheit»-Preisträger des türkischen«Pressefreiheit»-Preisträger des tür­ki­schen JournalistInnenverbandes.

Die Freiheitsliebe: Wie hat du die Protestbewegung in der Türkei wahr­ge­nom­men?

Gökhan Biçici: Ich bin von Beruf Journalist und bereite jede Woche eine Fernsehsendung über Gewerkschaftsangelegenheiten unter dem Namen “Arbeitswelt” vor. Ich habe auch gute Kontakte zu sozia­len Bewegungen, wes­we­gen ich das Problem auch vor­her schon im Visier hatte. In den letz­ten zwei Jahren war der Gezi-Park und der Taksimplatz schon ein Thema. Wir sind in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai infor­miert wor­den, dass schwere Maschinen im Park ange­rollt sind um die Bäume zu fäl­len. Darauf hat­ten sich das Taksimplatz-Bündnis und vor allem Umweltgruppen aber schon vor­be­rei­tet, wes­we­gen sie jeden Abend im Park Versammlungen hat­ten. Sie haben es in die­ser Nacht dann auch direkt ver­brei­tet, wodurch unge­fähr 15 Aktivistinnen kamen, die auch über Nacht blie­ben um wei­tere Versuche zu ver­hin­dern. Am frü­hen Morgen wurde wie­der ver­sucht mit den Abrissarbeiten wei­ter­zu­ma­chen, aller­dings waren zu die­sem Zeitpunkt schon fast 200 Menschen dort, unter ihnen auch der BDP-Abgeordnete aus Istanbul, Sırrı Süreyya Önder. Wodurch die Abrissarbeiten ver­hin­dert wer­den konn­ten. Das war ein zwei­ter klei­ner Erfolg. Die Zahl der UnterstützerInnen, stieg schnell an, vor allem durch einen Aufruf der ver­brei­tet wurde. Ich war zu die­sem Zeitpunkt auch dort und habe für mei­nen Kanal berich­tet, auch andere alter­na­tive Medien, haben durch mich Informationen erhal­ten.

Die Proteste haben sich rela­tiv schnell aus­ge­brei­tet, wie wurde die Entwicklung in den Gewerkschaften gese­hen.

Die bei­den links­ge­rich­te­ten Gewerkschaften DISK und KESK, eine Arbeiterinnen- die andere Beamtengewerkschaft, waren schon von Anfang an bei den Protesten, auch als Teil der Plattform. KESK hatte schon vor­her für den 5. Juni einen Generalstreik auf­ge­ru­fen, der nach der Ausbreitung der Proteste auf zwei Tage ver­län­gert wurde. An die­sem nah­men zehn­tau­sende Beamte und Angestellte teil. Wir hat­ten auch eine Protestkundgebung am Taksim orga­ni­siert, an dem bis zu 50.000 teil­nah­men, DISK unter­stützt diese Proteste. Turkish, der größte Gewerkschaftsverband, zeigte aller­dings keine Reaktion auf die Proteste. In den letz­ten Jahren hört man von die­ser Gewerkschaft all­ge­mein sehr wenig, da der Apparat unter Kontrolle der regie­rungs­na­hen Gewerkschaften gera­ten ist, durch die Proteste hat sich aller­dings ein Bündnis der lin­ken Gewerkschaften in Turkish gebil­det, dem zehn Gewerkschaften ange­hö­ren. Insgesamt war die Reaktion der ArbeiterInnengewerkschaften nicht so stark. Nach der Niederschlagung der Proteste hat­ten KESK, DISK, sowie die Ärzte- und Ingenieurskammer zu einem Streik für den 17. Juni auf­ge­ru­fen. Dort betei­lig­ten sich meh­rere Zehntausend. Leider konn­ten sich die Gewerkschaften im Gesamten nicht so stark prä­sen­tie­ren, wie ich gehofft hätte, sie konn­ten ihre Dominanz nicht ent­fal­ten.

Du hast gesagt, dass die Gewerkschaften nicht ihre Dominanz ent­fal­ten konn­ten, wen hast du als domi­nante Kraft gese­hen?

Keine Gruppe, weder Gewerkschaften, noch Parteien oder Verbände, haben die Bewegung domi­niert. Präsent war vor allem die Frauenbewegung, wie auch die 90er Generation. Das war eine unor­ga­ni­sierte Bewegung, an der sich aller­dings 120 Organisationen betei­ligt haben, ins­ge­samt war die Dynamik außer Kontrolle, was im Endeffekt posi­tiv war, da sich so auch die brei­ten Massen ange­schlos­sen haben, die sonst eher auf Distanz zu Organisationen sind.

Welche Folgen kön­nen die Proteste für die nähere Zukunft haben? Spürt man eine Stärkung der Zivilgesellschaft?

Es ist der Beginn einer neuen Ära für die Türkei. Es gibt eine Reorganisation der lin­ken Kräfte, wie auch der gesam­ten lin­ken Szene. Es ist klar gewor­den, dass die tra­di­tio­nel­len Strukturen der lin­ken Parteien nicht in der Lage sind sich der Volksbewegung anzu­pas­sen, wodurch die Parteien sich ver­än­dern wer­den. Insgesamt hat es zu einer Stärkung der Linken geführt. Das zeigt sich auch an den jetzt begin­nen­den Protesten in der Türkei, so haben am Sonntag bei einem Fußballspiel in Istanbul zehn­tau­sende Fans Parolen des Widerstands geru­fen, z.B. “Taksim war nur der Anfang, der Widerstand wird wei­ter­ge­hen”. Dies wurde von der Öffent­lich­keit wahr­ge­nom­men. Kurzfristig kann man sagen, dass der Gezi-Park nicht nur nicht abge­ris­sen, son­dern auch ver­grö­ßert wird. In die­sem Sinne ist der Gezi-Park geret­tet. Auch wenn die Regierung eine sehr aggres­sive Rhetorik hatte, wurde deut­lich, dass die Botschaft der Menschen gehört wurde.

Du nimmst für die Rosa-Luxemburg-Stiftung an einer Vortragsreihe in Deutschland teil, was ist euer Ziel hier?

Unser Ziel ist es, dass die Menschen hier infor­miert wer­den, da es hier an Informationen fehlt, da die alter­na­ti­ven Medien immer nur geringe Bevölkerungsteile erreicht, wir wol­len aber auch zivil­ge­sell­schaft­li­ches Engagement stär­ken. Es ist daher wich­tig, dass auch Aktivistinnen hier infor­mie­ren, vor allem, wenn man bedenkt, dass eine große tür­ki­sche und kur­di­sche Community gibt. Bei der Auftaktveranstaltung in Hannover haben 150 Menschen teil­ge­nom­men, davon war unge­fähr die Hälfte deutsch­stäm­mig, was zeigt, dass es auch Allgemein ein gro­ßes Interesse und Bedarf gibt.

Ich danke dir für das Interview.

Mehr Informationen zur Tour gibt es hier.


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